Hirnvenenthrombosen: Auch ältere Frauen betroffen APOTHEKE ADHOC, 06.05.2021 07:57 Uhr
Bislang wurden Hirnvenenthrombosen nach einer Corona-Impfung meist bei jungen Frauen beobachtet. Eine Analyse der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zeigt nun jedoch ein anderes Bild: Demnach können auch ältere Frauen von der seltenen Nebenwirkung betroffen sein.
Nach den Meldungen über Sinusvenen- und Hirnvenenthrombosen in Zusammenhang mit dem Corona-Impfstoff von AstraZeneca kristallisierte sich relativ schnell heraus, dass vorwiegend junge Frauen ein erhöhtes Risiko aufwiesen. Die DGN hatte daraufhin alle neurologischen Kliniken in Deutschland dazu aufgefordert über derartige Fälle zu berichten, um ein gesammeltes Bild zu erhalten. Gemeldet werden sollten alle zerebralen Sinus- und Hirnvenenthrombosen (CVT) sowie ischämische und hämorrhagische Schlaganfälle, die innerhalb eines Monats nach der Corona-Impfung auftraten.
Nun hat die DGN die Ergebnisse ausgewertet: Insgesamt wurden der Fachgesellschaft 87 Meldungen übermittelt – bei 62 stellten die Experten einen möglichen Zusammenhang mit einem Corona-Vakzin her. Mehr als 85 Prozent der Fälle traten nach dem Impfstoff Vaxzevria von AstraZeneca auf, die anderen Fälle nach dem Impfstoff Comirnaty von Biontech/Pfizer. In Zusammenhang mit dem Vakzin von Moderna wurden keine Fälle berichtet – dieser wurde im Überwachungszeitraum jedoch deutlich weniger verimpft als die anderen beiden Kandidaten.
In fast allen Fällen – bei mehr als 95 Prozent – kam es unmittelbar nach der ersten Impfdosis zu den Vorfällen: Insgesamt traten 45 zerebrale Venenthrombosen, neun ischämische Schlaganfälle, vier Hirnblutungen und vier andere thrombotische Ereignisse auf. Das mittlere Alter lag bei 46,7 Jahren – mehr als 77 Prozent waren unter 60 Jahre alt.
Die Verteilung der einzelnen Ereignisse war wie folgt:
- Hirn- und Sinusvenenthrombosen: 37 Fälle Vaxzevria / 8 Fälle Comirnaty
- Ischämische Schlaganfälle: 8 nach Vaxzevria / 1 nach Comirnaty
- Hirnblutungen: 4 Vaxzevria / 0 Comirnaty
Unter Berücksichtigung der verimpften Mengen ermitteln die Experten damit für den AstraZeneca-Impfstoff eine mehr als neunmal höhere Rate bei den Hirn- und Sinusvenenthrombosen.
Mehr als 75 Prozent der Nebenwirkungen traten bei Frauen auf – „die Rate für Frauen war im Vergleich zu der von nicht weiblichen Personen mehr als dreimal erhöht“, so die Experten. In Bezug auf die CVTs waren sogar fast 78 Prozent weiblich. 80 Prozent – und damit der Großteil – waren unter 60 Jahre alt. Grundsätzlich könne die sehr seltene Nebenwirkung jedoch auch Männer und ältere Frauen treffen.
Eine Berechnung mit Bezug auf die Inzidenzrate pro 100.000 Personenjahre brachte zudem ein „neues Sicherheitssignal“: „Die Inzidenzrate der Hirnvenenthrombosen bei Frauen unter 60 nach Gabe des Astra-Zeneca-Impfstoffs betrug 24,2/100.000 Personenjahre, die von Frauen über 60 nach Gabe des gleichen Impfstoffs 20,5/100.000 Personenjahre.“ Die neuen Daten zeigen damit, dass auch ältere Frauen ein erhöhtes Risiko für CVTs nach der Impfung mit Vaxzevria haben. Die Experten schlagen daher vor „schnell eine neue Risiko-Nutzen-Analyse für Vaxzevria durchzuführen.“
Schnelle und zielgerichtete Behandlung notwendig
Zu Beginn war unklar, woher die seltenen Nebenwirkungen stammen. Als möglicher Pathomechanismus wird derzeit eine „vakzineinduzierte prothrombotische Immunthrombozytopenie“ (VIPIT) vermutet: Dabei werden durch die Impfung immunvermittelt Antikörper gegen Thrombozytenantigene gebildet. Die Deutsche Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin (DGNI) hat kürzlich erläutert, wie Patienten mit CVTs behandelt werden können: Bei einem eindeutigen Verdacht soll die Diagnose mithilfe eines MRT und einer MR-Venografie gesichert werden. Außerdem soll eine Labordiagnostik mit großem Blutbild inklusive bestimmter Parameter erfolgen. Eine Antikoagulation bei CVST-Nachweis soll nicht durch Heparin, sondern durch Argatroban, Danaparoid oder direkte orale Antikoagulantien (DOAK) erfolgen.
„Während Heparine bei (autoimmuner) Heparin-induzierten Thrombozytopenie kontraindiziert sind, ist eine parenterale Antikoagulation mit Heparinen bei bestätigter VIPIT möglich“, erläutert zudem die Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH). Bei einer HIT soll zudem die Applikation von intravenösen Immunglobulinen in Erwägung gezogen werden. Da es sich bei einer Hirn- und Sinusvenenthrombose um eine Form des Schlaganfalls handelt, sei mindestens die Behandlung auf einer Stroke Unit erforderlich. Komplikationen können beispielsweise in Form von Stauungsinfarkten oder - blutungen, Hirnödem, epileptischen Anfallsserien oder Status epilepticus auftreten.