„Happy Birthday“ Anti-Baby-Pille dpa/ APOTHEKE ADHOC, 18.08.2020 15:05 Uhr
Für die heutige Generation ist die Verhütung mit der „Pille“ kaum noch wegzudenken. Vor 60 Jahren gingen in den USA die ersten Anti-Baby-Pillen über den HV-Tisch – heute feiert sie damit skurilerweise ihren „Geburtstag“. Sowohl in der Gesellschaft wie auch in der Medizin und der Politik gibt es mittlerweile kontroverse Ansichten – der anfängliche Hype um die „Lifestyle-Droge“ gerät immer mehr ins Wanken. Denn zunehmend wird auch über die gravierenden Nebenwirkungen der Pille aufgeklärt.
Einfach, unkompliziert, zuverlässig: Als 1960 die erste Antibabypille mit dem Namen „Enovid“ (Mestranol/Norethynodrel) in den Vereinigten Staaten auf den Markt kam, eröffneten sich für Frauen neue Möglichkeiten. Die Pille habe das Konzept von Empfängnisverhütung neu definiert, heißt es in einer medizinhistorischen Studie. Mit der Studentenbewegung und der sexuellen Revolution in den 1970er Jahren wurde sie auch zum Symbol des gesellschaftlichen Wandels.
Die ersten „Pillen“ auf dem Markt
Zu Beginn war „Enovid“ für die Behandlung gynäkologischer Beschwerden zugelassen. Nach Tests – unter anderem in Puerto Rico, die heutige Standards, etwa für die Teilnehmerzahl, nicht erfüllen würden – wurde das Mittel zur Verhütung zugelassen. Frauenrechtlerinnen hatten den Anstoß für die Forschung gegeben. In Deutschland kam die erste Pille 1961 auf den Markt: „Anovlar“, wurde vorsichtig als Mittel zur „Ovulations- oder Familienkontrolle“ bezeichnet und nur an verheiratete Frauen abgegeben.
„Das Besondere an der Pille ist, dass sie von gesunden Frauen und über längere Zeiträume eingenommen wird“, sagt Medizinhistorikerin Lisa Malich von der Universität Lübeck. Unerwartet schnell habe sie sich zum Bestseller entwickelt, schon Mitte der 1960er-Jahre verhüteten Millionen Frauen damit. Dass manche Autoren darin das erste „Lifestyle-Medikament“ der Geschichte sehen, stößt bei der Expertin auf Skepsis: Damit werde die Bedeutung der Verhütung für Frauen unterschätzt. Risiken bei damaligen Abtreibungen waren schließlich auch einer der Faktoren für die Pillen-Entwicklung.
Mittlerweile ist die Pille aus den Schubladen der Apotheke nicht mehr wegzudenken. Es existiert eine Vielzahl an Präparaten, mit unterschiedlichen Wirkstoffen und Einnahmeschemata. Meist wird eine Kombination zweier künstlich hergestellter Hormone genutzt, die den körpereigenen Hormonen Östrogen und Gestagen ähneln. Sie bewirken, dass im Körper kein weiteres Ei heranreift und der Gebärmuttermund mit festem Schleim verschlossen wird, so dass es für Spermien kein Durchkommen gibt. Die Gebärmutterschleimhaut baut sich nicht neu auf. Die ersten und die heutigen Pillen unterscheiden sich deutlich.
Nebenwirkungen dämpfen Hype
Der positive Hype um die neue, einfache Verhütungsmethode wurde schnell gedämpft: Durch die einst deutlich höhere Östrogendosis sei auch das Risiko für Thrombosen und Lungenembolien etwas höher gewesen, schildert Christian Albring, Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte – und ebenso das für Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Wassereinlagerungen oder Zwischenblutungen. Gestagene habe es noch nicht in der heutigen Vielfalt gegeben.
Die Pille habe auch eine Frauengesundheitsbewegung herbeigeführt, erklärt Historikerin Malich: Themen wie Abtreibung, Pillen-Nebenwirkungen, Thrombose-Risiko und gefürchtete Folgen wie Krebs kamen öffentlich zur Sprache. Thrombosen und Embolien sind bis heute Thema: Wie der AOK-Bundesverband erklärt, bekommt mehr als die Hälfte der Frauen, die die Pille auf Kosten der Kassen verordnet bekommt, risikoreichere Präparate der neueren Generation.
Auch Frauenärzte sehen einen gestiegenen Beratungsaufwand: Albring erklärte, seit einigen Jahren werde bei jeder erstmaligen Verschreibung eines Präparats ein vorgeschriebener Meldebogen ausgefüllt und dabei ausführlich über das Thromboserisiko gesprochen. Die Vorsitzende des Arbeitskreises Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft, Ingrid Mühlhauser, erklärte hingegen kürzlich: „Die Informations- und Aufklärungsprozesse in den Arztpraxen entsprechen bisher nicht den wissenschaftlichen Anforderungen an informierte Entscheidungen.“ Frauen würden bisher unzureichend über Nutzen und Schaden der unterschiedlichen Verhütungsmethoden aufgeklärt. Viele Frauen sehen in der Pille eine „Lifestyledroge“, die reinere Haut und regelmäßige Zyklen verspricht – Nebenwirkungen werden häufig nicht als solche registriert oder in Kauf genommen. Experten kritisieren, dass viele junge Frauen nicht ausreichend über ihren eigenen Körper, den Zyklus und die Wirkung der Hormone Bescheid wissen.
Zunehmende Kritik an der Pille
In einer Studie von 2019 der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) erwiesen sich Pille und Kondom als etwa gleich beliebt unter sexuell aktiven Erwachsenen in Deutschland. Die BZgA konstatierte jedoch einen „Verhaltenswandel“: Im Vergleich zur Vorgängerstudie von 2011 nahm die Kondomnutzung zu, während die Pille an Zuspruch verlor, vor allem bei Frauen zwischen 18 und 29 Jahren. Insgesamt zeige sich „eine eher kritische Einstellung zu hormonellen Verhütungsmethoden“. Fast jede zweite Befragte stimmte der Aussage zu, dass Verhütung mit Hormonen „negative Auswirkungen auf Körper und Seele“ habe.
Verordnungsdaten belegen den Trend bei jungen Frauen. Vor allem jüngere Frauen, denen ein ökologisches Leben wichtig sei, würden häufig Kritik üben, meint Malich. Aber auch Technologien, die durch die Bestimmung des Eisprungs bei der Verhütung helfen sollen, spielten eine Rolle. Frauenarzt Albring zeigt sich mit Blick auf den Nutzen solcher Apps äußerst skeptisch. „Insgesamt sehen wir ein großes Interesse an natürlicher Verhütung, aber in der Praxis ist das nur für ganz wenige Paare ein sinnvoller Weg, meist wenn schon irgendwie ein bisschen ein Kinderwunsch besteht und es nicht schlimm ist, wenn dann doch eine Schwangerschaft eintritt.“
Viele Frauen suchen nach Alternativen zur Pille: In den vergangenen Jahren seien häufiger Spiralen eingesetzt worden als früher, weil es inzwischen kleinere, auch für junge Mädchen verträglichere Modelle gebe, so Albring. „Dass die Pille als Verhütungsmittel komplett durch andere Methoden ersetzt und abgelöst werden könnte, ist nicht abzusehen.“ Es gebe keine derartig zuverlässigen und alltagstauglichen Alternativen.