Pharmazieingenieure

Zwischen Edel-PTA und Light-Apotheker

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Berlin -

Pharmazieingenieure sind eine aussterbende Spezies: Bereits vor der Wende, im Jahr 1988, begannen die letzten Schüler ihr Studium in Leipzig. Noch heute verschafft die Berufsgruppe, die stärker von Frauen geprägt wird als jede andere in der Apotheke, den Arbeitgebern einen wichtigen Wettbewerbsvorteil: Pharmazieingenieure stellen Arzneimittel her, geben Medikamente an Kunden ab und können für eine gewisse Zeit sogar einen Apotheker vertreten.

Der Beruf des Pharmazieingenieurs ist aus dem Apothekenassistenten hervorgegangen. Letzterer wurde 1951 eingeführt, weil nach dem Zweiten Weltkrieg ein gravierender Mangel an pharmazeutischem Fachpersonal die Versorgung mit Arzneimitteln bedrohte. Es musste schnell pharmazeutisches Personal her – und so wurde ein neuer Beruf mit einer zweijährigen Ausbildung geschaffen. In Leipzig entstand erstmals in Deutschland eine Einrichtung zur Ausbildung mittlerer pharmazeutischer Fachkräfte.

1970 wurde entschieden, den Beruf weiterzuentwickeln. Die Fachschulkader sollten in Leitungspositionen eingesetzt und mit verantwortlicheren Aufgaben als bisher betraut werden. Die Ausbildung wurde kurzerhand auf drei Jahre verlängert. Sie fand weiterhin in Leipzig statt, die ehemalige „Fachschule für Apothekenassistenten“ wurde 1971 in „Ingenieurschule für Pharmazie“ umbenannt.

Die Ausbildung zum Pharmazieingenieur war zentral organisiert, die Schule in Leipzig war die einzige Ausbildungsstätte der DDR. Damals folgte auch in der Ausbildung die Nachfrage dem Angebot: „Es wurde irgendwo eine große Schule gebaut und die Wohnheime dazu“, erklärt Oberstudiendirektor Gerhardt Taube, der die Schule von 1976 bis 1992 leitete.

Es gab verschiedene Formen, die Ausbildung zu absolvieren. Die meisten Schüler lernten im Direktstudium, aber fast genauso viele im Fernstudium. So etwa Barbara Völker. Sie lebte in Halle, etwa eine Stunde von Leipzig entfernt. „Ich wollte immer weiter arbeiten und Geld verdienen“, sagt sie. Deshalb entschied sie sich für das Fernstudium. Anders als das Direktstudium kostete das Fernstudium 80 Mark je Studienjahr und dauerte vier statt drei Jahre.

Jeden Dienstag ging Völker in die Klosterschule in Halle, eine Außenstelle der Leipziger Ingenieurschule, und bekam dort Hausaufgaben für die kommende Woche. Die erledigte sie abends nach der Arbeit oder am Wochenende. Vor dem Studium arbeitete Völker zunächst als Hilfskraft mit Abitur in einer Apotheke und qualifizierte sich in zweieinhalb Jahren zur Apotheken-Facharbeiterin. Damit stand ihr der Weg zum Studium offen. Nach Leipzig musste sie während der Ausbildung nie, selbst ihr Zeugnis bekam sie in Halle.

Sabine Stern studierte direkt in Leipzig und wohnte in dieser Zeit in einem der beiden Wohnheime. „Das Wohnheim direkt an der Schule war vor allem für Mütter mit Kindern sehr praktisch. Ein zweites Wohnheim gab es im Neubaugebiet, dort war man zu fünft oder sechst in einem Zimmer“, erinnert sie sich. Für zwei Zimmer – eine Wohneinheit – gab es jeweils ein Bad mit drei Waschbecken und auf dem Gang Gemeinschaftsduschen für insgesamt zwölf Wohneinheiten. Pro Etage gab es außerdem einen Klubraum, in dem man sich mit seinen Kommilitonen treffen konnte.

