Die Defektur lebt! Nadine Tröbitscher, 12.10.2018 13:14 Uhr
Mit der Änderung der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) im Jahr 2012 wurden die Anforderungen an Rezeptur und Defektur verschärft. Dabei ist die Defektur immer mehr zum Stiefkind in der Apotheke geworden. Dr. Michael Hörnig Leiter des Zentralen Prüflaboratorium des DAC ist dennoch sicher: „Die Defektur lebt!“ und spart Zeit und Geld.
Defekturen fallen unter den Begriff eines Fertigarzneimittels nach § 4 Arzneimittelgesetz (AMG) und sind gemäß ApBetrO Arzneimittel, die „im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs im Voraus an einem Tag in bis zu 100 abgabefertigen Packungen oder in einer diesen entsprechenden Menge hergestellt“ werden. Für die Herstellung auf Vorrat bedarf es laut § 21 AMG keiner Zulassung, wenn das Produkt zur Anwendung beim Menschen bestimmt ist und aufgrund einer „nachweislich häufigen ärztlichen oder zahnärztlichen Verschreibung“ erfolgt.
In den Apotheken ist seit 2012 die Verunsicherung hinsichtlich der Defekturherstellung groß. „Nur wenige Apotheken wagen sich auf das Feld der Defektur“, so Hörnig für den die Problematik auf der Hand liegt. „§ 8 ApBetrO gibt die normale Apothekenpraxis nicht wieder.“ So gelte dieser sowohl für die Kleinherstellung in Form der „verlängerten Rezeptur“ als auch für die „Großherstellung“ im Rahmen der Defektur, die pro Jahr eine Herstellung von 31.200 Packungen erlaubt. Die enorme Summe ergibt sich aus den erlaubten 100 Packungen pro Tag aufgerechnet auf sechs Tage pro Woche hochgerechnet auf 52 Wochen.
Will eine Apotheke eine Defektur herstellen, bedarf es beim Vorliegen einer nachweislich häufigen ärztlichen Verschreibung einer Risikobeurteilung – anders als bei einer Rezeptur, wo eine Plausibilitätsprüfung nötig ist – , einer Herstellungs- und Prüfanweisung und einer Arbeitsplatzvorbereitung. Dann folgt die Herstellung mit Einwaage- und Inprozesskontrolle, gefolgt von Qualitätskontrolle, Kennzeichnung und Abfüllen sowie der Freigabe als letzten Schritt.
Im DAC/NRF ist in Anlage J die Risikobeurteilung festgehalten. Diese gilt jedoch nicht für die Herstellung von Zytostatika. Im Rahmen der Risikobeurteilung sollen die Arzneimittelsicherheit, Dosierung und toxikologisches Potenzial der Wirkstoffe berücksichtigt werden. Bewertet werden Applikationsart/Darreichungsform, Sicherheit und Art des Herstellungsprozesses, wobei ein unsteriles Mischen ein geringes Risiko für die Patienten berge. Auch die Chargengrößen gehe in die Bewertung ein.
Das potenzielle Risiko wird in niedrig, mittel oder hoch unterteilt. Liegt ein niedriges Risiko vor, genüge eine Prüfung der analytischen Merkmale und galenischen Parameter. Eine Gehaltsbestimmung sei nicht nötig. Ist von einem mittleren Risiko für die Patienten auszugehen, müssen außerdem auch halbquantitative Analysen durchgeführt werden. Bei einem hohen Risiko ist eine qualitative und quantitative Prüfung vorzunehmen. Ziel sei laut Hörnig, durch eine Minimierung des Herstellungsrisikos durch technische und organisatorische Maßnahmen, den Prüfumfang zu reduzieren. Es gelte nicht die galenische Kompatibilität zu prüfen sondern toxikologische und herstellungsbedingte Risiken.
Um das technische Risiko zu minimieren, sollten folgende Schritte durchgeführt werden. Als Erstes eine Dokumentation der Arbeitsplatzvorbereitung im Vier-Augen-Prinzip, sei dies nicht möglich, könne auch ein Foto gemacht werden. Während der Herstellung sollten Kreuzkontaminationen verhindert werden. Hörnig empfiehlt außerdem eine Zwei-Waagen-Technik mit automatischer Protokollierung der Einwaage. Wobei Waage 1 der Rückwägung der Wägeunterlage nach Feinwaage dient und Waage 2 der Kontrolle der aufsummierten Mengen im Endbehältnis.
Zudem sind aussagekräftige Inprozesskontrollen durchzuführen. Geeignet sei eine Identitätsprüfung per INR vor der Einwaage. Dann könne auf eine weitergehende Analytik verzichtet werden. Jedoch verfügen derzeit nur 2000 bis 2500 Apotheken über ein entsprechendes Gerät. Nötig sind auch hinreichende analytische Prüfungen zur Freigabe.
Klingt zwar nach viel Aufwand, kann jedoch der Apotheke Kosten sparen. Denn die Herstellung einer Defektur bietet einen finanziellen Vorteil gegenüber der Rezepturherstellung. Ein Beispiel: Die Herstellung einer hydrophilen Betamethasonvalerat-Creme zu 0,1 Prozent als Bedarf für zwei Wochen von 20 Einheiten zu je 50 g. Für die Gesamtkalkulation ergeben sich Herstellungskosten von etwa 156 Euro bei einem Zeitbedarf von geschätzten 265 Minuten. Pro Einheit kostet eine Creme etwa 7,80 Euro, der Kasse können pro Einheit etwa 25,30 Euro in Rechnung gestellt werden, was eine Gesamtsumme von etwa 506 Euro ergibt – ein Plus von etwa 17,50 Euro pro 50 g-Einheit. Daraus ergibt sich ein „Gewinn“ – Betriebskosten nicht berücksichtigt – von etwa 350 Euro bei einer Abgabe von 20 Einheiten.
Werden jedoch 20 einzelne identische Rezepturen hergestellt, ergeben sich Herstellungskosten von 210 Euro bei einem Zeitaufwand von etwa 640 Minuten. Der „Gewinn“ reduziert sich auf etwa 300 Euro, aber die Defekturherstellung ergibt eine Zeitersparnis von etwa 375 Minuten. Die Herstellung einer Defektur ist somit wirtschaftlich und organisatorisch sinnvoll, schlussfolgert Hörnig anhand seines Rechenbeispiels. „Mit der Herstellung von Rezeptur- und Defekturarzneimitteln kann ein nennenswerter Beitrag zum Betriebsergebnis beigesteuert werden.“