Berufskrankheit

PKA: Long Covid durch Maskenausgabe

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Berlin -

Während der Pandemie waren die Apothekenteams einem besonders hohen Risiko ausgesetzt, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Daher kann Long Covid in diesem Zusammenhang als Berufskrankheit gelten, hat das Sozialgericht München entschieden.

Die heute 44-jährige PKA war am 4. Januar 2021 per PCR-Test positiv auf das Coronavirus getestet worden. Sie hatte in der Woche vor Weihnachten sowie zwischen den Jahren gearbeitet und nach eigenen Angaben in ihrem privaten Umfeld keinen Kontakt mit einer infizierten Person gehabt. Die Feiertage und Silvester habe sie mit ihrem Mann zu Hause verbracht, der wegen einer Knie-OP ohnehin im Krankenstand gewesen sei und das Haus nicht habe verlassen können.

Weil sie sich – bis heute – nicht erholte, beantragte sie die Feststellung einer Berufskrankheit nach Berufskrankheitenverordnung (BKV). Doch die Berufsgenossenschaft lehnte ab: Eine konkrete Indexperson habe die Versicherte nicht benennen können. Auch der Widerspruch wurde zurückgewiesen: Die bloße Möglichkeit einer beruflichen Ansteckung reiche für den Nachweis nicht aus.

Der Fall ging vor Gericht. Zwar gelang es der PKA nicht, die Ansteckung nachvollziehbar darzulegen. Im Team gab es laut Inhaberin keine positiven Fälle, und die angebliche Testung von Ärzten im Beratungsraum ließ sich für die Richter nicht plausibel nachvollziehen.

Aber darauf kam es auch gar nicht an. Denn laut Nr. 3101 der Anlage 1 BKV sind Infektionskrankheiten erfasst, wenn „der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war“.

Genau dies war laut SG der Fall. Als PKA habe sie im Rahmen ihrer versicherten Tätigkeit im maßgeblichen Zeitraum „eine Vielzahl und auch im Vergleich zur üblichen Tätigkeit in einer Apotheke eine deutlich erhöhte Anzahl an potenziell übertragungsgeeigneten Kontakten“ gehabt.

Warteschlange im Treppenhaus

Denn während zu jener Zeit die Kontakte der Allgemeinbevölkerung auf ein Minimum beschränkt wurden – ab dem 13. Dezember 2020 waren nur noch private Zusammenkünfte von fünf Personen erlaubt, ab dem 16. Dezember wurden Einzelhandel und Dienstleistungsbetriebe ebenso wie Büros und Betriebe sowie Schulen und Kitas geschlossen – mussten die Apotheken ab dem 15. Dezember kostenlose Schutzmasken verteilen.

Auch in der Apotheke, in der die PKA beschäftigt war, hätten laut ihrer Schilderung „Unmengen an Leuten“ FFP2-Masken abgeholt. Die Kunden hätten im Hausflur Schlange gestanden, einen ausreichenden Luftaustausch gab es angesichts der baulichen Situation nach Überzeugung des Gerichts nicht.

Der empfohlene Mindestabstand von 1,5 Metern habe sich auch bei der Übergabe von Medikamenten, Masken sowie der Entgegennahme der jeweiligen Personalausweise oft nicht einhalten lassen. Plexiglasscheiben seien noch nicht montiert gewesen, eine FFP2-Maskenpflicht bestand zum damaligen Zeitpunkt noch nicht. „Damit war von einer erheblichen Anzahl an Kunden auszugehen, die einen einfachen Mund-Nasenschutz beziehungsweise teilweise auch gar keinen Mund-Nasenschutz trugen, wenn sie ein entsprechendes Attest vorlegen konnten.“ Auch dies hätten die PKA und ihre Chefin glaubhaft und nachvollziehbar angegeben.

Erhöhte Infektionsgefahr

Sieben Arbeitstage lang kommen demnach für eine mögliche Ansteckung in Betracht, bei „deutlich frequentiertem Kontakt mit potenziell übertragungsgeeigneten Personen“. Laut Gericht steht damit fest: „Vorliegend war eine tätigkeitsbezogene besonders erhöhte Infektionsgefahr für die Kammer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Die Wahrscheinlichkeit einer Infektion in der Allgemeinbevölkerung war zum damaligen Zeitpunkt wesentlich geringer.“

Auch wenn die Prävalenz damals hoch gewesen sei, seien eindeutige außerberufliche Infektionsquellen nicht ermittelbar. Ihr Ehemann als einziger nachgewiesener Kontakt habe später Symptome entwickelt, sodass davon auszugehen sei, dass er sich bei ihr angesteckt habe und nicht umgekehrt.

„Für die Kammer war damit das Merkmal der haftungsbegründeten Kausalität unzweifelhaft gegeben. Es sprach deutlich mehr für eine berufliche als eine private Ansteckung, sodass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die berufliche Tätigkeit der Versicherten als Ursache der Infektion vom 4. Januar 2021 anzunehmen war.“

Erst kurz vor Weihnachten hatte das SG Heilbronn im Zusammenhang mit einem Pfleger entschieden, das Long Covid als Berufskrankheit nach Nr. 3101 einzustufen ist; eine andere Auffassung sei jedenfalls zum aktuellen Zeitpunkt nicht mehr haltbar. Schließlich liege mittlerweile eine S1-Leitlinie zu Long/Post-Covid vor und in der unfallversicherungsrechtlichen Literatur seien sogar bereits Erfahrungssätze zur MdE-Bewertung beim Vorliegen eines Post-Covid-Syndroms veröffentlicht worden.

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