Das Studium von 1986 bis 1989 hat Stern in guter Erinnerung: „Es war gut organisiert und es gab viele Laborplätze.“ Das Direktstudium war kostenlos, außerdem erhielten die Schüler ein Stipendium für Wohnung und Lebenskosten. Bücher beispielsweise mussten selbst bezahlt werden. „Ich fand das Direktstudium besser“, so die Pharmazieingenieurin. Es bescherte ihr auch besondere Erinnerungen, etwa als sie und ihre Kommilitonen beim Beginn des Studiums von den älteren Semestern verschaukelt wurden.

Nach dem Studium kam die Lenkung. Das bedeutete, dass die fertige Pharmazieingenieurin dahin geschickt wurde, wo der Staat sie brauchte – in Sterns Fall Bitterfeld/Wolfen. „Da wollte niemand hin.“ Zwar hatte der Betrieb, in dem sie zuvor gearbeitet hatte, sie zurückgefordert, aber die endgültige Entscheidung lag beim Bezirksapotheker. Immerhin, die vollen drei Jahre musste sie nicht in Bitterfeld bleiben – die Wende rettete sie. „Dann dachte jeder, jetzt könne er arbeiten, wo er möchte – aber dann kam die Privatisierung und überall wurde an den Leuten gespart“, erinnert sich Stern. Sie hatte Glück und konnte nach Quedlinburg zurückkehren.

Beide Frauen haben – ganz klassisch – eine Ausbildung zum Apotheken-Facharbeiter absolviert und anschließend studiert. „Die Ausbildung war anders, es wurde ein Beruf vorausgesetzt“, erklärt Taube. Lediglich zwischen 1972 und 1979 konnten im Rahmen einer Sonderregelung auch Abiturienten ohne einen solchen Abschluss das Studium beginnen.

Taube sieht durchaus Vorteile: „Die DDR hatte ein durchgängiges Bildungssystem“, erklärt er. Man habe ohne Abitur den Facharbeiter machen, dann die Fachschule und anschließend die Hochschule besuchen können. „Das haben einige Schüler gemacht und sind noch leitende Apotheker oder Bezirksapotheker geworden“, sagt Taube. Diese Durchgängigkeit hält er für vergleichsweise fortschrittlich. „Heute ist man PTA und dann geht es nicht weiter.“

Im Apothekenalltag arbeiteten Pharmazieingenieure selbstständig und eigenverantwortlich. Sie leiteten Apothekenassistenten, Facharbeiter und Lehrlinge an, stellten Arzneimittel her, gaben Medikamente an Patienten ab und durften den Apothekenleiter auch vertreten. Allerdings: „Zu DDR-Zeiten standen die Pharmazieingenieure bei der Vertretung erst an dritter Stelle: Wichtigster Vertreter des Apothekenleiters war der Fachapotheker, an zweiter Stelle standen Apotheker ohne Spezialisierung und erst dann folgten Pharmazieingenieure“, erklärt Taube. Und schon zu DDR-Zeiten habe es Forderungen gegeben, nur Apotheker als Vertretung zu erlauben.

Tatsächlich wurde der Beruf des Pharmazieingenieurs schon zu DDR-Zeiten abgeschafft und nicht – wie oft angenommen – nach der Wende. „Das war eine formale Entscheidung, um das Bildungssystem an die internationalen Systeme anzupassen“, erklärt Taube. Das DDR-System habe drei Qualifikationen vorgesehen, den Facharbeiter, die Fachschule und die Hochschule. „Aber es gab Probleme bei der internationalen Zusammenarbeit.“ Daher sei der Versuch unternommen worden, wenigstens in den Ostblockstaaten Mitläufer zu finden, so Taube. Aber Ungarn, Bulgarien und die Sowjetunion hätten sich nicht angepasst.

