Arzneimittel im Ramadan: Umstellung auf Zeit Dr. Kerstin Neumann, 06.06.2016 13:59 Uhr
In dieser Woche beginnt für die mehr als 3,5 Millionen Muslime in Deutschland der Ramadan. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang darf laut der muslimischen Lehre nicht gegessen oder getrunken werden. Häufig bestehen bei Gläubigen auch Bedenken, Medikamente einzunehmen. Bei Patienten mit chronischen oder schweren akuten Krankheiten ist ein Verschieben der Einnahme auf den späten Abend oder die Nacht aber schwierig. Hier sind individuelle Lösungen gefragt.
Das Fasten gehört wie auch das Bekenntnis zum Glauben, das tägliche Beten, die Almosen-Gabe und die Pilgerfahrt nach Mekka zu den fünf Säulen des Islams. Jeder Muslim ist daher zum Fasten verpflichtet, sofern er die Pubertät erreicht hat. Kranke und Altersschwache sind vom Fasten befreit; sie sollen stattdessen für denen versäumten Fastentag einen Bedürftigen speisen. Schwangere oder stillende Mütter können die versäumten Fastentage zu einem späteren Zeitpunkt nachholen. Frauen in der Menstruation ist das Fasten für die Dauer ihrer Tage untersagt, aber auch sie sind verpflichtet, die versäumten Tage nachzuholen.
Die Einnahme von Arzneimitteln stellt das Brechen der Fastenregeln dar. Zwar gibt es die Ausnahme für chronisch Kranke. Viele Gläubige wollen aber dennoch die Gebote des Ramadan einhalten. Besonders Menschen mit milden Symptomen, beispielsweise Bluthochdruckpatienten, unterbrechen häufig ihre Medikation im Ramadan, ohne mit einem Arzt oder Apotheker Rücksprache zu halten.
Nicht alle Arzneiformen sind aber nach den Regeln des Korans verboten. Die Inhalation mittels Dosierspray oder Pulverinhalator verstößt nicht gegen die Fastenregeln. Asthmatiker oder Patienten mit COPD oder akuter Bronchitis können ihre Arzneimittel daher in der Regel weiter anwenden. Augentopfen oder Salben können nach der Auffassung der meisten Muslime ebenfalls angewendet werden. Als nicht erlaubt nach den Koran-Vorgaben gelten hingegen neben oralen Arzneiformen auch Zäpfchen oder Nasentropfen.
Vielfach können zu Beginn des Fastenmonats Arzneimittel nach Rücksprache mit dem Arzt gewechselt oder die Dosis angepasst werden. Am sichersten während des Ramadans ist die Therapie mit Präparaten, die nur einmal täglich verabreicht werden müssen.
Eine Antibiotika-Therapie kann zum Beispiel von Wirkstoffen mit dreimal täglicher Gabe auf Azithromycin, das nur einmal täglich verabreicht wird, umgestellt werden, sofern die verursachenden Keime darauf ansprechen. Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis können kurz wirksame nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) gegen länger wirksame ausgetauscht werden. Epilepsiepatienten, die dreimal täglich Phenytoin einnehmen, können auf eine einmal tägliche Gabe einer höheren Wirkstoffmenge umsteigen. Studien belegen, dass dies wegen der langen Halbwertzeit des Wirkstoffes recht problemlos möglich ist.
Nicht vergessen werden darf dabei, dass die Umstellung einer Behandlung eine sehr sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung erfordert und nur in Absprache mit dem behandelnden Arzt erfolgen darf. Gerade schwer erkrankte Menschen, die beispielsweise nach einer Organtransplantation dauerhaft Immunsuppressiva einnehmen, sollten die Ausnahmeregelungen ihrer Religion in Anspruch nehmen.
Besondere Aufmerksamkeit muss Menschen mit Diabetes geschenkt werden. Da sich im Ramadan die Gewohnheiten und die Zeiten der Nahrungsaufnahme drastisch ändern, muss insbesondere bei insulinpflichtigen Diabetikern gut aufgepasst werden, dass es nicht versehentlich zu lebensgefährlichen Über- oder Unterzuckerungen kommt.
Typ-1-Diabetikern wird häufig vom Fasten abgeraten, um die Gefahr einer Ketoazidose auszuschließen. Mit einer gut kontrollierten intensivierten Insulintherapie (ICT) ist das Fasten aber durchaus möglich. Dabei kann der basale Insulinbedarf durch ein Verzögerungsinsulin auch im Ramadan beibehalten werden. Zusätzlich wird zu den Mahlzeiten die passende Menge kurz wirksames Insulin gespritzt. Die nach Sonnenuntergang zugeführten Broteinheiten werden dementsprechend mit Bolus-Insulin gedeckt. Bei konventioneller Insulintherapie muss die Dosis des Mischinsulins am Morgen verringert werden. Die zweite Injektion erfolgt dann erst nach Anbruch der Dunkelheit. Diese fällt geringer aus als sonst.
Bei der Verlegung der Einnahme oraler Antidiabetika in die Nachtstunden sollte der Patient einige Regeln beachten, um das Risiko von Hypoglykämien möglichst gering zu halten. Lang wirksame Sulfonylharnstoffe sollten nach Absprache mit dem Arzt beispielsweise durch kurz wirksame ersetzt werden. Erhält der Patient nur eine Tagesdosis, sollte er diese mit der Mahlzeit bei Sonnenuntergang einnehmen.
Den Diabetespatienten kann außerdem geraten werden, kurz vor Sonnenaufgang und bei Sonnenuntergang Nahrungsmittel mit hohem Faseranteil, zum Beispiel Vollkornprodukte, Früchte, und Gemüse zu verzehren. Auch Bohnen oder Hülsenfrüchte, die einen niedrigen glykämischen Index besitzen, lassen den Blutzuckerspiegel nicht zu schnell ansteigen. Dagegen steigt durch Weißbrot, Kuchen oder Chips der Blutzuckerspiegel sehr schnell an. Von den traditionell zum Fastenende bei Sonnenuntergang gegessenen Datteln sollte ein Diabetiker nur in Maßen essen.
Die Therapie sollte jedoch immer nur nach Rücksprache mit dem Arzt angepasst werden. Wenn Fragen offen bleiben, sollte der Patient spätestens eine Woche vor Fastenbeginn nochmals zum Arzt gehen. Wichtig bei allen Therapieformen sind häufige Blutzuckerkontrollen während dieser Zeit.
Ramadan bedeutet übersetzt „Sommerhitze“. Der Name ist arabisch und wird von der Wurzel ramida oder arramad abgeleitet, was „brennende Hitze und Trockenheit“ speziell des Bodens bedeutet. Der Name Ramadan wird daher auch auf das Hitzegefühl im Magen hin gedeutet, das vom Durst erzeugt wird. Der Ramadan findet nicht immer zum gleichen Zeitpunkt statt, da der Anfang sich nach dem islamischen Mondkalender richtet. Nach dem üblicherweise verwendeten Sonnenkalender verschiebt sich der Fastenmonat jedes Jahr um etwa zehn Tage nach vorne.