Gerinnungsfaktoren

Hämophilie-Präparate: Pro und contra Apotheke

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Berlin -

Am 1. September tritt die mit dem „Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ (GSAV) beschlossene Änderung der Hämophilie-Versorgung durch Apotheken in Kraft. Bislang lief die Versorgung über Ärzte in spezialisierten Hämophilie-Zentren. Für die Apotheken eröffnet sich ein neues Geschäftsfeld, zumindest für solche mit entsprechender Spezialisierung. Inzwischen haben sich 44 Apotheken im Verband der Hämophilie-Apotheken (VHA) zusammengeschlossen. Matthias Marschall, Vater eines Hämophilie-Patienten und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Hämophiliegesellschaft (DHG), hingegen befürchtet, dass die Versorgungsqualität durch die Umstellung leiden könnte.

In Deutschland leben etwa 10.000 Patienten mit Bluterkrankheit. Mit Hämophilie-Therapien wird ein Umsatz von einer Milliarde Euro erzielt. Die Handelsspannen kenne aber niemand, monierte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) im Zuge der GSAV-Gesetzgebung. Mit Hilfe der Apotheke als Vertriebsweg soll der Markt jetzt unter Kontrolle gebracht werden – Einkauf und Verabreichung der bei Hämophilie eingesetzten Arzneimittel sollen wieder getrennt werden. Bislang war laut § 47 Arzneimittelgesetz (AMG) die Apotheke für „aus menschlichem Blut gewonnene Blutzubereitungen oder gentechnologisch hergestellte Blutbestandteile, die, soweit es sich um Gerinnungsfaktorenzubereitungen handelt, von dem hämostaseologisch qualifizierten Arzt im Rahmen der ärztlich kontrollierten Selbstbehandlung von Blutern an seine Patienten abgegeben werden dürfen“ als Vertriebsweg ausgeschlossen.

Der Gesetzentwurf begründete die Umstellung wie folgt: „Grund ist, dass bei gentechnologisch hergestellten Blutbestandteilen kein Infektionsrisiko wie bei aus menschlichem Blut gewonnenen Produkten besteht. Insofern bestehen bei aus menschlichem Blut gewonnenen Produkten besondere Sorgfalts- und Dokumentationspflichten spenderbezogener Risiken. Diese Unterschiede rechtfertigen eine Differenzierung beim Vertriebsweg und der Abgabe.“ Die Änderung sei den Entwicklungen in der spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie geschuldet. Denn inzwischen sind gentechnologisch hergestellte Blutbestandteile und monoklonale Antikörper mögliche Therapieoptionen. Die Arzneimittelgruppen sind – im Gegensatz zu den Blutzubereitungen – vergleichbar im Herstellungsverfahren und sollen deshalb auch im Vertriebsweg gleichbehandelt werden, so die Gesetzesbegründung. Nebenbei mache der Vertriebskanal Apotheke die Preise transparent und die Rabatte einsehbar.

DHG-Chef Marschall hingegen beurteilt die Änderung durch die Brille der Betroffenen und führt deren Sorgen auf die Erfahrungen aus der Vergangenheit zurück: In den 1980er-Jahren häuften sich nämlich Fälle, in denen Hämophilie-Medikamente mit HIV verseucht waren, was zu einer Infektionswelle unter Hämophilie-Patienten führte. „Um dies in Zukunft zu vermeiden, wurde per Gesetz eine Ausnahme geschaffen, nach der für Blutprodukte, zu denen Hämophilie-Medikamente zählen, nicht der Apothekenvertriebsweg verpflichtend war. Stattdessen bekamen Patienten ihre Medikamente direkt von ihren behandelnden. Fachärzten in den Hämophilie-Zentren. Genau diese Regelung wird mit den Änderungen im GSAV nun wieder rückgängig gemacht“, so Marschall. Allerdings räumt auch er ein, dass für Gerinnungspräparate heutzutage eine hohe Sicherheit besteht – „aber eben keine absolute Infektionssicherheit“.

Wichtig ist aus Sicht der DHG daher, dass im Fall einer Verunreinigung genau nachvollzogen werden kann, woher das Medikament stammt und welche anderen Einheiten noch betroffen sein könnten. Nur so könnten andere Patienten gewarnt und geschützt werden. Marschall: „Um dies zu erreichen, dokumentieren Hämophilie-Patienten seit Jahrzehnten besonders sorgfältig, wann sie welches Präparat mit welcher Chargennummer verbraucht haben.“ Das geht laut DHG ganz einfach per App: Der behandelnde Arzt scannt die Chargennummer der Medikamente ein und der Patient muss dann nur noch aus der Liste in der App auswählen, welches Medikament er wann eingesetzt hat. Der Arzt kann diese Information dann aus seiner Version der App entnehmen und anonymisiert an das Deutsche Hämophilie-Register übermitteln.