Auch bei der Beziehung zum Arzt zeigten sich Schwierigkeiten: Während sich die Mediziner inzwischen daran gewöhnt hätten, dass der Apotheker ihr Partner sei, „verhandelten Akademiker mit Fachschul-Kadern“, so Taube. Außerdem hätten sich die Anforderungen geändert: „Wir hatten am Anfang etwa 2000 Arzneimittel. Die waren zu beherrschen und darauf war die Ausbildung ausgelegt.“ Nun brauchte es aber mehr Apotheker. „Deshalb wurde die mittlere Ausbildung verkleinert und mehr Kraft in die Hochschulen gesteckt“, erklärt Taube. Die Apotheker lösten die Pharmazieingenieure ab.

In der BRD sei die Anpassung an internationale Standards bereits 1971 abgeschlossen gewesen: Die Fachschulausbildung sei gestrichen und Fachhochschulen seien eingeführt worden, so Taube. „Das haben wir dann ab 1986 gemacht.“ Eingeführt wurde der Pharmazeutische Assistent (PA), ein Beruf zwischen Facharbeiter und Diplomand und dem heutigen Pharmazeutisch-technischen Assistenten (PTA) entsprechend. Fertige PA gab es allerdings nie – dazwischen kam die Wende.

Diese Zeit hautnah miterlebt hat Friedhelm Schlüter. Er studierte selbst an der Ingenieurschule, wurde dann Lehrer und bildete zunächst Pharmazieingenieure, dann PA und schließlich PTA aus. Inzwischen ist er stellvertretender Direktor der Ruth-Pfau-Schule, die sich in den Räumen der alten Ingenieurschule befindet. Sie gehört seit 1993 zum Beruflichen Schulzentrum der Stadt Leipzig.

Schlüter absolvierte von 1982 bis 1985 die Ausbildung zum Pharmazieingenieur. Ursprünglich hatte er Pharmazie im Fernstudium studieren wollen – allerdings war diese Möglichkeit inzwischen wieder abgeschafft worden. Nach dem Abschluss des Fachschulstudiums arbeitete Schlüter zunächst als Assistenz an der Schule und studierte dann bis 1992 im Fernstudium Medizinpädagogik. Als die Schule zum Jahreswechsel 1993 vom Beruflichen Schulzentrum übernommen wurde, blieb er – anders als einige seiner Kollegen. „Nur ein Teil der Lehrer wurde übernommen, es lief nicht ganz reibungslos.“ Er selbst holte 2000 noch das Lehramt nach, um Rechtssicherheit zu haben. Denn: „Das Pädagogikstudium hatte ich nach Ostrecht begonnen, aber nach Westrecht beendet.“

Schlüter erlebte den Umbruch: 1988 wurden die letzten Pharmazieingenieure immatrikuliert, 1989 die ersten PA und ab 1990 nur noch PTA. „Die Schüler, die 1989 noch als PA angefangen haben, wurden dann PTA“, erzählt Schlüter. Für die Schüler habe sich nicht viel geändert, denn der Schulbetrieb sei durchgängig aufrechterhalten worden. Für die Lehrer war es hingegen eine Umstellung: „Wir waren auf Erwachsenenausbildung ausgerichtet, aber jetzt kamen Schüler, die noch nie in einer Apotheke waren und keine Ahnung vom Arbeitsalltag hatten.“

Die ehemalige DDR hatte damals das System der BRD übernommen. Doch eine Entsprechung für den Beruf des Pharmazieingenieurs gab es nicht. Es dauerte bis ins Jahr 2000, bis der Beruf anerkannt wurde und Pharmazieingenieure den entsprechenden Titel beantragen konnten: „Das Antragsformular bekam man zugeschickt, dann musste man 80 DM zahlen und bekam die Zusage, sich Diplom-Pharmazieingenieur FH nennen zu dürfen“, so Taube. Viele hätten sich erhofft, dass das auch tariflich eine Rolle spielen würde – tat es aber nicht. „Es war eine rein ideelle Anerkennung.“

 

Archivbeitrag vom 9. November 2015

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