Laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) sind rund 1,6 Millionen Menschen der 18- bis 64-jährigen Bevölkerung in Deutschland alkoholabhängig. Die Zahl der Bürger, die in einem gesundheitlich schädigenden Maße Alkohol konsumieren beläuft sich auf 6,7 Millionen. Für Entzugstherapien und notwendig werdende Medikamente kommt die gesetzliche Krankenversicherung auf. Doch viele Rezepte enthalten Off-Label-Verordnungen oder Wirkstoffe, die Apotheker:innen und PTA schnell anderen Indikationen zuschreiben könnten. Die Beratung dieser Patienten bietet einige Herausforderungen.
Oftmals wird ein Alkoholentzug medikamentös begleitet. Die Medikamente sollen die Entzugserscheinungen lindern und das Verlangen nach Alkohol bremsen. Zur Standardmedikation während des Entzuges gehören Benzodiazepine. Die Leitlinie empfiehlt diese Stoffgruppe vor allem zur Vermeidung von Entzugskrämpfen während der stationären Behandlung. Bei den Entzugskrampfanfällen handelt es sich um epileptische Gelegenheitsanfälle. Rund ein Drittel aller Personen, die stationär entziehen erfahren solch einen Anfall.
Neben Benzodiazepinen wird auch der Wirkstoff Clomethiazol häufig in der Klinik eingesetzt. Ambulant sollte mit dem Sedativum aufgrund des Abhängigkeitspotentials nicht therapiert werden. Neben der sedierenden Wirkung kommt es zu hypnotischen und antikonvulsiven Effekten. Im Rahmen des Entzuges sollte der Stoff nur bei vorliegendem Delirium tremens gegeben werden. Bei dem Alkoholentzugsdelir kommt es zum Zusammenspiel von Tachykardie, Fieber, Hyperhidrosis, Tremor, Wortfindungsstörungen und Anfällen ähnlich epileptischen Anfällen.
Gute Erfahrungen innerhalb der Rückfallprophylaxe liegen bei den Wirkstoffen Acamprosat und Naltrexon vor. Letzterer ist ein Opiod-Antagonist. ER bindet mit hoher Affinität an Opiodrezeptoren und hemmt diese kompetitiv. In Bezug auf die Entzugstherapie soll der Stoff vor allem der Rezidivprophylaxe dienen. Naltrexon dient nicht als Unterstützung während der Akuttherapie. Erst nach zwei bis drei Wochen Abstinenz soll die Einnahme starten. Neben Naltrexon, welches nach einem festen Dosierungsschema eingenommen wird, gibt es noch die Therapieoption mit dem Wirkstoff Nalmefen. Dieser Opiodmodulator soll nur bei Bedarf angewendet werden. Das bedeutet, der Betroffene greift erst dann zur Tablette, wenn er Suchtdruck verrpürt. In der regel sollte die Einnahme ein bis zwei Stunden vor dem gefährdenden Ereignis erfolgen. Ob der Patient auf Nalmefen anspricht, zeigt sich frühestens nach vier Wochen.
Der Suchtdruck, auch Craving genannt, kann in allen Phasen nach dem Entzug einsetzen. Oftmals verstärkt sich der Drang nach Alkohol in psychisch herausfordernden Phasen. Bei Stress oder schwierigen Umständen greifen viele Alkoholiker wieder zum Alkohol. Alkohol führt zur Dopaminausschüttung. Im Suchtgedächtnis können allein Hinweisreize das Belohnungssystem des Körpers anregen. Allein durch den Besuch von Geburtstagen, Restaurants & Co. erhält der Körper Signale, die darauf schließen lassen, dass ein Suchtmittelkonsum kurz bevorsteht. Deshalb ist es wichtig, dass die Betroffenen auf ihren Körper hören und ihre Gewohnheiten umstellen. Nicht selten gehört zu dem Lebenswandel auch, gewisse Feierlichkeiten oder Lokalitäten für eine bestimmte Zeit zu meiden.
Zu den Substanzen, die off-label eingesetzt werden gehört beispielsweise Tiaprid. Hierbei handelt es sich um ein atypisches Neuroleptikum aus der Gruppe der Benzamide. Es hat eine antagonistische Wirkung an speziellen Dopamin-Rezeptoren. Auch Neuroleptika der zweiten Generation werden meist nur off-label eingesetzt. Hierzu gehören beispielsweise Clozapin, Olanzapin, Quetiapin und Risperidon. Für eine ausführliche Beratung sollten Apotheker:innen und PTA die Diagnose kennen. Der Patient kann durch ergänzende Beratungstipps vollumfänglich betreut werden. Neben der Aufklärung zur Medikation können auch Anlaufstellen vermittelt werden.
Seit einigen Jahren tritt immer wieder der Wirkstoff Baclofen auf den Plan. Der Wirkstoff gehört zur Gruppe der Muskelrelaxantien und wird eigentlich bei Multipler Sklerose eingesetzt. In der aktuellen Leitlinie heißt es zu Baclofen: „Derzeit ergibt sich keine ausreichende Evidenz für den Einsatz von Baclofen zur Behandlung des Alkoholentzugssyndroms. Unklar ist bisher auch die Auswirkung der möglichen Senkung der konvulsiven Krampfschwelle. Baclofen ist nicht zur Behandlung des Alkoholentzugssyndroms oder der Alkoholabhängigkeit zugelassen. Weitere Forschung erscheint notwendig.“
Nicht nur die Leber erleidet Schaden durch den dauerhaft erhöhten Alkoholkonsum. An sich nimmt Alkohol auf den gesamten Organismus einen negativen Einfluss. Vor allem auf die Bauspeicheldrüse. Eine Pankreatitis aufgrund eines Alkoholabusus ist relativ häufig. Dabei leidet der Betroffene unter starken abdominellen Schmerzen begleitet von Krämpfen. Durch Wasseransammlungen im Bauchraum kann sich die Bauchdecke vorwölben – der sogenannte Gummibauch tritt auf. Neben Übelkeit und Erbrechen kann es auch zum Ikterus kommen. In diesem Zustand muss der Patient stationär behandelt werden. Komplikationen wie eine Perforation des Organs oder eine Nekrose müssen durch ein sofortiges Alkoholverbot begleitet von adäquaten Therapiemaßnahmen vermieden werden. Durch Elektrolytlösungen werden Flüssigkeitsverluste ausgeglichen. Ein Schmerztropf kann zur Analgesie eingesetzt werden.
Doch auch Erkrankungen, die länger unentdeckt bleiben, können durch das Trinken entstehen. So kann es zur Hypertonie und dauerhaften Schädigung des Herzens kommen. Auch das Gehirn nimmt mit anhaltendem Konsum Schaden. Betroffene klagen über Konzentrations-und Gedächtnisstörungen. Auch eine Minderung der Intelligenz kann bei Schwerstkranken festgestellt werden. Auch ein Screening auf Persönlichkeitsstörungen oder Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) sollte erfolgen.
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