Hier sieht Marschall mit der ab 1. September greifenden Versorgung durch Apotheken eines der Hauptprobleme: „Die Apotheken sind in diesen Prozess bisher nicht eingebunden. Sie müssen die Chargennummer schriftlich an die Ärzte übermitteln. Je mehr Instanzen zwischengeschaltet sind, desto höher ist die Gefahr, dass es zu Fehlern kommt.“ Einen Vorteil sieht der DHG-Vorsitzende aber in der wohnortnahen Versorgung über die Apotheken. Allerdings hätten sich die meisten Hämophilie-Patienten an die Versorgung durch die in Hämophilie-Zentrum gewöhnt. „Und da kann ich auch aus unserer Erfahrung sprechen: Wir und insbesondere mein Sohn kennen die Ärzte und Angestellten in unserem Zentrum bereits seit vielen Jahren. Hier hat sich ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, sodass das Hämophilie-Zentrum eine wichtige Anlaufstelle ist.“

Die Hämophilie-Zentren stellen laut DHG nicht einfach nur Rezepte aus. Dort diagnostizierten und behandelten erfahrene Spezialisten die Patienten mit Erkrankungen, mit deren Therapie nicht viele Ärzte Erfahrung hätten. Die Zentren bilden Mediziner aus und schulen auch Patienten und deren Eltern für die Behandlung zuhause. Hier sieht Marschall ein weiteres Problem: Weil Hausärzte jedes Jahr nur Medikamente in einem bestimmten Budget verschreiben dürften und Hämophilie-Medikamente sehr teuer seien, würde diese jetzt „vielleicht eine günstigere Alternative aufschreiben, ohne die spezifischen Wirkungen der jeweiligen Präparate auf die Patienten abschätzen zu können.“

Der DHG befürchtet zudem, dass durch die Umstellung auf die Versorgung durch Apotheken nach und nach die in den Hämophilie-Zentrum vorhandene Kompetenz zur Therapie von Hämophilie-Patienten verloren gehen könnte. Daher hält der DHG insbesondere zwei Dinge für notwendig: Es sei zum einen ganz wichtig, dass auch die Apotheken in der Dokumentation über die App angebunden werden, die Ärzte und Patienten nutzen. Außerdem fordert der DHG die Stärkung der Hämophilie-Zentren – sowohl finanziell als auch indem die Patienten sie weiterhin regelmäßig aufsuchen.

Sie könne die Bedenken der Patientenvertreter „gut verstehen“, sagt Claudia Neuhaus, Vorsitzende des VHA. Schließlich habe der Vertriebsweg über Jahrzehnte „reibungslos funktioniert“. Zugleich versucht sie die Sorgen der Patienten zu zerstreuen: Die Apotheken würden in der Hämophilie-Versorgung nur versuchen, „die alten Versorgungswege zu unterstützen“. „Wir werden kein eigenständiger Player sein“, so Neuhaus. In das bestehende Arzt-Patienten-Verhältnis würden die Apotheken nicht eingreifen, „wir unterstützen das“. Die Sorgen des DHG seien zudem unbegründet, dass ein Apotheker verordnete Arzneimittel austauschten oder Reimporte abgäben: „Wir beliefern das, was der Arzt verordnet. Der Arzt allein entscheidet über die Medikation.“ Es dürfe rechtlich nur das verordnete Arzneimittel abgegeben werden. Jeder Austausch sei ausgeschlossen, so Neuhaus.

Grundsätzlich könne jede Apotheke allerdings über den Weg der erforderlichen Dokumentation zum Arzt bei der Abgabe selbst entscheiden, so die Apothekerin weiter. Der VHA biete jeder Apotheke aber über den Anbieter Docuscan ein sicheres Tool für die Übermittlung an den Arzt an. „Ich sehe da kein Problem, jede Apotheke kann sich auch ohne Mitgliedschaft an uns wenden.“

Nach ersten Erfahrungen des DHG werden sich sowieso nicht alle Apotheken an der Hämophilie-Versorgung beteiligen. Einige Apotheken hätten bei der ersten Kontaktaufnahme durch Patienten bereits abgewinkt, berichtet die DHG. Denn die finanzielle Belastung sei hoch und groß die Sorge vor Retaxationen. Monatlich kostet ein Hämophilie-Patient bis zu 60000 Euro. Das finanzielle Risiko will offenbar nicht jede Apotheke eingehen.

 

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