Einfach mal der Kassiererin ein Lächeln schenken oder dem LKW-Fahrer nett zuwinken: Es klingt trivial, was Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Dienstag der Bevölkerung zum Schluss seiner Pressekonferenz mit auf den Weg gegeben hat. Doch sein Rat ist nicht verkehrt, denn die aktuelle Krise wird zu einem großen Teil von denen gemeistert, die dafür viel zu wenig kriegen: PTA, PKA, Krankenpfleger und nicht zuletzt auch diejenigen, die unterbezahlt in der Logistik arbeiten und dafür sorgen, dass versorgungsrelevante Güter die Bevölkerung erreichen. Sie sind die wahren Leistungsträger der Gesellschaft.
Es waren herzerwärmende Bilder: In Spanien gingen am Samstagabend tausende Bürger an die Fenster oder auf die Balkone, um sich mit einer nächtlichen Ovation bei Ärzten, Sanitätern, Krankenpflegern und anderen Helfern zu bedanken. In Madrid soll der mehrere Minuten dauernde Beifall in der ganzen Stadt zu hören gewesen sein. Auto- und Busfahrer haben zusätzlich Hup-Konzerte veranstaltet. Einen Tag später folgten die Griechen dem guten Beispiel: In Athen und anderen Städten haben tausende Menschen fünf Minuten lang öffentlich applaudiert, manche zündeten gar Feuerwerk, um ihrer Anerkennung für die im Akkord arbeitenden Heilberufler Ausdruck zu verleihen. Die Ehefrau von Regierungschef Kyriakos Mitsotakis hatte zu der Aktion aufgerufen. Auch aus Italien gibt es bereits ähnliche Beispiele.
Nicht so aus Deutschland. Dabei wäre das auch hier angebracht – und zwar nicht nur als allgemeine Anerkennung für die im Wortsinne lebenswichtige Arbeit, die Bedienstete im Gesundheitssektor gerade leisten. Sondern vielmehr auch deshalb, weil die aktuelle Situation ein Schlaglicht auf zwei himmelschreiende Ungerechtigkeiten wirft: die Unterbezahlung im Gesundheitswesen und den Gender Pay Gap. Neben vergleichsweise gut bezahlten Ärzten und Apothekern sind es nämlich gerade die in ihrer Mehrheit weiblichen Arbeitskräfte in den Apotheken und Kliniken, die den enormen Workload auffangen müssen, der gerade das Gesundheitssystem belastet. Das ist nicht erst seit der Corona-Krise so, aber ist jetzt umso bitterer.
Eine alleinstehende, kinderlose PTA-Berufseinsteigerin hat tarifgemäß rund 1450 Euro netto im Monat – damit zählt sie zum ärmsten Drittel der Gesellschaft. Es ist eine Schande für eine wohlhabende Industrienation, wenn sie systemrelevante Berufsgruppen am unteren Ende der ökonomischen Skala darben lässt. Und bei Krankenschwestern sieht es nicht viel besser aus, um von Altenpflegern erst gar nicht anzufangen – deren heikle Arbeit scheint im Moment völlig aus dem Blick zu geraten. Hinzu zeigt sich im Gesundheitswesen umso deutlicher, was es bedeutet, dass Frauen bis heute weniger bezahlt bekommen als Männer – laut Statistischem Bundesamt im Schnitt 20 Prozent! Heute, am 17. März, ist der Equal Pay Day, der Tag, der symbolisch angibt, bis zu welchem Zeitpunkt im Jahr Frauen praktisch unbezahlt gearbeitet haben. Und das obwohl sie die gleiche Arbeit wie Männer leisten, die bereits seit dem 1. Januar bezahlt werden. Dieses Jahr ist der Symbolgehalt besonders hoch, sind es doch in der Mehrheit Frauen, die gerade dafür sorgen, dass die Apotheken offenbleiben und Patienten weiter behandelt werden können. Und nebenbei noch eine Notbetreuung für ihre Kinder geben müssen, während andere schlichtweg mit der Familie zu Hause bleiben. Es wäre an der Zeit, nicht nur laut und aus aller Munde Danke zu sagen, sondern endlich dafür zu sorgen, dass sie kriegen, was sie verdienen: das gleiche wie Männer und dann alle zusammen mehr davon.
Paradoxerweise ist es aber gerade wegen der aktuellen Situation nicht der Zeitpunkt, schon mit politischen Forderungen nach Honorarerhöhungen für die Apotheken um die Ecke zu kommen, wie es vielerorts nun zu hören ist. Denn auch wenn die Forderungen im Kern richtig sind: Der Zeitpunkt spricht dagegen. Ja, die Apotheken leisten gerade Außergewöhnliches und das Bürokratiemonster ist leider immun gegen das Virus. Wahr ist aber auch, dass von bis zu 50 Prozent erhöhtem Kundenaufkommen berichtet wird. Der wirtschaftliche Schaden für die Branche dürfte sich – abgesehen von möglichen Zwangsschließungen aufgrund von Infektionen – im Rahmen halten.
In zahlreichen anderen Branchen sieht das aber ganz anders aus: Millionen Menschen müssen gerade um ihre wirtschaftliche Existenz bangen. Der gesamte Kulturbetrieb steht still, die Gastronomen blicken auf leere Stühle, der Kreativbranche wurde über Nacht der Stecker gezogen. Industriearbeiter stehen vor verschlossenen Toren. Der Einzelhandel mit nicht versorgungsrelevanten Gütern liegt darnieder. Für den Tourismus und die Fluggesellschaften ist die Krise jetzt schon existentiell, und zwar nicht nur für die Großkonzerne, sondern vor allem für unzählige Pensionen, Hotels und Kleinbetriebe. Die Liste könnte noch lange fortgesetzt werden und die Selbstständigen kamen darin noch gar nicht vor. Eine Welle von Insolvenzen und spürbar gestiegene Arbeitslosenzahlen könnten auf das Land zurollen, wenn die Bundesregierung es nicht schafft, ihre Finanzspritzen auch kleinen und mittelständischen Unternehmen schnell und unbürokratisch zukommen zu lassen. Und selbst wenn das klappt: Zwischen 1 und 7 Prozent Zinsen sollen die von der KfW finanzierten Kredite haben. Viele Unternehmen dürften daran noch lange laborieren.
Wer – zurecht – seine Probleme mit dem Zerrbild vom reichen Apotheker hat, der erst an das Kaufmännische und dann erst an das Pharmazeutische denkt, tut gut daran, auch umgekehrt Solidarität zu zeigen: Einem großen Teil der Wirtschaft wird es in den kommenden Monaten voraussichtlich schlechter gehen als der Apothekenbranche. Auch wenn inhaltlich nichts dagegen einzuwenden wäre: Man sammelt keine Sympathiepunkte in der Bevölkerung, wenn man nach mehr Geld ruft, während es anderen noch schlechter geht. Solidarität ist das Gebot der Stunde.
APOTHEKE ADHOC Debatte