PTA vom Chef in Rezeptur bedrängt APOTHEKE ADHOC, 13.03.2018 10:09 Uhr
Ein Apotheker bedrängt eine PTA-Praktikantin in der Rezeptur. Ein Inhaber verspricht höheres Gehalt für „gefügige Dienste“. Eine Chefvertretung reißt Busenwitze auf Kosten der Mitarbeiterinnen. Sexuelle Belästigung ist ein Thema in Apotheken. Auch in der Frauendomäne Offizin sind Angestellte nicht vor Übergriffen gefeit. Die Opfer berichten.
Als die damals 18-jährige PTA-Schülerin ihren ersten Tag in der Ausbildungsapotheke antrat, schien alles normal – Begrüßung, Teamvorstellung, Rundgang. Doch bereits während der ersten Arbeitstage zeigte ihr Chef sein anderes Gesicht. Erst fühlte sich die Praktikantin von seinen Blicken belästigt. „Ich habe mich dann nur weniger ‚reizvoll‘ angezogen“, sagt die heute 32-Jährige. Etwas „Ernsthaftes“ dagegen zu unternehmen, habe sie sich nicht getraut.
Die Reaktion vom Inhaber kam prompt: „Ich sollte mal wieder etwas Schöneres anziehen.“ Anfangs sei es bei anzüglichen Bemerkungen wie diesen geblieben. Der Apotheker habe seine Grenzen ausgelotet. Dann habe er angefangen, sich immer wieder von hinten anzuschleichen. „In der Rezeptur stand er so dicht hinter mir, dass er seinen Penis an meinen Po gedrückt hat.“
Die PTA versuchte sich zu wehren: Sie habe ihn gebeten, Abstand zu halten. Er habe mit „seiner Aufsichtspflicht in Rezeptur und Labor“ gekontert. Zur Anzeige hat die PTA den Fall nicht gebracht. Sie nahm an, es sei „nicht genug vorgekommen“, um juristisch gegen ihn vorzugehen. Nach dem sechsmonatigen Praktikum hat sie die Apotheke verlassen.
In einem anderen Fall wurde eine PTA von ihrem Chef sogar bedroht. Zunächst begann die Belästigung mit vermeintlich „versehentlichen“ Berührungen. Der Apotheker habe sie schnell nach der Einstellung im Fokus gehabt und immer wieder ihre Brüste und den Po gestreift, erinnert sich die heute 38-Jährige.
Mit einem Alter von 20 Jahren sei sie noch sehr jung und ratlos gewesen. „Ich habe versucht, nicht mehr mit ihm alleine in einem Zimmer zu sein.“ Irgendwann habe er sie zu einem Vier-Augen-Gespräch in sein Büro geladen. „Dort hat er gesagt, mein Gehalt könnte sich deutlich verbessern, wenn ich etwas ‚netter‘ zu ihm bin.“
Die PTA entschied sich daraufhin, noch während der Probezeit zu kündigen. Der Apotheker habe im Anschluss gedroht, ihr ein schlechtes Zeugnis zu schreiben. Die Betroffene sei bei seiner Konkurrenzapotheke untergekommen. Dort habe sie sich der neuen Chefin anvertraut. Die Apothekerin habe bereits gewusst, „was er für ein schlimmer Finger ist“.
Beide PTA fühlten sich in ihrer Situation allein. Keine traute sich, sich einem Kollegen zu offenbaren. Die Furcht überwog. Die sexuelle Belästigung führte dazu, dass sie „furchtbare Angst“ hatten, in die Apotheke zu gehen. Angezeigt wurden die Inhaber nicht, obwohl die PTA das Recht auf ihrer Seite haben. Denn jede Form – verbal oder nonverbal – der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ist laut Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verboten.
In Apotheken werde das Thema sexuelle Belästigung nur vereinzelt aufgegriffen, sind sich die betroffenen PTA einig. In Betrieben, in denen es an sich nicht nötig wäre, werde darüber gesprochen – beispielsweise weil es eine Chefin gebe oder weil der Inhaber ein vehementer Gegner von sexueller Belästigung sei.
In Apotheken, in denen sexuelle Anspielungen fielen – und sei es nur als „lockerer Spruch“ – sei das Thema tabu, besonders wenn der Inhaber selbst die Grenzen verletze. „Den beteiligten Frauen ist es zu unangenehm, in Gegenwart des Chefs darüber zu sprechen. Und das spielt ihm natürlich in die Hände.“
Die aktuelle #metoo-Debatte, die vor allem aus Hollywood bekannt wurde, haben die beiden PTA nur am Rande mitbekommen. Beide sind der Ansicht, bei ihnen habe es vor allem am jungen Alter gelegen, weshalb sie zum Opfer wurden. Heute würden sie „andere Signale“ senden, um nicht mehr so leicht angreifbar zu sein.
Etwas anders gelagert war ein Fall in Süddeutschland. Hier hatte der Vertreter des Chefs, also eine besondere Vertrauensperson, mindestens drei Mitarbeiterinnen sexuell belästigt. Eine nicht betroffene Kollegin sprach den Inhaber schließlich auf die Vorfälle an. „Sie hat das sehr diplomatisch getan, aber mich als Chef auch in die Pflicht genommen, dass ich meine Mitarbeiterinnen selbst ansprechen soll“, berichtet der Apotheker.
Die Angestellten hatten sich offenbar vorher nicht getraut, das Thema zur Sprache zu bringen. Doch als der Inhaber selbst fragte, brachen schnell alle Dämme. Der angestellte Apotheker soll etwa vorschlagen haben, die Ablagefächer für die Angestellten „nach Oberweite“ zu verteilen. Doch es blieb nicht bei verbalen Übergriffen: Der Apotheker soll auch „physische Hilfestellung“ gegeben haben, wenn eine Mitarbeiterin etwa auf einer Leiter stand – auch wenn sie dies zuvor deutlich abgelehnt hatte.
Wichtig aus Sicht des Inhabers: „Ich habe meinen Mitarbeitern sofort gezeigt, dass das nicht in meinem Sinne war.“ Und tatsächlich hatte der Delinquent sich nur in Abwesenheit des Chefs so verhalten. Als er von diesem zur Rede gestellt wurde, habe er zunächst alles abgestritten und das Ganze dann relativiert, Tenor: Die sollen sich mal nicht so anstellen.
Er wurde noch am selben Tag nach Hause geschickt. Schließlich einigte man sich auf eine Vertragsauflösung. So kam der Täter zwar um eine Anzeige herum. Doch der Inhaber wollte seine Mitarbeiterinnen auch ersparen, in der Sache aussagen zu müssen.