Chef kann Prämie für Impfung zahlen Tobias Lau, 14.01.2021 10:06 Uhr
Haben Heilberufler eine ethische Pflicht, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen? Darüber lässt sich herzlich streiten. Fakt ist jedenfalls, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zuletzt immer wieder beteuert hat, dass es zumindest keine gesetzliche Impfpflicht geben werde. Doch wie sieht es mit der Verpflichtung durch den Arbeitgeber aus? Dürfen Apothekeninhaber von ihren Mitarbeitern verlangen, sich impfen zu lassen? Oder dürfen sie ungeimpfte Mitarbeiter aus Gründen des Gesundheitsschutzes einschränken?
Die Frage, ob eine Impfpflicht eingeführt werden könnte, ist eine explizit politische, keine juristische: Denn gesetzliche Impfpflichten sind dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) nicht fremd: § 20 Abs. 6 S. 1 IFSG lässt die Anordnung einer Impfpflicht ausdrücklich zu. „Bedrohte Teile der Bevölkerung“ haben demnach „an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist“.
„Dem Grunde nach kann eine Impfpflicht daher durch Gesetz eingeführt werden“, erklärt Professor Dr. Michael Fuhlrott, Arbeitsrechtler und Professor an der Hochschule Fresenius in Hamburg. „Der hierdurch erfolgende Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist gerechtfertigt.“ Und die letzte Einführung einer Impfpflicht ist gar nicht lange her: Erst im Frühjahr 2020 wurde sie mit dem Masernschutzgesetz für Schüler und für Mitarbeiter in Betreuungseinrichtungen und Schulen eingeführt. Fuhlrott hält das auch im jetzigen Fall für möglich – auch wenn Spahn bisher versichert, dass es so weit nicht kommen werde: „Wenn in der Politik daher derzeit entsprechende Überlegungen kursieren, so ist nicht ausgeschlossen, dass diese in eine entsprechende gesetzliche Impfpflicht münden werden. Sicherlich wird dies auch von der sich in den nächsten Wochen zeigenden Impfquote abhängen.“
Entscheidend werde dabei allerdings die Frage nach der sterilen Immunität sein, also nach der Möglichkeit, als geimpfte Person andere anzustecken. „Führt die Impfung nur zu einem Eigenschutz, wäre eine Impfpflicht wesentlich kritischer zu sehen.“ Das betonen auch Mediziner. „Die aktuelle Diskussion um eine Impfpflicht für Pflegekräfte ist medizinischer Unsinn. Es ist derzeit wissenschaftlich nicht erwiesen, dass eine Impfung vor Übertragung schützt“, sagt der Bundesvorsitzende des Verbandes der niedergelassenen Ärzte (Virchowbund), Dr. Dirk Heinrich. Bislang würden die wissenschaftlichen Studien nur zeigen, dass eine Impfung schwere und tödliche Verläufe meist verhindern kann, nicht jedoch die Verbreitung. „Solange dies so ist, verhindert nach wie vor nur die Einhaltung aller Hygienemaßnahmen in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen eine mögliche Infektion.“
Die Frage nach der sterilen Immunität könnte auch im Arbeitsrecht noch eine entscheidende Rolle spielen. Einer aktuellen aposcope-Umfrage zufolge ist die Impfbereitschaft auch unter dem Personal deutscher Apotheken bisher nicht allzu hoch – wenngleich sie leicht steigt. Welche rechtlichen Möglichkeiten haben Inhaber also im Umgang mit geimpften und ungeimpften Mitarbeitern? „Nach derzeitiger Rechtslage, also ohne eine Impfpflicht, haben Apothekeninhaber unter keinen Umständen die Möglichkeit, von ihren Mitarbeitern eine Impfung gegen Covid-19 zu verlangen“, erklärt Rechtsanwältin Inka Müller-Seubert, Arbeitsrechtlerin bei der Kanzlei CMS in Köln. Zwar sehe § 23a IfSG Ausnahmen hinsichtlich der Information über den Impfstatus vor – die gelten aber unter anderem für Arzt- und Zahnarztpraxen, Kliniken, Ambulanzen oder Rettungsdienste, nicht jedoch für Apotheken.
Doch die Beschränkungen gehen noch weiter: Denn Inhaber haben nicht einmal einen Anspruch darauf, von ihren Mitarbeitern zu erfahren, ob sie geimpft sind. „Gäbe es eine Impfpflicht, dürften das Apothekeninhaber nach meiner Ansicht verlangen. Nach derzeitiger Rechtslage haben sie aber keinerlei Anspruch auf Auskunft über den Impfstatus“, sagt Müller-Seubert. Denn der Impfstatus gehört zu den Gesundheitsdaten und unterliegt damit einem besonderen gesetzlichen Schutz. Die Hoheit über die eigenen Gesundheitsdaten liegt bei den betroffenen Personen – das heißt auch: Natürlich dürfen Angestellte ihrem Chef mitteilen, ob sie bereits geimpft oder nicht geimpft sind, oder aber, ob sie sich gar nicht impfen lassen werden. Tun sie dies bewusst, kann der Chef auch dementsprechend tätig werden und unter gewissen Umständen Erleichterungen für Geimpfte in Bezug auf das bisherige Schutzkonzept beschließen.
