Pilotprojekt zu Stationsapothekern

Darmstadt: Apothekerin geht auf Visite

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Berlin -

Am Klinikum Darmstadt erhalten Patienten bei der Chefarztvisite seit einem Monat mehr Besuch als anderswo: Das akademische Lehrkrankenhaus testet derzeit in einem Pilotprojekt die Begleitung der Ärzte durch eine Pharmazeutin. Klinikapothekerin Bettina Mayer geht einmal die Woche mit auf Visite und berät die Kollegen zur Medikation der Patienten.

Mayer betritt mit dem Pilotprojekt ungewohntes Pflaster, und zwar schon im wörtlichen Sinne. „Bisher war der Standard, dass man einmal im Halbjahr die Station begeht – und das war es dann auch schon mit dem persönlichen Kontakt“, erzählt sie. Mit der Einbindung der Apotheke in den Krankenhausalltag kennt Mayer sich aus: Bevor das jetzige Projekt startete, war sie nicht nur ein Jahr lang die Leiterin der Arzneimittelausgabe, sondern mit der digitalen Fieberkurve auch bereits an einem anderen innovativen Projekt maßgeblich beteiligt.

Die stärkere Einbindung der Apotheke in die Stationsarbeit war da längst ein Wunsch der Klinikpharmazeuten. „Wir haben so etwas schon länger von uns aus angeboten, aber es kam stets nur zögerliche Rückmeldung“, sagt sie. Seit anderthalb Jahren sei es ein regelmäßiges Thema bei Besprechungen gewesen, scheiterte aber bisher wie so oft am Geld. „Es ist ein großer Webfehler in der deutschen Krankenhaus-Finanzierung, dass die Medikationskontrolle nicht vergütet wird. Deshalb fällt sie das oft ein wenig hinten runter“, sagt Dr. Marcel Fiegen, der Leiter der Klinik-Apotheke. „Was wir machen, ist im Moment noch vom guten Willen der Geschäftsführung abhängig, wir erhalten keine öffentlichen Gelder für das Projekt. Meine Rolle als Apothekenleiter kann man durchaus politisch sehen. Ich habe das vorbereitet, die Geschäftsführung und auch die Chefarzt-Ebene von dem Projekt überzeugt.“

Dabei halfen ihm durchaus gute Argumente: Vor allem im angelsächsischen Raum sind Stationsapotheker bereits gang und gebe. Mehrere Studien haben deren Nutzen für die Patientensicherheit auch bereits belegt. Hinzu kommt eine mögliche Kostenreduktion bei der Medikation durch sinnvolle Wechsel zu gleichwertigen Medikamenten, eine Reduktion von Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und im besten Fall auch eine daraus resultierende Verkürzung der Liegezeit, erklärt Fiegen: „Durch solche Sekundäreffekte können sich Stationsapotheker für Krankenhäuser auch finanziell lohnen.“

Denn anders als die Ärzte können sich die Apotheker in der Klinik die Zeit nehmen, Medikationen zu analysieren und ihre Erkenntnisse direkt umzusetzen. „Momentan bin ich einmal wöchentlich mit der Chefarztvisite unterwegs“, erzählt Mayer. „Davor nehme ich mir immer einen halben Tag Zeit und bereite die Patientendaten vor und kann dazu auf Befunde, Diagnostik und Laborwerte zugreifen, sowohl aktuelle als auch welche aus der Vergangenheit. Mit der ganzen Kombination schaue ich mir dann die Medikation an und erkenne Zusammenhänge.“

Und tatsächlich erkenne sie dabei immer Probleme, die den Ärzten so nicht bewusst sind. „Der Klassiker sind Wechselwirkungen im Rahmen des Metabolisierungsgeschehens. Man könnte meinen, das kommt nicht so oft vor, aber tatsächlich sieht man das häufig, beispielsweise wenn man kardial vorbelastete Patienten hat. Manche Ärzte wissen nicht, dass man bestimmte Medikamente nicht zusammen verordnen sollte. Das kann man auch nicht immer erwarten, darauf sind sie schließlich nicht spezialisiert.“

