Für die große Karriere ist nicht immer die allgemeine Hochschulreife erforderlich. Beispielsweise können PTA und PKA auch ohne Abitur Pharmazie studieren. Diese Möglichkeit nutzte Mays Yilmaz von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU): Sie nahm den langen Weg des Studiums auf sich und ist nun „scheinfrei“ – wie man es an der Universität sagt. Bald steht der Zweite Abschnitt der pharmazeutischen Prüfung an. APOTHEKE ADHOC erzählt sie, was sie bewegt hat, Pharmazie zu studieren.
„Du kannst noch nicht mal Deutsch! Wie willst du die PTA-Ausbildung schaffen?“, bekam Yilmaz damals von einem ihrer Lehrer an der Berufsschule zu hören, an der sie ihren Realschulabschluss machte. „Das sind unsere Steuergelder, die du verschleuderst.“ Von da an war der jungen Kurdin klar, dass sie aus Trotz weitermachen musste. „Wenn mir jemand sagt ‚du kannst es nicht!‘, dann muss ich es erst recht tun“, sagt die heute 30-Jährige mit Stolz.
Die junge Frau kam in Mardin, einer südostanatolischen Stadt, auf die Welt. Mit zehn Jahren kam sie dann mit ihrer Familie nach Deutschland, hier wurde sie in die fünfte Klasse eingestuft. „Ich komme von der Hauptschule“, erzählt sie. „Ich wollte aber danach unbedingt meinen Realschulabschluss machen und habe noch zwei Jahre dran gehängt.“
Die Diskriminierung an der Realschule hatte den Beginn eines neuen Lebenswegs katalysiert: Zuerst beginnt sie ihre Ausbildung im ostfriesischen Leer, musste dann aber aufgrund des neuen Jobs ihres Vaters zur PTA-Schule in Gelsenkirchen wechseln. „Ich habe nach dem Abschluss ein paar Jahre gearbeitet, suchte dann eine neue Herausforderung“, sagt Yilmaz. Sie machte danach eine berufsbegleitende Ausbildung zur staatlich geprüften Kosmetikerin und arbeitete danach nebenberuflich als Visagistin auf Hochzeiten. „Irgendwann wurde es langweilig“, gesteht sie. Sie entschied sich, das Abitur nachzuholen.
In der Apotheke, in der sie Teilzeit tätig ist, ließ sich eines Tages ein Mann bei ihr beraten. Ob man es als Zufall oder Schicksal deklariert, sei dahingestellt. Im Rahmen des Gesprächs stellte sich heraus, dass der Kunde ein Dozent für Pharmazie an der Universität Hamburg gewesen war. „Es ist neu, aber sie brauchen für das Pharmaziestudium nicht zwingend ein Abitur“, sagte er. „Informieren Sie sich doch auf der Website Ihrer Universität“, so sein Ratschlag. „Ich empfand das als Zeichen“, so die PTA. „Mach das“, sagte ihre innere Stimme. Sie wagte den Schritt. „Meine Chefs unterstützen mich, wo es nur geht und kaufen mir ohne Wenn und Aber hilfreiche Bücher für das Studium“, erzählt sie.
„Ich musste mich zuerst bei der Hochschule bewerben und danach bei hochschulstart.de“, erklärt die junge Frau den Bewerbungsprozess. Ihr nicht vorhandenes Abitur würde bei der zentralen Vergabestelle symbolisch mit der Note 4 zählen. „Die Universität Düsseldorf hat mir angeboten, eine Prüfung zu machen, um meine Note aufzuwerten“, fährt sie fort. „Doch ich wollte es erst mal so probieren.“
Sie gab sich die Wahrscheinlichkeit von 1 Prozent, dass sie so aufgenommen werden könnte. Dann kam der Zulassungsbescheid: Sie wurde angenommen. Auch von Bekannten hörte sie in dieser Zeit immer wieder Kommentare wie: „Du schaffst es nicht.“ Doch Yilmaz ließ sich nicht entmutigen. „Ohne es zu versuchen, würde ich es nach zehn Jahren bereuen“, sagt sie. Für sie sei Bildung sehr wichtig, deshalb wollte sie diese Chance nutzen, die ihr Deutschland bot.
Schnell habe sie gemerkt, dass das Studium viel von ihr verlangt: „Ich musste meine eigenen Grenzen überschreiten“, erzählt sie rückblickend. „Ich konnte keinen Benzenring zeichnen, kein Englisch und auch Mathe ist meine große Schwäche. Mir waren Wurzeln und Logarithmen bis dahin unbekannt, in der Hauptschule lernt man so was nicht. Nach zwei Wochen Uni wollte ich aufgeben“, gesteht Yilmaz. Es habe sie viel Fleiß und Disziplin gekostet, festzuhalten und weiterzumachen: „Ich habe in den Nachtstunden mit Youtube-Videos gelernt, Bücher und Freunde herangezogen. Aber im Endeffekt schreibst du die Klausur selbst.“
Eine Nachhilfe sei aus finanziellen Gründen nicht immer machbar gewesen. Vor allem musste sie auch einen Beitrag zum Unterhalt der Familie leisten. „Bei neun Geschwistern kann mein Vater nicht alles alleine übernehmen“, sagt Yilmaz. Das sei auch der Grund, warum sie zwischendurch das Studium unterbrechen musste. Deswegen habe sie auch länger als die Regelstudienzeit gebraucht. „Man muss das nicht in der vorgesehenen Zeit schaffen“, sagt sie. Jeder hätte eine andere Geschichte und andere Voraussetzungen. „Ich möchte Frauen Mut machen“, sagt Yilmaz. „Nirgendwo auf der Welt haben wir als Frau so viele Möglichkeiten wie in Deutschland.“ Das sollte man nutzen. Ihr Credo: „Wenn du es nicht versuchst, dann bist du schon gescheitert.“
Nach dem Examen würde sie gerne in Großstädten wie Berlin oder Hamburg leben und arbeiten. „Ich bin aber noch unsicher“, sagt sie, „bin aber sehr spontan.“ Doch bis zu den Prüfungen im September habe sie genug Zeit, zu überlegen. Jetzt stehe erstmal der Urlaub in Ägypten an.
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