Hier kommt wieder die Frage nach der sterilen Immunität ins Spiel. Ist die nicht gegeben, ändert sich erst einmal wenig. „Falls sich ein Mitarbeiter freiwillig offenbart, ist es kein Problem, wenn der Arbeitgeber das berücksichtigt“, sagt Müller-Seubert. „Weil es aber nicht die Pflicht gibt, sich wahrheitsgemäß zu offenbaren, muss der Arbeitgeber immer davon ausgehen, dass alle seine Mitarbeiter nicht geimpft sind.“ Der Inhaber muss sein Schutzkonzept deshalb stets unter der Prämisse erstellen, dass keiner seiner Mitarbeiter geimpft ist, denn er hat die Fürsorgepflicht für sie – selbst wenn jemand geimpft ist, aber trotzdem ansteckend sein kann, ist er weiterhin eine Gefahr für seine ungeimpften Kollegen und ungeimpfte Kunden, er müsste sich weiterhin an alle Schutzmaßnahmen halten. Das heißt dann aber auch: Keine Sonderbehandlung für Impfverweigerer, weil die Regeln für alle weiter gelten.
„Wenn die Impfung allerdings auch Dritte schützt, könnten Mitarbeiter Erleichterungen von den Schutzmaßnahmen verlangen.“ Sie könnten sich dann beispielsweise von der Maskenpflicht und anderen Infektionsschutzmaßnahmen entbinden lassen. Doch da wird es knifflig – denn einerseits kann diese Frage je nach Studienlage noch eine ganze Weile wissenschaftlich umstritten bleiben, andererseits ist nicht gesagt, dass die Frage nach der sterilen Immunität klar mit ja oder nein beantwortet werden kann. Wie wäre die Rechtslage also, wenn die Gefahr einer Übertragung durch Geimpfte um beispielsweise 60 Prozent gesenkt wäre?
Dann könnten Mitarbeiter versuchen, Erleichterungen einzuklagen. „Die Klärung dieser Frage würde dann im Zweifelsfall einem Arbeitsgericht obliegen“, sagt Müller-Seubert. Das hieße: Sachverständige würden vor Gericht ihre Einschätzungen vortragen und die Richter müssten dann entscheiden, ob das Infektionsrisiko, das vom geimpften Mitarbeiter ausgeht, gering genug ist, um ihn von den Schutzmaßnahmen zu entbinden. „Es wäre relativ wahrscheinlich, dass Arbeitsgerichte in verschiedenen Bundesländern je nach aktueller Infektionslage dann zu unterschiedlichen Antworten kommen.“ Ähnliche Überlegungen habe es bereits gegeben, als es um die Zulässigkeit von Fiebermessungen am Werkstor ging.
Ist die Frage nach der sterilen Immunität allerdings eindeutig mit ja zu beantworten, wäre der Fall recht klar: Geimpfte können von Schutzmaßnahmen entbunden werden, Ungeimpfte nicht. Im Zweifelsfall könnte es dann also so weit kommen, dass ein Teil des Teams von Maskenpflicht und anderen Hygieneregeln entbunden wird und einzelne Kollegen weiterhin mit Maske und hinter Plexiglas bedienen müssen. Umgekehrt gilt aber auch: „Jemand, der sich weigert, sich impfen zu lassen, hat trotzdem ein volles Anrecht auf ausreichende Schutzmaßnahmen. Der Arbeitgeber hat dabei ein dreistufiges Schutzkonzept zu beachten: Zunächst müssen technische Maßnahmen, wie das Aufstellen von Trennwänden, getroffen werden. Wenn diese nicht ausreichen, hat der Arbeitgeber organisatorische Maßnahmen zu treffen, wie die Organisation von Schichten. Sofern auch organisatorische Maßnahmen nicht genug Abhilfe verschaffen, kann der Arbeitgeber auf personenbezogene Maßnahmen, wie die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung, zurückgreifen. Nur wenn das nicht geht beziehungsweise nicht ausreicht, ist eine Einschränkung der vertraglich vereinbarten Arbeitstätigkeit wie ein Verbot des Handverkaufs möglich. Es gilt: immer erst Schutzmaßnahmen und erst danach Einschränkungen.“
Bestenfalls wird es so weit nicht kommen. Dazu können auch Inhaber selbst beitragen: Hadern die Mitarbeiter noch mit der Impffrage, dürfen die Chefs nämlich durchaus etwas nachhelfen. Allerdings nur mit dem Zuckerbrot, nicht mit der Peitsche: „Arbeitgeber dürfen ihren Mitarbeitern durchaus finanzielle Prämien oder andere Vergünstigungen wie zusätzliche Urlaubstage anbieten, wenn sie den Nachweis einer Impfung gegen Covid-19 erbringen“, sagt Müller-Seubert. Doch könnten Inhaber damit nicht indirekt Druck aufbauen und ihre Mitarbeiter so zur Impfung drängen? Nein, denn das müsse ausgeschlossen sein. „Entscheidend ist die Freiwilligkeit. Der in Aussicht gestellte Anreiz darf nicht so groß sein, dass es völlig unvernünftig wäre, das Angebot nicht anzunehmen.“ Diese Grenze sei allerdings sehr hoch bemessen, so die Arbeitsrechtlerin. „Die Prämie müsste schon absurd groß sein. Ein Monatslohn würde dafür in der Regel nicht ausreichen.“