Thüringen: Apotheken nicht systemrelevant genug

Keine Kindernotbetreuung – Apotheke droht Schließung

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Berlin -

In Thüringen sind hunderte Apotheker erbost: Offensichtlich sind sie für die Landesregierung nicht systemrelevant genug, als dass sie uneingeschränkten Anspruch auf Kindernotbetreuung hätten. Stattdessen wurden Pharmazeuten nur in die zweithöchste Stufe eingeordnet. Anders als beispielsweise Ärzte können sie ihre Kinder nur dann in die Kita geben, wenn beide Elternteile einen systemrelevanten Beruf ausüben. Was das bedeutet, erlebt Inhaberin Dr. Anke Ritter gerade am eigenen Leib: Eine ihrer angestellten Apothekerinnen kriegt keinen Platz. Wenn es schlecht läuft, muss sie deshalb ihre Filiale schließen.

In Thüringen hängen viele Apotheker gerade in der Luft, denn seit Montag gelten im Freistaat neue Regelungen für die Kindertagesbetreuung: Nicht nur dürfen maximal zehn Kinder in einer Gruppe sein, die Liste der von der Notbetreuung erfassten Kinder wurde auch um Bedarfs- und Berufsgruppen von A+ bis C erweitert. Wer in A+ fällt, dürfte wenig Probleme haben: Zu ihr zählen Kinder, bei denen ein Elternteil unmittelbar mit der Versorgung von Kranken oder pflegebedürftigen Personen betraut ist, oder Kinder von erwerbstätigen Alleinerziehenden. Bei ihnen wird nicht geprüft, ob auch der zweite Elternteil zu einer berechtigten Berufsgruppe gehört.

Unter A wie Apotheker sieht es da schon schwieriger aus: Denn hier sind die Kinder eingruppiert, deren Eltern im medizinischen, pflegerischen Bereich oder in Bereichen mit Verantwortung für die öffentliche Sicherheit arbeiten. Bei ihnen besteht ein Anspruch auf eine Notbetreuung jedoch nur, wenn auch der zweite Elternteil zur Notbetreuung berechtigt ist. Ist das nicht der Fall, stehen sie vor der Entscheidung, wer zu Hause bleibt. Kann der andere Elternteil das aus beruflichen Gründen nicht einrichten, gibt es gar nichts zu entscheiden.

Doch nicht nur die Regelungen an sich machen viele Apotheker wütend, auch deren Umsetzung. Denn so einheitlich wie in der Verordnung sieht es vor Ort nicht aus. „Es ist lokal von den Kitas abhängig, ob die Kinder genommen werden“, sagt Ritter, Inhaberin der Schloss- und der Osswaldschen Apotheke in Arnstadt. Planungssicherheit hat sie derzeit nicht: Bis Mittwochnachmittag sah noch alles danach aus, dass sie ihre Filiale, die Osswaldsche Apotheke schließen muss, weil ihre Filialleiterin keine Kinderbetreuung erhält. Das hat sich glücklicherweise noch mit einer Kita-Zusage geregelt. Trotzdem fällt ihr ab kommender Woche mit Sicherheit eine Apothekerin aus, weil sie keinen Betreuungsplatz erhält – und selbst das könnte schon reichen, dass die Filiale schließen muss.

Bei vier Pharmazeuten auf zwei Apotheken ist der Dienstplan ohnehin schon auf eng genäht. „Die eine Apotheke ist von 8 bis 19 Uhr geöffnet, die andere von 8.30 bis 18 Uhr. Da können sie ja rechnen, wie wir die Stunden vollkriegen.“ Hinzu kommen die Notdienste: Jede Woche ist sie mit einer ihrer Apotheken dran. „Das könnte ich zur Not noch alles selbst machen“, sagt sie. Doch bei Ritters Apotheken kommt noch etwas Gewichtigeres hinzu: die Zytostatikaherstellung. „Allein dafür brauche ich ja schon einen extra Apotheker für die Aufsicht“, erklärt Ritter. „Und das Zyto-Labor kann ich ja schlecht zu machen. Man kann Krebspatienten doch nicht sagen: ‚Tut uns leid, ihr kriegt keine Chemotherapie, weil die Apotheke keine Kinderbetreuung erhalten hat.‘“

Es sei schade, „dass die Regierung uns so hängen lässt“, befindet Ritter. Auch die Mitarbeiter hätten mehr Wertschätzung verdient, sagt sie und spricht damit auch ihrer Landeskammer aus der Seele. „Letztlich ist es keine sachliche Entscheidung, die die Ministerien da getroffen haben, sondern im Prinzip eine rein willkürliche“, kritisiert Geschäftsführer Danny Neidel. Das einzige Kriterium, das Eltern erfüllen müssten, um in die „Sondergruppe A+“ gerechnet zu werden, sei, dass ein Elternteil unmittelbar mit der Versorgung von Kranken oder pflegebedürftigen Personen betraut ist. „Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass irgendjemand in Frage stellen könnte, dass die Apotheke unmittelbar mit der Versorgung von Kranken betraut ist“, so Neidel.

Offiziell würden die Thüringer Ministerien das auch nicht in Frage stellen – sich aber stattdessen auf Schutzbehauptungen zurückziehen: Die Kindernotbetreuung dürfe nicht überlastet werden, womit durch die Erweiterung der Gruppe auf Alleinerziehende ohnehin zu rechnen sei, heiße es aus der Politik. „Es ist zweifellos eine schwierige Zeit, in der schwierige Entscheidungen zu treffen sind. Natürlich akzeptieren wir auch, wenn derzeit nicht alle Wünsche erfüllt werden und seien sie noch so berechtigt“, so Neidel.

Aber er reagiere „beinahe allergisch darauf“, dass die Ministerien nach außen so tun würden, als gäbe es gar kein Problem. „Wenn den Menschen, die derzeit nicht wissen, wie sie ihr Leben zwischen Familie und Apotheke organisieren sollen, von den Ministerien nun auch noch gesagt wird, ‚Also eigentlich ist Eure Arbeit doch gar nicht so wichtig‘, dann ist das für uns alle unerträglich“, kritisiert Neidel. Dabei seien im Austausch mit den Ministerien sogar konkrete Fälle diskutiert worden – unter anderem der von Ritters Apotheken. Davon hätten sie sich aber „nicht beeindrucken lassen“.

Aus Sicht der Kammer handelt es sich deshalb um eine „rein politische“ Entscheidung. „Schon, weil sie Sachargumente nicht berücksichtigt und letztlich unehrlich ist, kann dies keine gute Politik sein“, so Neidel. Wenn die Politik anders handele, als sie offiziell für sich in Anspruch nimmt, dann sei das nicht ehrlich. „Was die Menschen und Bürger in diesem Land aber gar nicht gutheißen, ist, wenn sie für dumm verkauft werden sollen“, so die Kammer in einem Brandbrief.

Und selbst wenn es mit dem Personal in dieser Situation gerade so passen sollte: Dann bleibt immer noch die Unsicherheit, dass die Notbetreuung ausfallen könnte. „Die funktioniert nämlich nur so lange, wie kein Kind auch nur einmal hustet“, sagt Ritter und spricht damit aus Erfahrung: Eine PTA sei ihr ausgefallen, obwohl sie eigentlich einen Betreuungsplatz hatte. Doch dann wurde das Kind nicht mehr genommen, weil es einen Schnupfen hatte – die Kita hatte Angst, es könnte sich um Covid-19 handeln.

 

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