Kopfschmerzberatung: Komplexer als gedacht Cynthia Möthrath, 29.09.2020 08:00 Uhr
Kopfschmerzen gehören weltweit zu den häufigsten Schmerzarten. Viele Betroffene suchen Hilfe in der Apotheke – die Beratung kommt jedoch häufig zu kurz. Bei einem Wirkstoff- oder Präparatewunsch wird das entsprechende Mittel oft mit kurzen Hinweisen zur Einnahme abgegeben. Dabei sollte die Beratung viel umfassender und komplexer sein, um das geeignete Mittel für den Patienten zu finden. Außerdem kann die Apotheke bei zahlreichen Mythen zur Schmerzmittel-Einnahme Aufklärungsarbeit leisten.
Entgegen vieler Meinungen hat die Prävalenz von Kopfschmerzen in den vergangenen Jahren nicht zugenommen, die Zahlen sind seit langem konstant. Dennoch gehören Verkauf und Beratung von Schmerzmitteln zum Apothekenalltag, wie die PTA zum HV-Tisch. Doch grade das allzu alltäglich scheinende Thema bringt seine Tücken mit sich. „Der Kauf von OTC-Schmerzmitteln kann sich für das Apothekenpersonal als herausfordernde Beratungssituation darstellen“, erklärt auch Beate Löffler, Apothekerin aus Erlangen.
Kundenwunsch gezielt hinterfragen
Denn auch, wenn ein Kunde mit einem gezielten Wirkstoffwunsch in die Apotheke kommt, ist er nicht immer die beste Wahl. Wenn dann das Personal nicht konkret nachfrage, sei die Chance auf eine gute Beratung und eine sichere Anwendung von Schmerzmitteln vertan, erklärt Löffler. Wichtig sei, den Kundenwusch gemäß der BAK-Leitlinien zu hinterfragen: Unter welcher Art von Kopfschmerzen leidet der Kunde? Wann und wie oft? Wie sieht es mit dem Lebensstil, Grunderkrankungen und der Einnahme weiterer Medikamente aus? Mit welchen Wirkstoffen hat der Kunde bereits gute oder schlechte Erfahrungen gemacht?
Ein wichtiger Aspekt bei der Beratung sei vor allem festzustellen um welche Kopfschmerz-Art es sich handle – auch, wenn das Apothekenpersonal keine Diagnose stellen darf. „Den Kunden ist oft gar nicht klar, an welcher Art Kopfschmerz – meist Spannungskopfschmerz oder Migräne – sie eigentlich leiden.“ Vor allem durch die Frage nach einer Verschlimmerung bei körperlicher Aktivität und Abklären der Begleiterscheinungen sei die Kopfschmerz-Art oft gut abzuklären. Doch nicht jede Schmerzart lasse sich klar in ein Raster einordnen, manchmal seien Spannungskopfschmerz, Migräne & Co. nicht klar voneinander trennbar.
In folgenden Fällen muss der Kunde für eine genauere Abklärung zum Arzt geschickt werden:
- Bei täglichem, oder fast täglichem Auftreten (Schmerzen >10 Tage pro Monat länger als >3 Monate)
- nach Kopfverletzungen
- in Begleitung von hohem Fieber
- bei weiteren Beeinträchtigungen, z. B. Orientierungsverlust, Sprechprobleme, Gleichgewichtsstörungen, Schwindel
- bei erstmaligem Auftreten im Alter von über 40 Jahren
- wenn trotz Behandlung die Häufigkeit, Dauer oder Stärke zunimmt
- bei ungewöhnlichen Kopfschmerzen z. B. in Dauer, Heftigkeit, Charakter der Schmerzen
- bei Kindern
In allen anderen Fällen sei eine Selbstmedikation sinnvoll und angemessen. Wichtig sei bei der Beratung dann auf die richtige Einnahme von Schmerzmitteln hinzuweisen – „frühzeitig in der maximalen Einmaldosis, so wie es die Leitlinie empfiehlt.“ Auch bei der Auswahl der Substanz gibt es einiges zu beachten, denn nicht jede Substanz hilft jedem Patienten gleich gut. Das Ansprechen ist höchst individuell. „Wenn mir beim Akutschmerz 400 mg Ibuprofen nicht helfen, dann helfen auch höhere Dosen nicht“, erklärt Löffler.
Leitlinie empfiehlt Kombinationsanalgetika
Die S3-Leitlinie empfiehlt sowohl bei Spanungskopfschmerzen wie auch bei Migräne die Anwendung von Kombinationsanalgetika mit Coffein als Mittel der ersten Wahl, da deren Wirkung im Vergleich zu Monopräparaten bei einem größeren Prozentsatz nachgewiesen ist. „Analgetika können sich in ihrem Wirkeintritt um bis zu 30 Minuten und mehr unterscheiden“, so Professor Thomas Herdegen, Pharmakologe am UKSH in Kiel. Dennoch kommen als Mittel der ersten Wahl – je nach Kopfschmerztyp – auch die Einzelsubstanzen in Frage: Bei Spannungskopfschmerz wird ASS, Ibuprofen oder Diclofenac als Monosubstanz empfohlen, ebenso wie eine Kombination aus Paracetamol und Coffein. Bei Migräne stehen ASS, Ibuprofen, Paracetamol und Naratriptan zur Option. Keine explizite Empfehlung gibt es hingegen für Naproxen, ASS in Kombination mit Vitamin C oder auch Ibuprofen-Lysinat.
