Obsolete Rezeptursubstanzen: Blei, Quecksilber & Co. Alexandra Negt, 13.01.2020 09:02 Uhr
Einst Mittel der Wahl war, heute bedenklich und verboten: Schwermetalle wie Blei und Quecksilber wurden früher gegen Hautunreinheiten und Wundheilungsstörungen eingesetzt. Heute weiß man um das toxische Potenzial der beiden Elemente – so ist selbst der Einsatz von Quecksilber in Thermometern seit mehr als zehn Jahren verboten.
Blei
Das Element gehört zu den giftigen Schwermetallen. Wegen seiner hohen Atommasse eignet sich Blei in ausreichend dicken Schichten als Strahlenschutz. Heutzutage wird der Großteil an Blei für die Produktion von Autoakkus verwendet. Früher wurde es in dermalen Zubereitungen verarbeitet.
Bleipflastersalbe (Unguentum diachylon, Unguentum Plumbi oxydati): Da Bleisalze die stärkste adstringierende Wirkung aller Metallsalze besitzen, war die kutane Anwendung als Pflaster oder Zugsalbe jahrelang Mittel der Wahl bei der Behandlung von Hyperkeratosen. Das NRF enthielt zwei bleihaltige Rezepturen, eine in Kombination mit Salicylsäure. Bleipflastersalben besitzen keine belegte Wirksamkeit. Ihre Beschaffenheit kann durch Hypromellose-Salben adäquat ersetzt werden.
Damalige Herstellung des einfachen Bleipflasters nach DAC: Ein Teil Blei(II)-oxid wird in 2 Teilen Olivenöl dispergiert und unter ständigem Umrühren auf maximal 110 °C erhitzt. Durch Zugabe von heißem Wasser in kleinen Anteilen, wird bei gleichbleibender Temperatur das Pflaster gebildet. Inprozesskontrolle: Probe lässt sich in kaltem Wasser kneten ohne zu kleben. Das gebildete Glycerol wird bei 40 °C in Wasser ausgeknetet und die Masse bei 95 °C getrocknet.
Toxizität:
Blei wird kaum über die Haut aufgenommen. Elementares Blei ist in kompakter Form für den Menschen nicht giftig. Toxisch sind gelöste Bleiverbindungen sowie Bleistäube, die durch Verschlucken oder Einatmen in den Körper gelangen.
Bleivergiftung:
Eine Intoxikation mit dem Schwermetall zeigt sich selten in einer Akutsymptomatik. Das zumeist chronische Krankheitsbild äußert sich in verschiedenen irreversiblen Schädigungen wie kognitive Störungen, periphere Polyneuropathie und progressive Niereninsuffizienz. Über die Zeit entwickeln Betroffene Persönlichkeitsveränderungen sowie chronische Bauch- und Kopfschmerzen. Eine Therapie erfolgt mit Chelatkomplexbildnern – Dimercaptopropansulfonsäure (DMPS) ist Mittel der Wahl.
Quecksilber
Das Element gehört zu den sogenannten Übergangsmetallen. Wegen seiner hohen Oberflächenspannung benetzt Quecksilber andere Materialien kaum. Daher eignet es sich zum Einsatz in Flüssigkeits- und Kontaktthermometern. Seit dem 3. April 2009 ist das Inverkehrbringen von neuen quecksilberhaltigen Fieberthermometern, Barometern und Blutdruckmessgeräten innerhalb der EU verboten.
Amalgam:
Quecksilber bildet mit anderen Metallen spontan Legierungen. Diese werden als Zahnfüllmittel eingesetzt. Ein Gemisch aus Quecksilber und Silber härtet unter Amalgambildung im Zahn aus. Amalgam hat die Tendenz, sich durch Kaudruck auszudehnen, darüber hinaus hat es eine bakteriostatische Wirkung.
Bleichcreme:
In Bleichsalben liegt Quecksilber meist als anorganisches Quecksilbersalz (Quecksilberamidchlorid) und als metallisches Quecksilber vor. Der Quecksilbergehalt lag bei Konzentrationen bis zu 40 Prozent. Dunkelhäutige Menschen verwendeten die aufhellenden Cremes großflächig am ganzen Körper. Viele Frauen kauften die Salben, um Pigmentflecken und Altersflecken zu behandeln. Die jahrelange Anwendung führte zu einer Akkumulation des Giftes im Körper.
Desinfektionsmittel:
Früher wurde Quecksilber zur Wunddesinfektion genutzt. Lösungen wie Mercurochrom enthielten organische Quecksilbersalze (Quecksilber(II)-chlorid). Heute ist der wirksame Bestandteil eine Povidon-Jod-Lösung (Mercuchrom-Jod-Lösung).
Toxizität:
Die Giftwirkung hängt wesentlich von der chemischen Form ab, in der das Element vorliegt. Lösliche Quecksilbersalze besitzen eine ätzende Wirkung, die zu schlecht heilenden Geschwüren führen. Körpereigene Enzyme können Quecksilber methylieren. Das entstehende Dimethylquecksilber ist fettlöslich und kann die Zellmembran durchdringen. Das Schwermetall wird im ganzen Körper verteilt und reichert sich im Fettgewebe an.
Quecksilbervergiftung:
Akute Vergiftungen entstehen durch die direkte Aufnahme der Dämpfe. Auch chronische Vergiftung durch organische Verbindungen sind möglich. Die Symptome reichen von Müdigkeit, Kopf- und Gliederschmerzen, über Schlaflosigkeit, Lockerung der Zähne, blau-violette Verfärbungen an Zahnfleisch und Fingernägeln bis hin zu Lähmungen und Psychosen.
Heutige Gesetzgebung:
Das Arzneimittelgesetz (AMG) verbietet das Inverkehrbringen von bedenklichen Arzneimitteln (AMG § 5). Eine Bedenklichkeit besteht, wenn selbst bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen auftreten können. Wenn bestehende Bedenken nicht beseitigt werden können, dürfen Verschreibungen nicht beliefert werden (ApBetrO §17). Nach § 7 ApBetrO muss jede Rezeptur vor der Anfertigung auf Plausibilität geprüft werden. Das Ergebnis ist zu dokumentieren und vom verantwortlichen Apotheker freizugeben.