Migräne-Beratung: Was empfehlen die Leitlinien? Cynthia Möthrath/Alexandra Negt, 29.03.2022 08:03 Uhr
Die Behandlung von Migräne-Patient:innen kann schwierig sein. Obwohl die Auswahl an Therapieoptionen umfassend ist, werden viele Betroffene noch immer nicht leitliniengerecht versorgt. Im Rahmen der Selbstmedikation können verschiedene Wirkstoffgruppen empfohlen werden, auch im Rx-Bereich stehen verschiedene Substanzen zur Option. Vor allem in Sachen Prophylaxe hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Aktuell befinden sich weitere Wirkstoffkandidaten in der Prüfung. Eine Übersicht als Download gibt es hier.
Unter den Kopfschmerz-Beratungen stellt die Migräne eine Besonderheit dar. Viele Kund:innen können sie direkt klassifizieren und zuordnen. Mehr als 90 Prozent aller Kopfschmerzen entfallen auf Spannungskopfschmerz und Migräne. Unter letzterer leiden allein in Deutschland rund 100.000 Menschen. Hilfe wird bei der akuten Attacke vor allem in der Apotheke gesucht. Oft ist die Migräne jedoch noch nicht ärztlich diagnostiziert.
Wodurch zeichnet sich die Migräne aus?
- pulsierende, meist einseitige Kopfschmerzen
- Begleitsymptome wie Übelkeit und Erbrechen
- Lärm- und Lichtempfindlichkeit
- Verschlimmerung bei körperlicher Aktivität & Bewegung
- Sehstörungen
- eventuell Auftreten einer Aura (Schwindel, Flimmern und Blitze vor den Augen, Gesichtsfeldausfälle usw.)
Welche Medikamente stehen zur Option?
Eine Übersicht zu den möglichen Therapieoptionen als Download gibt es hier.
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ASS, Ibu & Co.
Für die Behandlung stehen verschreibungspflichtige und -freie Arzneimittel zur Verfügung. Bei leichten bis mittelschweren Attacken kommen vor allem Schmerzmittel wie Acetylsalicylsäure und Ibuprofen zum Einsatz. Bei vorliegender Kontraindikation gegen NSAID kann auch Paracetamol in hoher Dosierung helfen. Oft können Kombipräparate mit verschiedenen Analgetika die Migräne effektiv lindern. Manche Patient:innen sprechen auf die Wirkstoffe jedoch nicht an oder die Wirkung reicht nicht aus.
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Triptane
Eine Alternative können Triptane sein: Werden sie frühzeitig eingenommen, können sie die Schmerzstärke und auch die Anfallsdauer reduzieren. Beim erstmaligen Auftreten der Beschwerden und bei mehr als drei Anfällen pro Monat soll vor der Einnahme ein Arzt/eine Ärztin aufgesucht werden. Freiverkäuflich sind daher nur kleinste Packungsgrößen erhältlich. Triptane binden an die 5-HT1-Rezeptoren: Dadurch hemmen sie die Schmerzreizweiterleitung und vermindern die Ausschüttung von entzündungsfördernden Neuropeptiden. Aufgrund ihrer gefäßverengenden Wirkung dürfen sie jedoch nicht von allen Patient:innen eingenommen werden. Bei Vorerkrankungen wie Angina pectoris, Schlaganfall, Herzinfarkt oder vaskulären Risikofaktoren sind Triptane kontraindiziert. Innerhalb der Selbstmedikation dürfen Triptane ab 18 Jahren angewendet werden. Patient:innen über 65 Jahre sollten keine OTC-Triptane mehr einnehmen.
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Botox bei chronischer Migräne
Helfen freiverkäufliche Optionen nicht aus, kann der Arzt/die Ärztin weitere Wirkstoffgruppen verordnen. So ist beispielsweise bei chronischer Migräne eine Behandlung mit Botulinumtoxin A und B indiziert, wenn zwei orale Therapien nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben. Gemäß Leitlinie soll erst nach gescheiterter Botox-Therapie auf eine Antikörper-Therapie zurückgegriffen werden. Um die Kriterien einer chronischen Migräne zu erfüllen, muss der Betroffene über mindestens 15 Tage im Monat unter Kopfschmerzen leiden – acht davon müssen Migräne sein.
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CGRP-Antikörper
Unter den CGRP-Antikörpern befinden sich mittlerweile verschiedene Wirkstoffe auf dem Markt. Sie alle sollen der Prophylaxe von Migräneattacken dienen und deren Häufigkeit reduzieren. Erenumab (Aimovig), Fremanezumab (Ajovy), Galcanezumab (Emgality) und Eptinezumab (Vyepti) sind sowohl bei der episodischen als auch bei der chronischen Migräne Placebo überlegen. Zeigt sich nach drei Monaten keine Besserung, sollte die Therapie beendet werden.
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Mögliche Wirkstoffe im Off-Label-Use
Im Off-Label-Use kommen weitere Wirkstoffe zur Behandlung der Migräne in Frage: Neben den Betablockern Metoprolol und Propranolol haben sich auch der Calciumantagonist Flunarizin sowie die Antikonvulsiva Topiramat und Valproinsäure bewährt. Eine weitere Option im Off-Label-Use ist das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin.
Ditane & Gepante: Neue Wirkstoffe in der Pipeline
Aktuell befinden sich weitere Kandidaten auf der Zielgeraden: So könnte die Substanzgruppe der Ditane und Gepante künftig eine größere Rolle spielen. Aktuell gelten sie als die großen neuen Hoffnungsträger zur Behandlung und Prophylaxe der Migräne. Ein Vertreter der Ditane ist der Wirkstoff Lasmiditan: Die Substanz bindet ebenso wie die Triptane an den 5 HT1F-Rezeptor, hat aber keine vasokonstriktiven Eigenschaften.
Die Pathophysiologie der Migräne ist nicht nur durch eine Erweiterung der Hirnhautgefäße, eine erhöhte Trigenimus-Aktivität und aseptische Entzündungsreaktionen gekennzeichnet. Ebenfalls kommt es zur Freisetzung von Substanz P und dem Calcitonin-Gene-Related Peptide (CGRP): Das Neuropeptid wird zentral freigesetzt und gilt als starker Vasodilataor und Trigger für Entzündungen. Bei einer Migräne ist zu viel CGRP vorhanden. Dem „Calcitonin Gene-Related Peptide“ wird daher eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Migräne zugeschrieben.
Ein weiterer Ansatz sind daher Antagonisten am CGRP-Rezeptor, die sogenannten Gepante: In größeren randomisierten, Placebo-kontrollierten Studien zur Behandlung akuter Migräneattacken wurden die Wirkstoffe Ubrogepant und Rimegepant untersucht. Aufgrund ihres guten Sicherheitsprofils könnten Wirkstoffe dieser Gruppe auch bei Menschen mit kardiovaskulären Vorerkrankungen zum Einsatz kommen und somit eine Alternative zu Triptanen darstellen, wenn NSAID keine Wirkung zeigen.
Rimegepant vor der Zulassung
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat vor kurzem die Empfehlung für Vydura (Rimegepant, Biohaven/Pfizer) ausgesprochen. Erhält das Arzneimittel die Zulassung, wäre es das erste in der EU verfügbar Migräne-Therapeutikum, welches sowohl zur Behandlung wie auch zur Prophylaxe der Erkrankung eingesetzt werden kann. Im Vergleich zu den subkutan oder intravenös zu verabreichenden Antikörpern, wird Rimegepant jedoch oral angewendet.