Der Apothekenflüsterer Maria Hendrischke, 24.08.2016 10:14 Uhr
Manche Apothekenmitarbeiter gehen morgens mit Bauchschmerzen zur Arbeit, weiß Michel Eggebrecht. Er ist Wirtschaftspsychologe und hat sich auf das Konfliktmanagement in Apothekenteams spezialisiert. Dazu hat er ein Coaching für Inhaber entwickelt. Im Gespräch mit APOTHEKE ADHOC erläutert Eggebrecht typische Apothekenkonflikte und wieso ein gutes Betriebsklima Mitarbeiter bindet.
ADHOC: Gibt es in Apotheken auffällig viel Stress?
EGGEBRECHT: Das kann man so nicht sagen. In erster Linie war es meine Freundin, die mich auf Apotheken gebracht hat. Sie ist selbst Apothekerin und hat mir mehrfach von Konfliktsituationen aus dem Alltag erzählt. Sie meinte: „Eigentlich bräuchten Apotheken so jemanden wie dich.“ Aber es stimmt schon: Immer, wenn Menschen auf sehr engem Raum miteinander arbeiten müssen, kommt es leicht zu Problemen. Das ist in Apotheken der Fall. Hinzu kommt noch, dass die Mitarbeiter ständig mit dem belastenden Thema Krankheit konfrontiert werden. Zudem tragen sie eine hohe Verantwortung, dadurch steigt der Druck.
ADHOC: Sind Apotheker und PTA per se auf Krawall gebürstet?
EGGEBRECHT: Nein. Ich denke, die meisten sind sogar ziemlich harmoniebedürftig! Ich habe in diesem Jahr im Rahmen des Projekts „Miteinander in Apotheken“ mit insgesamt 20 Apothekenmitarbeitern Interviews zu Konflikten am Arbeitsplatz geführt. Darunter waren Teilnehmer unterschiedlichster Altersstufen und Bildungswege, also Apotheker, auch Filialleiter, PTA und PKA. Es waren durchweg sehr nette Gespräche. Apothekenmitarbeiter scheinen äußerst empathisch zu sein. Umso schlimmer, dass einige an ihrem Arbeitsplatz überhaupt nicht glücklich sind.
ADHOC: Was ist ein typisches Problem beim Miteinander in der Apotheke?
EGGEBRECHT: Häufig kommt es vor, dass Probleme nicht direkt auf den Tisch kommen. Die Gründe dafür können sehr unterschiedlich sein, manchmal mangelt es einfach an der Zeit: Es ist zu viel Arbeit zu erledigen, als dass man sich zusammensetzen könnte, um Konflikte zu besprechen. In anderen Fällen wiederum werden Probleme zu lange heruntergeschluckt – und an einem Punkt eskaliert es dann.
ADHOC: Was ist eine übliche Stresssituation zwischen Apothekenmitarbeitern?
EGGEBRECHT: Da gibt es das Problem der gegenseitigen Anerkennung: Nehmen wir eine PTA mit langjähriger Berufserfahrung und einen jungen, gerade erst approbierten Apotheker. Sie sind sich uneins bei einem Sachthema, es kommt zum Streit. Auch wenn die Diskussion mit sachlichen Argumenten geführt wird und ein Ende findet, ist es bis zur nächsten Auseinandersetzung meist nicht weit. Denn so ein Streit ist häufig nur ein Symptom. Die wahre Ursache für den Konflikt liegt dagegen darin, dass sich der eine vom anderen nicht genügend in seiner Kompetenz anerkannt fühlt.
ADHOC: Was ist belastender: Stress mit Kunden oder mit den Kollegen?
EGGEBRECHT: Stress mit den Kollegen. Dem Kunden kann man im Zweifel leichter aus dem Weg gehen, somit kommt es seltener zu schweren Konflikten. Doch um Kollegen kann man kaum einen Bogen machen, besonders auf so engem Raum wie in Apotheken.
ADHOC: Welche Berichte haben Sie schockiert?
EGGEBRECHT: Ausgesprochen viele Apothekenmitarbeiter sagten mir, dass sie schon einmal bei der Arbeit weinen mussten oder das bei einem Kollegen mitbekommen haben. Manche haben erzählt, dass sie morgens mit Bauchschmerzen zur Apotheke gehen. Das sind meist Mitarbeiter, die einen Jobwechsel anstreben. Einige PTA wollte aus der Apotheke aussteigen und in den Einzelhandel wechseln, etwa in eine Drogerie.
ADHOC: Kann eine Konfliktberatung das Problem des Fachkräftemangels lösen?
EGGEBRECHT: Der einzelnen Apotheke kann ein Coaching helfen. Denn ein negatives Arbeitsklima ist über die Branchen hinweg ein Hauptkündigungsgrund. Um gute Mitarbeiter zu halten, sollten Chefs ein positives Betriebsklima fördern.
ADHOC: Wie läuft Ihr Apothekencoaching ab?
EGGEBRECHT: Zum Coaching-Konzept gehören drei Sitzungen, die je etwa zwei Stunden dauern. Das Programm kostet insgesamt 890 Euro. Die Gespräche können persönlich, am Telefon oder online geführt werden. Dazu gehe ich mit dem Chef 42 Themen durch, die ich aus meinen Interviews mit den Apothekenmitarbeitern zusammengetragen habe. Dazu zählen beispielsweise die Themen Zusatzverkäufe oder Gerechtigkeit. Ich nutze in der Beratung das Online-Programm Coachingspaces von Delightex. Damit modelliere ich Situationen und frage, wie damit in der Apotheke umgegangen wird. Im Coaching geht es dann darum, gemeinsam die wichtigen Stellschrauben zu identifizieren und Möglichkeiten für Veränderungen zu diskutieren.
ADHOC: Hilft Ihr Coaching überhaupt, wenn der Konflikt mit dem Inhaber zu tun hat?
EGGEBRECHT: Mir wurde ein Fall geschildert, in dem sich das Team gegen den Chef verbündet hat. Oft ist es aber eher so, dass der Inhaber bestehende Konflikte unwillentlich verstärkt – und zwar, indem er sich heraushält. Die Mitarbeiter wünschen sich stattdessen, dass der Chef bei Streitigkeiten zwischen den Kollegen reagiert. Diese Erkenntnis sorgt bei vielen Chefs für ein Aha-Erlebnis.
ADHOC: Evaluieren Sie die Coaching-Maßnahmen?
EGGEBRECHT: Eine für alle Apotheken einheitliche Evaluierung gibt es nicht; dafür sind die Apotheken zu unterschiedlich und ihre Konflikte zu komplex. Allerdings frage ich etwa zwei Wochen nach den Gesprächen meine Kunden, wie zufrieden sie sind und was sich verändert hat. Überhaupt versuche ich, nach den Beratungen den Kontakt zu halten.
ADHOC: Was bieten Sie noch an?
EGGEBRECHT: Ich arbeite seit drei Jahren als Teamtrainer und Berater für Konfliktkommunikation – ursprünglich für den sozialen Bereich. Dabei habe ich ebenfalls eher kleine Teams mit höchstens 20 Mitarbeitern betreut. Die Trainings kann ich auch mit Apothekenteams durchführen.
Michel Eggebrecht hat einen Bachelor in Wirtschaftspsychologie von der privaten Hochschule Fresenius in Hamburg. Im Master studiert er an der Leuphana Universität Lüneburg Management und Human Resources. Über Jugendarbeit in seinem Zivildienst kam er zur Konfliktberatung. Eggebrecht lässt sich zum Mediator ausbilden und ist Trainer für Teams