Zu viel, zu wenig oder falsch geliefert

Das abgestürzte Vial – und andere Pannen

, Uhr
Berlin -

27 Vials Comirnaty hatte die Turm-Apotheke in Rosbach vor der Höhe bestellt, 26 waren in Ordnung, doch ein Fläschchen lag lose in der Box. Apotheker Sebastian Lamping ärgert sich über den Verlust – und musste beim Transport in die Praxen selbst improvisieren. Auch in anderen Apotheken ging es teils turbulent zu.

Der Corona-Impfstoff soll möglichst ohne Erschütterung transportiert werden. Die Großhändler benutzen meist Schaumstoff in den Kühlboxen, der das kostbare Gut aufrecht hält und schützt. So kamen die Vials auch in der Turm-Apotheke an – eben mit einer Ausnahme. Ein Fläschchen lag neben dem Schaumstoff in der Wanne.

Da die Vials bei geschlossenem Deckel eigentlich nicht herausrutschen können, vermutet Apotheker Lamping, dass der Fehler schon beim Einpacken in der Phoenix-Niederlassung in Hanau passiert ist. Davon sei auch sein Großhändler nach Rücksprache ausgegangen. Lamping sollte das Fläschchen als defekt zurückschicken.

Die Kühlbox und den Schaumstoff hat der Großhandelsfahrer – wie in vielen anderen Fällen – gleich wieder mitnehmen wollen. Die Apotheke musste sich für den Transport in die Praxen also eine eigene Lösung überlegen. Lamping wurde kreativ: Da die Biontech-Vials in etwa der Größe seines kleinen Fingers entsprechen, wickelte er sich Toilettenpapier um den Finger und bastelte sich so eigene Schutzhüllen. Die so verpackten Vials kamen dann in einen Eierkarton – davon gab es nach Ostern ausreichend. Immer zwei Fläschchen passten in die Vertiefung für ein Ei.

Auch wenn die Heiterkeit in den Praxen entsprechend groß war, will Lamping den Transport bei der nächsten Lieferung professionalisieren: Bei einer Würzburger Firma für Transportmaterial hat er Setzkästen bestellt. Eine Größe passt für AstraZeneca und Moderna, der andere für Biontech. Die Plastikhalterungen passen wiederum in die Kühlkisten.

Improvisiert wurde auch in der Münchener Niederlassung von Hageda: Die Vials waren in ausgestanzten Pappen voneinander getrennt und mit Klebestreifen befestigt. Etwas improvisiert kam Apothekerin Sabine Weiß das Ganze vor. Aber sicher und gekühlt waren die Vials, also findet sie die Lösung zum Start in Ordnung. Nur dass die Lieferung anderthalb Stunden zu spät kam, brachte die geplanten Abläufe etwas durcheinander. Am Ende klappte alles: Von den acht bestellten Fläschchen wurden fünf geliefert und an die Ärzte weitergegeben.

Um den Impfstoff in die fußläufig erreichbare Arztpraxis zu bringen, hat das Team in der Apotheke trotzdem eine eigene Lösung gefunden: Von der letzten Dekoration war noch ein Steckschwamm in der Apotheke. Der wurde in Form gebracht, gekühlt und dann zum Transport der Vials genutzt.

In Hamburg wurde einer Apotheke zu viel geliefert. Die Pluspunkt Apotheke im Ärztehaus im Bezirk Bergedorf erhielt 20 Vials mehr als angefordert. Warum der Großhändler mehr Fläschchen als bestellt geliefert hat, konnte er Inhaber Marijan Kreth nicht erklären. Zurücknehmen wollte er sie jedenfalls nicht. Stundenlang telefonierten die Mitarbeiter:innen, um Abnehmer zu finden. Das Impfzentrum wollte sie nicht haben. Auch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) wusste nicht weiter. Wegschmeißen wollte das Team sie aber nicht. Schließlich fanden sich Interessenten. Heute Morgen waren fast alle vergeben.

In der Rufer-Apotheke in Lauenburg kam zunächst nur Impfzubehör an: Der Privatgroßhändler Max Jenne lieferte Spritzen und Kanülen – ohne Vials. Hintergrund ist ein Projekt des Landes Schleswig-Holstein, das allen Apotheken exklusiv über den Privatgroßhändler Impfzubehör zur Verfügung stellte. Mit dem bundesweiten Start der Praxenbelieferung hat die Aktion nichts zu tun. Der Impfstoff selbst kam deshalb separat und spät am Nachmittag mit Alliance Healthcare (AHD). Der Frankfurter Großhändler packte ebenfalls ein Starterpaket mit Impfzubehör dazu, sodass in der Apotheke jetzt ein Vorrat an Spritzen und Kanülen ist. „Keiner wusste, wann die Ware kommt“, sagt Apotheker Justus Hillgruber. Als der Lieferant eintraf, wunderte sich das Team über die vermeintlich leeren Boxen. Die zwölf Mehrdosenfläschchen waren in kleinen Plastiktüten mit Klebeband an der Seite der Wanne befestigt.

