Migräne-App soll Schmerz objektivieren Nadine Tröbitscher, 27.12.2016 09:18 Uhr
Quälende, anfallsartige einseitige Kopfschmerzen mit oder ohne Aura können unvorhersehbar sein und mehrere Tage andauern. Etwa zwölf Prozent der Menschheit ist von einer Migräne betroffen, bei der Hälfte der Patienten wurde die Erkrankung diagnostiziert. Das Berliner Startup Newsenselab hat für Migränepatienten die App M-Sense entwickelt, die potentielle Auslösefaktoren erkennt, Attacken dokumentiert und künftig ein Therapiemodul anbietet.
Die vier Gründer haben unterschiedliche Vorgeschichten. Maßgeblich beteiligt sind Stefan Greiner und Dr. Markus Dahlem. Greiner, der in eine WG lebte, war mit der Migräne aus nächster Nähe konfrontiert. Die Mitbewohnerin und deren Arbeitskolleginnen litten an den tückischen Kopfschmerzen. Greiner war an der Entwicklung des DB-Navigators beteiligt und für die Benutzerfreundlichkeit verantwortlich. Da lag es nahe, eine Software-Lösung für Migräne-Betroffene zu erarbeiten. Für das medizinische Knowhow holte er sich Dahlem ins Boot und rannte sprichwörtlich offene Türen bei dem Migräneforscher ein.
Vermuteten Greiner und seine Mitbewohnerin, das Wetter sei Schuld an der Migräne, kann Dahlem das widerlegen. Auch wenn etwa 80 Prozent auf das Wetter verweisen, ist es nur in fünf bis zehn Prozent der Migräneanfälle der Auslöser. Dahlem sieht die Gefahr, dass das Wetter ein erlernter Auslöser werden kann. Wichtig für die Betroffenen sei es, die vermeintlichen von den tatsächlichen Auslösern zu unterscheiden.
M-Sense soll die Krankheit objektivieren und den Patienten einen aktiven Umgang mit der Migräne ermöglichen. Die Zielgruppe sind „alle Betroffenen unterhalb der Chronifizierung. Patienten mit vier bis vierzehn Kopffschmerztagen pro Monat, die einen hohen Leidensdruck haben und die wiederkehrenden Attacken eine Rhythmik verfolgen“. Man spricht von episodisch häufigem Auftreten der Migräne und kann mit Hilfe der App eine leitlinienkonforme Therapie anstreben.
Die Mitarbeit des Patienten ist von großer Bedeutung um M-Sense zu personalisieren. Ziel der Gründer ist es nicht alles zu automatisieren. Die Nutzer der App müssen ihren Lebensstil und die Aktivität selbst tracken und eingeben wie viel sie getrunken haben und wie groß ihre sportliche Leistung war. Im Hintergrund läuft eine Wettersoftware. Der Userflow ist morgens und abends einzutragen und dauert etwa 40 Sekunden, wenn keine Migräne auftrat.
Wird eine Attacke eingetragen, werden dem Betroffenen zehn Fragen gestellt, wie zum Beispiel: Ist der Schmerz einseitig? Ist Übelkeit vorhanden? Ist der Schmerz stechend? Das Medizinprodukt kann dann zwischen einer Migräne und einem Spannungskopfschmerz unterscheiden. Dennoch erfolgt keine Diagnosestellung. Nutzer der App könnten jedoch mit einem Gesamtbericht über drei Monate mit ihrem Arzt besprechen.
Die Entwicklung steht laut Dahlem noch am Anfang, es liegt ein Jahr Entwicklungsarbeit hinter den Gründern und es werden noch mindestens zwei weitere Jahre nötig sein. Momentan ist noch das erste Modul auf dem Markt. Es werden aber weitere Module folgen. Die Gründer planen ein Therapiemodul mit Sportkonzept, Entspannungsübungen und das Modul Aufbau und Kompetenz, hier wird es um kognitive Verhaltenstherapie gehen.
Ein Audiofile soll die Anleitung zur Muskelentspannung nach Jacobson geben. Die Nutzer der App können sich dann Ziele setzten wie oft pro Woche und wie viele Muskelgruppen sie ansprechen wollen. Über zwei Monate wird dann ersichtlich, wie sich die Kopfschmerzintensität geändert hat.
Die Sportaktivität kann nicht überprüft werden, es sind aber Kooperationen geplant. Nutzer könnten zum Beispiel Vergünstigungen in Fitness-Studios erhalten. Laut Dahlem können „Ausdauersport im aeroben Bereich und Muskelentspannung die Migränehäufigkeit minimieren“. Betroffene müssen begleitend zur medikamentösen Therapie etwas tun um ihr Leiden zu verbessern. Generell seien die Betroffenen untertherapiert.
Das Therapiemodul soll im März starten. Die App ermöglicht dann eine Schmerzdatenanalyse und eine Tagebuchanalyse. Bis Februar bleibt M-Sense kostenfrei, dann werden voraussichtlich einige Teile kostenpflichtig wie das Therapiemodul. Die Basisversion aus Tagebuch, Dokumentation und Vordiagnose wird kostenfrei bleiben. Die Gründer sehen ihr Produkt als Entwicklungspartnerschaft mit den Betroffenen und sind mit den Krankenkassen über eine Kostenerstattung im Gespräch.