Auch für Patienten, die bereits ASS zur Thrombozytenaggregation nehmen, sind Kombinationsanalgetika Mittel der Wahl: Denn ASS ist in diesen Präparaten niedriger dosiert als bei der Verwendung als Monopräparat, eine Überdosierung wird dadurch umgangen. Außerdem kommt es durch die 3er-Kombi nicht zu Wechselwirkungen, denn NSAR wie Ibuprofen oder Naproxen sollen aufgrund der Rezeptorblockade nicht vor der Einnahme von ASS eingenommen werden.
Im Bereich der Kombinationsanalgetika gäbe es außerdem noch immer zahlreiche Mythen, mit denen aufgeräumt werden müsse, erklärt Löffler. Auch dabei kann die Apotheke helfen.
Mythos 1: Kombinationsanalgetika sind nicht so verträglich wie Monosubstanzen.
„Ein Mythos, der sich furchtbar hartnäckig hält, ist der, dass Kombinationsanalgetika viel mehr Nebenwirkungen haben als Monopräparate.“ Metaanalysen der Cochrane-Gesellschaft würden jedoch zeigen, dass sowohl Mono- wie auch Kombipräparate sicher und verträglich sind. Natürlich sei dabei nicht jeder Wirkstoff für jeden gleich gut geeignet. „Daher ist unsere Beratung in der Apotheke bei der Auswahl des richtigen Präparates auch besonders wichtig.“ Oftmals sei aber gerade die Dreierkombination aus ASS, Paracetamol und Coffein besonders gut verträglich, weil hier ein Synergieeffekt der Substanzen entstehe, der den Einsatz deutlich niedrigerer Dosen der einzelnen Wirkstoffe ermögliche.
Mythos 2: Kombinationspräparate führen häufiger zu Medikamenten-Übergebrauch-Kopfschmerz (MÜK)
„Das Risiko bei Kombinationspräparaten ist nicht höher als das bei Monopräparaten“, erläutert Löffler. Grundsätzlich würde man einen MÜK nicht so schnell entwickeln. Selbst bei einer häufigen Einnahme über ein bis zwei Monate sei nicht damit zu rechnen. Mit einer leitliniengerechten Anwendung – nicht mehr als zehn Tage pro Monat und nicht länger als drei Tage hintereinander – lasse sich ein medikamenteninduzierter Kopfschmerz vermeiden. Vor allem Patienten mit chronsichen Beschwerden seien gefährdet, daher müsse die Apotheke einiges an Aufklärungsarbeit leisten.
Mythos 3: Ibuprofen-Lysinat wirkt schneller als Ibuprofen
„Ein weiterer Irrglaube – vor allem innerhalb des Apothekenpersonals – ist, dass die Einnahme eines Lysinsalzes von Ibuprofen eine schnellere Wirkung bedingt.“ Die Annahme stütze sich auf pharmakokinetische Daten. In einer klinischen Wirksamkeitsstudie konnte dies jedoch nicht gezeigt werden, erklärt die Apothekerin. „Die modernen, sogenannten schnellen Analgetika werden zwar rasch aus ihrer Matrix freigesetzt, das sagt aber per se noch nichts über ihre Resorption und Bioverfügbarkeit beziehungsweise Anflutung im Gehirn aus – denn dort sollen sie wirken, und nicht im Magenlumen“, erklärt Herdegen. „Diese Prozesse werden fundamental vom Mageninhalt, also dem Essen, dem pH-Wert des Magensaftes und der gastrointestinalen Peristaltik ebenso beeinflusst wie vom Schmerz selbst.“
Mythos 4: Kaffee unterstützt die schmerzstillende Wirkung
Coffein ist in einigen Kombinationspräparaten als Co-Analgetikum enthalten, um die Wirkung der Einzelsubstanzen zu verstärken. Entgegen der Meinung eine Tasse Kaffee könne genauso gut helfen, sei er kein berechenbarer Wirkverstärker, gibt Löffler zu bedenken. Denn der Coffeingehalt im Kaffee sei sehr unterschiedlich. Auch wenn Patienten angeben vor der Einnahme bereits Kaffee getrunken haben, so ist die Einnahme von coffeinhaltigen Analgetika unproblematisch – bis zu 400 mg sind unbedenklich, bei Schwangeren sind es 200 mg.
Mythos 5: Coffein hält wach und erhöht den Blutdruck
Auf die Einnahme von Coffein reagieren viele Kunden zunächst skeptisch. Sie fürchten unter anderem bei einer abendlichen Einnahme nicht schlafen zu können. „Coffeinhaltige Schmerzmittel machen jedoch keine Schlafstörungen“, erklärt Löffler. Die enthaltene Dosis sei zu gering. Bei einer Beratung sei dennoch Fingerspitzengefühl gefragt. „Wenn ich merke, der Patient ist mit der Einnahme unsicher, empfehle ich ihm eine Alternative.“ Auch Bluthochdruckpatienten haben oft Bedenken – doch auch diese seien unbegründet. Bei der Einnahme von 160 mg Coffein komme es lediglich zu einer leichten Blutdruckerhöhung von etwa zwei bis drei mmHg. Zum Vergleich: Drei Etagen Treppensteigen lässt den Blutdruck um etwa 15/10 mmHg ansteigen.