Unklarheit habe es bei der 12-Stunden-Regel gegeben. Ab dem Auftauprozess darf ein Vial laut Biontech nur innerhalb dieser Zeit transportiert werden – das habe man in einer Praxis nicht gewusst. Die Ärzt:innen hatten bereits geschlossen, als die Lieferung kam. Ein Mediziner wollte die Lieferung auf heute Morgen verschieben. „Ich habe ihm gesagt, dass ich es dann gar nicht mitschicken brauche“, so der Apotheker. Letztlich einigte man sich, dass die Praxismitarbeiter zur Apotheke kommen und dort die Bestellung abholen, um in der vorgegebenen Zeit zu bleiben.

Apotheker Patrick Müller hat genug Impfstoff bekommen – die Ärzte, die er beliefern wollte, musste er am Dienstag trotzdem vertrösten. Denn zwar hatte Gehe die 30 Dosen plangemäß ausgeliefert, aber ohne Zubehör. „Wir haben das kommentarlos so bekommen. Ich dachte dann selbst, dass da was fehlt“, erzählt der Filialleiter der Sehusa-Apotheke im niedersächsischen Seesen. „Das ist natürlich nicht zufriedenstellend, weil die Praxen hier bereits Termine vergeben wollen.“ Die Telefone hätten deshalb am Dienstag nicht mehr stillgestanden: Was denn nun mit dem Impfstoff ist, wollten die Ärzte wissen, denen wiederum die Patienten im Nacken saßen. „Denn die Leute kriegen natürlich mit, dass sie sich nun in den Praxen impfen lassen können, und wollen alle sofort einen Termin. Und ich musste den Ärzten sagen, ich habe euren Impfstoff, aber ihr könnt den nicht verimpfen.“

Vom Großhändler sei vorab keine Information über möglicherweise unvollständige Lieferungen gekommen. „Uns wurde explizit gesagt, wir müssten uns um nichts kümmern.“ Musste er dann aber doch: Müller griff zum Telefonhörer und wollte herausfinden, was aus dem Impfzubehör geworden ist. Doch auch da erhielt er vorerst keine klare Ansage. „Der Großhändler hat uns gesagt, er hätte von B. Braun nur wenig bekommen, Braun wiederum habe gesagt, sie seien von Bund und Ländern zu spät informiert worden und könnten nicht schnell genug produzieren“, sagt er. „Es übernimmt mal wieder keiner Verantwortung, wie so oft in dieser Pandemie. Und am Ende sind es wieder wir, die es den Praxen und den Patienten erklären müssen.“

Auf erneute Nachfrage sei ihm nur erklärt worden, das Impfstoff-Zubehör komme eventuell am Abend oder am nächsten Tag – oder noch später. Es habe eher so gewirkt, als vertröste man ihn, erklärt er. Doch dann kam am Dienstagnachmittag doch noch der erleichternde Anruf: Noch Abend werde das Zubehör nachgeliefert. Und obwohl es beim B. Braun angeblich Engpässe gibt, kam das Zubehör – wie andernorts auch berichtet – mit mehr Spritzen als eigentlich benötigt würden. „Das finde ich gar nicht schlecht, falls man einen Fehler macht, hat man dadurch eine zweite Chance“, sagt Müller. „Am Ende lief also alles gut, aber der Weg dahin war holprig. „Ich hätte mir nur gewünscht, dass es von Anfang an funktioniert, weil wir so erst einmal unsere Praxen verrückt machen mussten. Ich hoffe, dass es nächste Woche gleich klappt.“

Bei Anja Meißel war es noch ein wenig kurioser: Sie erhielt zwar das Zubehör in korrekter Menge – aber keinen Impfstoff. „Meine Mitarbeiterin hat das ausgepackt und sich gefragt: Das soll es gewesen sein?“, erzählt die Inhaberin der Apotheke in der Kaiserpassage in Reutlingen. „Manche haben Impfstoff, aber kein Zubehör, bei mir war es andersherum. Ich habe schon im Spaß Kollegen gefragt, ob wir nicht einfach zusammenlegen wollen.“

Auch sie griff zum Hörer und erkundigte sich beim Großhändler– und erhielt ebenfalls keine klare Auskunft. „Phoenix konnte es uns nicht sagen, woran es liegt. Bei denen ist wahrscheinlich auch grad landunter.“ Immerhin war das Zubehör entsprechend der bestellten Impfstoffmenge korrekt und richtig abgepackt – das war bekanntlich auch nicht überall so: Für vier Vials erhielt sie vier einzeln verpackte Zubehörsets mit einer Ampulle NaCl-Lösung und einer Kanüle sowie sechs Feindosierungsspritzen.

Meißel nahm es sportlich. „Es hatte in dem Moment keinen Sinn, sich darüber aufzuregen“, sagt sie. „Ich bin ja nicht der Eigentümer des Impfstoffs, sondern werde nur für den Transport bezahlt. Da kann man natürlich auch nichts einklagen.“ Außerdem habe der zu beliefernde Arzt die Impfungen ohnehin erst für den Mittwoch geplant. Und siehe da: Tatsächlich kam der Impfstoff mit der Abendlieferung doch noch. Für Meißel trotz des anfänglichen Ärgers immerhin ein guter Ausgang. „Es wäre ja auch jeder erstaunt gewesen, wenn das komplett reibungslos funktioniert hätte“, sagt sie.

 

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Lesen Sie auch

APOTHEKE ADHOC Debatte