Arzneimittelmissbrauch

Dreimal Nasenspray, bitte! Deniz Cicek-Görkem, 12.04.2017 12:27 Uhr

Berlin - 

Apotheker und PTA sind fast täglich in Kontakt mit Kunden, die rezeptfreie Arzneimittel nicht bestimmungsgemäß oder offensichtlich missbräuchlich anwenden. Ein Klassiker sind abschwellende Nasensprays. In der Regel erweisen sich solche Kunden als beratungsresistent. Wie sollte das pharmazeutische Personal damit umgehen?

Täglich suchen mehr als vier Millionen Menschen die Apotheken auf in der Hoffnung auf Linderung ihrer gesundheitlichen Beschwerden. Da Arzneimittel für die Selbstmedikation einfach und ohne komplizierte Wege bezogen werden können, tragen auch die Discountpreise einiger Apotheken zu Mehrkonsum bei. Dies führt bei Kunden häufig dazu, dass Substanzen verharmlost und Nebenwirkungen unterschätzt werden.

Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) sind in Deutschland schätzungsweise mehr als 1,9 Millionen Menschen arzneimittelabhängig. Hinzu kommt eine unbekannte Anzahl an Menschen, bei denen ein Missbrauch rezeptfreier Arzneimittel vermutet wird. Von einem Medikamentenmissbrauch spricht man, wenn Medikamente ohne eine entsprechende Indikation, in unangemessen hoher Dosierung oder länger als notwendig eingenommen werden.

Etwa 10 bis 12 Prozent der OTC-Arzneimittel haben laut DHS ein Missbrauchspotenzial, im Rx-Bereich ist es etwa die Hälfte. In der Selbstmedikation gehören zu dieser Gruppe zum Beispiel Schmerzmittel, die nicht nur als Monopräparat, sondern auch in Kombination mit Coffein eingesetzt werden und damit gleichzeitig anregend wirken. Studien zufolge dosieren 5 bis 8 Prozent aller Kopfschmerzpatienten die Mittel zu hoch oder nehmen sie zu häufig ein. Hier sollte dem Kunden der Hinweis gegeben werden, dass der Dauergebrauch unter anderem zu analgetikaindizierten Kopfschmerzen führen kann.

Untersuchungen haben ergeben, dass bestimmte Personengruppe besonders gefährdet sind, Arzneimittel missbräuchlich anzuwenden. Zum Beispiel nehmen Frauen oder Menschen mit Essstörungen Laxantien im Übermaß ein und erhoffen sich dadurch eine Gewichtsregulierung. Doch auch hier lauern Gefahren: Wichtige Mineralien gehen verloren, dies führt zu Elektrolytstörungen sowie zu einem trägen Darm.

Häufig werden pflanzliche Arzneimittel mit einer besseren Verträglichkeit und wenigen Nebenwirkungen beworben. Teilweise erzeugt das bei Kunden den Eindruck, dass Medikamente auf pflanzlicher Basis ungefährlich sind. Beliebt ist auch das entwässernde Arzneimittel Biofax auf pflanzlicher Basis. Vermehrt wird das Medikament von Frauen angewendet: Ziel ist die Ausschwemmung störender Ödeme beziehungsweise eine vermeintliche Entschlackung. Bei unsachgemäßer Anwendung können unter anderem Elektrolytmangel, Nieren- und Herz-Kreislauf-Schäden auftreten.

Der Medikamentenabusus betrifft Menschen aller Altersgruppen: Junge Menschen neigen dazu, Kombipräparate mit Pseudoephedrin, Phenylephrin oder Coffein ohne medizinische Indikation einzusetzen, um die eigene Leistung zu steigern und Müdigkeitserscheinungen zu beseitigen. Aus dem Apothekenalltag ist bekannt, dass junge Cannabiskonsumenten Augentropfen mit vasokonstriktiven Eigenschaften verwenden, um die sichtbaren Folgen des illegalen Konsums zu überdecken. Als Fertigarzneimittel werden hier zum Beispiel Berberil- oder Proculin-Augentropfen genutzt.

Eine weitere kritische Substanz ist Dextrometorphan, ein rezeptfreies Opioid. Der Hustenstiller entfaltet seine Wirkung über das zentrale Nervensystem und kann bei Überdosierung halluzinogene und euphorisierende Effekte haben sowie zu Rauschzuständen führen. Es ist allerdings auch möglich, dass Menschen, die den Wirkstoff sehr langsam abbauen, schon in therapeutischen Dosen diese Wirkungen bei sich bemerken können.

Analysen der DHS zeigen, dass ältere Menschen besonders betroffen sind, Substanzen zu missbrauchen. Häufige Gründe zum Griff zur Tablette sind unter anderem depressive Verstimmungen und Schlaflosigkeit. Neben Schlaf- und Beruhigungstabletten werden auch alkoholhaltige Stärkungsmittel, wie zum Beispiel Klosterfrau Melissengeist, zu oft eingenommen.

Abgesehen von den Neben- drohen Wechselwirkungen. Ein Hauptgrund dafür ist die Polymedikation dieser oft multimorbiden Patienten. Aber auch veränderte Stoffwechselprozesse im Alter spielen dabei eine Rolle. Zudem kann Alkohol die Wirkung einiger Medikamente verstärken und Interaktionen begünstigen.

Kunden haben verschiedene Motive, weshalb sie Arzneimittel missbrauchen. Um so wichtiger ist es, die Hintergründe zu erfragen und sie über Risiken und Nebenwirkungen aufzuklären. Häufig können zum Beispiel Depressionen, Perspektivlosigkeit und Todesfälle die Ursachen sein. Eine offensive Beratungspolitik sowie Rat zur Konsultation von Arzt und Beratungsstellen können helfen, den Kunden zu sensibilisieren. Bei begründetem Verdacht auf Missbrauch ist die Abgabe zu verweigern. Laut DHS müssen Ärzte und Apotheker außerdem besser zusammenarbeiten.