Hinzu kämen vor allem Fehldosierungen und Doppelverordnungen. „Ich versuche aber auch manchmal, Medikamente abzusetzen, die zwar keinen Schaden verursachen, aber auch nicht notwendig sind. Das können auch Relikte vom Hausarzt sein“, erklärt Mayer. Eine Entscheidungsgewalt hat die Pharmazeutin dabei allerdings nicht. „Wir sehen uns nicht als Aufpasser, sondern als Berater“, sagt Fiegen. „Wir stellen auch keine Diagnosen, sondern sind eher die Analytiker im Hintergrund.“ So versteht auch Mayer ihre Arbeit. „Ich will da auch keinen Rat aufdrängen, denn die Ärzte kennen ihre Patienten natürlich besser als ich.“

Besonderen Nutzen ziehen sie dabei aus den digitalen Strukturen im Krankenhaus. „Glücklicherweise ist das Klinikum Darmstadt schon sehr weit bei der Digitalisierung, wir nutzen beispielsweise nicht nur eine digitale Fieberkurve, sondern schon seit längerem auch digitale Patientenakten. Das macht es Frau Mayer sehr viel einfacher, an die notwendigen Daten zu kommen“, erklärt Fiegen. Denn der Effekt der digitalen Patientenakten ist weitaus weniger trivial als man denken könnte: Mayer kann die Vorbereitungen für die Visite komplett am PC machen. Davor hätte sie auf die Station gemusst, um die Akten zu finden und an sich zu nehmen. Dadurch hätte sie unter Umständen andere Abläufe gestört – oder die Akten gar nicht zur Hand gehabt, weil sie gerade auf einem anderen Schreibtisch liegen. Und da ist von der Vollständigkeit der Akten noch gar nicht die Rede.

Bis Jahresende wird das Projekt definitiv weiterbetrieben und sogar noch ausgebaut, von jetzt 0,4 auf dann eine ganze Stelle. Daran wird aber auch das erste Problem des Feldversuchs offensichtlich: „Es liegt wirklich an der Finanzierung. Es ist nun einmal ein klassisches Problem im Gesundheitssystem, dass für so etwas keine Vergütung vorgesehen ist – das kennt die öffentliche Apotheke ja genauso gut. Deshalb finde ich es auch ein starkes Statement unserer Geschäftsführung, zu sagen, dass sie das trotz der momentan unsicheren Lage im Sinne der Patientensicherheit finanziert“, erklärt Fiegen. „Aber jedes Wald- und Wiesenkrankenhaus wird es sich nicht leisten können, dafür extra eine Apothekerstelle zu schaffen.“

Für Mayer und Fiegen bringt das Projekt damit nicht nur Vorteile für die Patienten, sondern letztlich auch sie selbst. Nicht nur wären sie viel besser in die Krankenhausabläufe eingebunden und können dadurch Bedürfnisse und Probleme besser erkennen als früher. Auch für sie selbst sei die Teilnahme an den Visiten eine Bereicherung ihres Arbeitslebens. Mayer ist seit etwas mehr als einem Jahr am Klinikum, zuvor hatte sie selbst in einer öffentlichen Apotheke gearbeitet. „Ich habe aus Interesse am klinischen Arbeiten gewechselt. Nach dem Studium bin ich in die Apotheke gegangen, weil es das klassische Arbeitsumfeld ist, aber mein Ziel war auf jeden Fall immer ein Krankenhaus.“ Im Vergleich zur Vor-Ort-Apotheke würde man auch das jetzige Projekt zu schätzen lernen, ergänzt Fiege: „Man kennt es ja auch aus der öffentlichen Apotheke, wie frustrierend es ist, einfach nach Rabattvertrag Arzneimittel abzugeben. Hier hingegen sind wir jetzt viel näher am Patienten. Das ist es doch, wofür man Pharmazie studiert hat!“

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