Keine Angst vor Ritalin & Co. Dr. Kerstin Neumann, 04.03.2016 12:36 Uhr
Kinder mit ADHS sind nicht immer gleich: Während Mädchen häufig eher verträumt sind, können die Jungen nicht stillsitzen. Je nach Lebensphase muss die Behandlung gut auf den Patienten abgestimmt werden. Dabei ist es wichtig, die therapeutische Gesamtstrategie und die verschiedenen Darreichungsformen im Blick zu behalten.
Fall: Der Vater einer kleinen Patientin von 5 Jahren löst ein Rezept über Methylphenidat 5 mg ein. Seine Tochter wurde vor wenigen Monaten mit ADHS diagnostiziert. Das Kind sei immer schon sehr verträumt gewesen, es vergesse häufig in kurzer Zeit, was es gerade tun wollte, berichtet er. Das Mädchen sei beispielsweise nicht in der Lage, sich selbstständig in einer angemessenen Zeit anzuziehen. Versuche, über Änderungen des Tagesablaufes mit klaren Strukturen eine Besserung herbeizuführen, hätten bislang nichts genützt. Jetzt soll mit Medikamenten nachgeholfen werden. Der Vater ist besorgt, die Tochter sei doch noch klein, ob man da direkt mit starken Medikamenten nachhelfen müsse? Er hat viel über Missbrauch der Arzneimittel gehört. Außerdem ist er ratlos, wie die Tabletten regelmäßig verabreicht werden können. Der Arzt hat jeweils eine Tablette morgens nach dem Frühstück und eine um 12 Uhr verordnet. Das Kind ist aber in der Tagesbetreuung, da die Eltern berufstätig sind, die Gabe der zweiten Dosis stellt sie daher vor Probleme.
Analyse: ADHS bei Kindern kann ganz unterschiedlich ausgeprägt sein. Bei Jungen ist vor allem das sogenannte „Zappelphillip-Syndrom“ bekannt. Die Kinder haben Schwierigkeiten, stillzusitzen und sich ruhig mit Dingen zu beschäftigen. Bei Mädchen tritt eher der „verträumte Typ“ auf. Konzentrationsstörungen sind immer zu beobachten, „Träumer“ fallen aber im sozialen Umfeld deutlich weniger auf und erzeugen in der Familie weniger Spannungen. Eine medikamentöse Therapie wird seltener als notwendig angesehen – bei korrekt diagnostizierter Krankheit ist die Gabe von Methylphenidat aber für beide Typen sinnvoll und bewirkt eine Besserung der Symptome.
Insbesondere bei kleinen Kindern wird in der Regel zunächst versucht, über Verhaltenstherapie eine Besserung herbeizuführen. Methylphenidat ist erst ab einem Alter von sechs Jahren zugelassen. Ärzte haben aber die Möglichkeit, bei schweren ADHS-Fällen die Medikation auch schon früher – dann aber off-label – zu verordnen. Dennoch muss zuerst eine Therapie ohne Arzneimittel versucht werden.
Kommunikation: Als PTA kann man anbieten, mit dem Arzt Rücksprache zu halten. Da der Vater aber geschildert hat, dass vorherige Maßnahmen nicht gefruchtet haben, dürften Sorge über einen zu frühen Einsatz unbegründet sein. Wichtig ist es in jedem Fall, den Eltern klar zu machen, wie wichtig Strukturen für das Kind sind: Ein geregelter Tagesablauf macht es für das Kind deutlich einfacher, mit seiner Krankheit zurecht zu kommen. Dazu gehören klare Regeln – von den Essenszeitpunkten bis zur Gestaltung von Freizeit – sowie konsequente Absprachen über Pflichten, Belohnungen und Strafen.
Therapie: Methylphenidat gehört zu den Amphetamin-ähnlichen Substanzen. Der Arzneistoff wirkt stimulierend im zentralen Nervensystem, der genaue Wirkmechanismus ist bislang nicht bekannt. Wahrscheinlich hemmt Methylphenidat, ähnlich wie Amphetamin, die Wiederaufnahme von Noradrenalin und Dopamin im synaptischen Spalt und erhöht so die Konzentrationsfähigkeit. Als Nebenwirkungen treten unter Anderem Appetitmangel, Kopf- und Bauchschmerzen, Schlafstörungen und Schwindel auf. Auf Anzeichen dieser Symptome sollte daher bei der ersten Gabe geachtet werden.
Die Problematik der zweimal täglichen Gabe des Medikamentes kann durch einen Wechsel auf eine retardierte Formulierung gelöst werden. Es macht Sinn, dies dem verschreibenden Arzt mit Hinweis auf die Lebenssituation der Familie vorzuschlagen. Es gibt mehrere Produkte auf dem Markt, die nur eine einmal tägliche Gabe notwendig machen. In diesen Formen werden 50 Prozent der Dosis sofort, die anderen 50 Prozent erst nach einigen Stunden freigesetzt. Weitere ADHS-Medikamente sind Elvanse (Lisdexamfetamin, Shire), Strattera (Atomoxetin, Lilly) sowie das mittlerweile wie Methylphenidat generische Modafinil.