„Das hat mir meine Hebamme empfohlen” Deniz Cicek-Görkem, 21.09.2018 13:50 Uhr
Kundenwünsche in der Apotheke sind ganz unterschiedlich, nicht selten muss man als PTA oder Apotheker nachhaken: Der eine Kunde will literweise Wasserstoffperoxid oder eine Großpackung Kaliumpermanganat, der andere eine Reinsubstanz, die nur in den USA erhältlich ist. Manchmal kommen aber auch Kunden herein, die etwas von Dritten empfohlen bekommen haben – aber selbst nicht ganz wissen, was sie genau wollen. Dazu zählen beispielsweise schwangere Frauen, die gut gemeinte Ratschläge von ihren Hebammen bekommen. Bei manchen Empfehlungen oder Warnungen kann man nur den Kopf schütteln.
Hebammen betreuen Frauen während der Schwangerschaft, der Geburt und des Wochenbetts. Als unverzichtbarer Teil des Gesundheitssystems dürfen sie sogar einige verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne Rezept erhalten. Doch manchmal suggerieren sie mit ihren Empfehlungen, dass Schwangere ohne Homöopathie, Aromatherapie oder Akupunktur kein Kind zur Welt bringen können. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) nannte das „Globulisierung des Kreißsaals”. Wie sieht es in der Offizin aus?
Erlebnisse aus dem Apothekenalltag zeigen, dass es auch unter Hebammen Impfgegner gibt. Alles müsse „natürlich, sanft und ganzheitlich” zur Sache gehen und da sei eine Impfung fehl am Platz, wie sich dann auch im Kundengespräch mit der Schwangeren oder Stillenden herauskristallisiert. Homöopathie hat auch einen festen Platz in der Liste der Top-Empfehlungen: Es gibt wahrscheinlich keine Beschwerden, gegen die es keine Globuli gibt. Besonders nachgefragt sind beispielsweise Kügelchen zum Abstillen. Online finden sich sogar Hebammen-Empfehlungen wie „Bernsteinketten bei Zahnbeschwerden”.
„Hebammen empfehlen Sachen, die nicht mehr zu empfehlen oder obsolet sind”, sagt Apotheker Mustafa Bagli von der Schiller-Apotheke in Duisburg. „Mütter fragen beispielsweise nach Veilchenwurzeln.” Sie seien als natürliche Zahnungshilfe für das Baby gedacht und müssten von diesem gekaut werden. „Es gibt bessere Alternativen”, so Bagli. Aber auch die Desinfektion des Bauchnabels sei immer wieder ein Thema: „Da wollen die Mütter unbedingt eine Silbernitratlösung. Sie sagen dann: ,Das hat mir die Hebamme empfohlen’.” Diskussion verliefen meist ins Leere: „Die Mütter wollen nicht auf Apotheker hören, sondern auf Hebammen. Man kann sie nicht überreden.” Wenn es ums Stillen oder Stillprobleme geht, ist man als Frau bei Hebammen in guten Händen. Das weiß auch Bagli: „Gute Tipps haben sie natürlich auch. In Sachen Stillen sind sie viel besser ausgebildet als wir Apotheker, zum Beispiel beim Thema Brusthütchen.” Dennoch habe er die Erfahrung gemacht, dass oft obsolete Empfehlungen ausgesprochen würden.
In der Apotheke erfreuen sich allerdings auch bestimmte Pflanzentees großer Beliebtheit bei Schwangeren. Oftmals werden diese traditionell in der Naturheilkunde angewendet, ohne den Kriterien der evidenzbasierten Medizin zu genügen, beispielsweise Himbeerblättertee. Die Blätter enthalten Gerbstoffe und Flavonoide und sollen unter anderem die Durchblutung fördern, die Gebärmutter- und Beckenmuskulatur lockern und einem Dammschnitt vorbeugen. Außerdem sollen sie den Geburtsverlauf positiv beeinflussen. Bislang fehlen dafür wissenschaftliche Belege. Das HMPC (Herbal Medicinal Product Committee) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hat Himbeerblätter als traditionelles pflanzliches Arzneimittel eingestuft. Von der Kommission E erhielten die Blätter damals eine Negativverabschiedung, da die Wirksamkeit nicht belegt werden konnte.
Gerne nachgefragt wird auch Rizinusöl zur Geburtseinleitung, oft als Bestandteil des sogenannten Wehencoctails. Das Öl besteht zum größten Teil aus Rizinolsäure, die als wirksamer Inhaltsstoff nicht nur die Darmmotilität verstärkt, sondern auch wehenauslösend wirkt. Die Substanz interagiert wie das Wehenhormon Prostaglandin mit dem Prostaglandinrezeptor EP3, zusätzlich verstärkt sie die wehenfördernde Wirkung von Oxytocin. Doch die Einnahme ist mit Nebenwirkungen wie Erbrechen und Darmkoliken behaftet, zudem können schwere Leberschäden auftreten. Außerdem gibt es ein erhöhtes Risiko einer Uterusruptur. Rizinolsäure kann in den kindlichen Blutkreislauf übertreten, was dazu führen kann, dass das Ungeborene seinen Darminhalt vorzeitig entleert. Experten empfehlen aufgrund der unbefriedigenden Studien- und Evidenzlage die Anwendung besser untersuchter Arzneimittel mit Prostaglandinen oder Oxytocin.
Würde eine Hebammen-Ausbildung auf Hochschulniveau zu besseren Empfehlungen führen? Möglicherweise. „Der Hebammenberuf ist derzeit noch kein wissenschaftlicher Beruf, auch wenn es zunehmend Studierende neben den Auszubildenden gibt. Der Deutsche Hebammenverband fordert aktuell mit Nachdruck eine vollständige Akademisierung des Berufs, unter anderem, weil wir die Notwendigkeit einer vertieften wissenschaftlichen Qualifikation bei Hebammen sehen”, sagt eine Sprecherin des Deutschen Hebammenverbands. In der Hebammenausbildung müsse zudem die Ausbildungsprüfungsordnung eingehalten werden. Fakt ist: „Komplementärwissenschaften sind dort nicht enthalten.” In den einzelnen Bundesländern gebe es allerdings einen unterschiedlichen Umgang mit der Ausbildung, verbindliche Lehrpläne lägen nicht überall vor. „Dies gibt den Schulen Raum für eine individuelle Gestaltung. Der Hebammenverband empfiehlt deshalb die Anwendung des Rahmencurriculums.”