„Claudia, in unserer Filiale sind zwei Krankheitsfälle und sie brauchen dringend Hilfe! Könntest du morgen dort aushelfen?“, fragt mein Chef mich panisch. Oje, denke ich, ich war noch nie dort, kenne mich gar nicht aus und auch die Kollegen kenne ich nur flüchtig vom Telefon. Offenbar sieht man mir meine Gedanken an, denn kurz darauf fügt mein Chef hinzu, dass ich nicht nervös sein muss und mir alle helfen werden. Nun gut, also stimme ich zu.
Doch meine Gedanken rattern weiter. Das geht bei ganz profanen Dingen los: Wo kann ich dort parken, wann muss ich losfahren, um pünktlich zu sein? Vor allem aber: Es gibt keinen Automaten! Schubladen habe ich seit meiner Ausbildung nicht mehr gezogen und die ist nun schon einige Jahre her. Hoffentlich stelle ich mich nicht total blöd an und die Kunden müssen genervt warten bis ich bei einem Großauftrag alle Packungen gefunden habe. In meinem Kopf entstehen die wildesten Horrorszenarien.
Das merkt auch meine Kollegin. Sie versucht mich zu beruhigen. „Keine Sorge, Claudia, ich war auch schon mal dort zum Aushelfen und hatte genauso viel Angst wie du. Aber dort sind wirklich alle nett und die Schubladen sind halb so wild. Ich fand es sehr spannend, mal wieder was anderes zu sehen, schließlich sind wir doch hier irgendwie jeden Tag im gleichen Trott.“
Ich versuche, ihre Worte zu beherzigen und dem morgigen Tag positiv und entspannt entgegen zu blicken. Obwohl ich in der Nacht kaum Schlaf finde, bin ich am nächsten Morgen fit und fahre extra zehn Minuten früher los, um genug Zeit für die Parkplatzsuche einzuplanen. Die Kollegen in der Filiale habe ich bislang nur einmal auf der gemeinsamen Weihnachtsfeier gesehen und kenne niemanden besser. Ich hoffe sehr, dass sie hilfsbereit sind und ich sie nicht mehr behindere als ihnen zu helfen.
An der Tür werde ich freudig empfangen. „Hallo Claudia! Gut dass du da bist! Du bist unsere Rettung!“ ruft mir die Filialleitung zu. Naja, das werden wir sehen, denke ich im Stillen, versuche aber gelassen zu wirken. Ich bekomme eine kurze Führung durch Offizin, Labor und Keller. Kurz darauf öffnen sich bereits die Türen und es geht gleich los. Mir bleibt keine Zeit, lange zu überlegen, denn die ersten Kunden stehen schon am HV-Tisch. Und ehe ich mich versehe, kämpfe ich mich durch das Generalalphabet und die Schubladen. Nur einmal empfehle ich in der Beratung ein Präparat, das gar nicht an Lager war – in der Hauptapotheke ist es immer vorrätig.
Bis zur Mittagspause ist gut zu tun, sodass meine anfängliche Unsicherheit schnell verflogen ist. Bei kleineren Fragen stehen mir alle zur Seite und wie in jeder Apotheke gibt es natürlich auch hier die besonderen Stammkunden, die nicht von einem fremden Gesicht bedient werden möchten. Andererseits treffe ich aber auch Kunden, die ich aus der Hauptfiliale kenne und die mich herzlich begrüßen.
Je näher der Feierabend rückt, umso mehr öffne ich die Schubladen wie im Schlaf und auch die anderen Abläufe werden zur Routine. Als sich die Türen schließen und ich wieder in meinem Auto sitze, bin ich zwar kaputt, aber irgendwie auch glücklich. Meine anfängliche Angst war vollkommen unbegründet und meine Kollegin hatte Recht – es ist schön, mal aus dem gewohnten Trott entfliehen zu können und etwas anderes zu sehen.
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