Retaxationen sind ärgerlich, vor allem, wenn sie leicht zu vermeiden gewesen wären. Ein Inhaber aus Rheinland-Pfalz musste der AOK knapp 1200 Euro zurückzahlen. Aus seiner Sicht war eine PTA in Probezeit für den Fehler verantwortlich, deshalb wollte er das Geld von ihr zurück. Vor dem Landesarbeitsgericht bekam jedoch die längst gekündigte Angestellte recht.
Es ging um einen Fall aus dem Jahr 2012. Die damals 44-jährige PTA war seit Juni in der Apotheke angestellt, für ihre Vollzeittätigkeit erhielt sie 1837 Euro, das damalige Tarifgehalt für Berufseinsteiger. Ende Juni, also nur wenige Wochen nach ihrem Start, nahm sie ein Rezept über Faslodex 250 mg und Bondronat 6 mg an. Vom Bisphosphonat hatte der Arzt eine Durchstechflasche verordnet; da das Präparat nicht vorrätig war, bestellte die PTA es beim Großhandel.
Aus Versehen wurde offenbar die Großpackung à 5 Stück bestellt, jedenfalls retaxierte die AOK ein Jahr später den Differenzbetrag: Statt 1770 Euro hätten nur 369 Euro abzüglich Rabatten abgerechnet werden dürfen, für den Schaden von 1170 Euro musste der Apotheker aufkommen.
Der sah den Fehler aber bei seiner ehemaligen Angestellten, die er einige Monate zuvor gekündigt hatte. Die PTA sei in der Probezeit nicht berechtigt gewesen, das Rezept eigenständig zu bearbeiten. Bei Abschluss des Arbeitsvertrags habe sie eine Belehrung unterzeichnet, dass ab einem Warenwert von 500 Euro eine Prüfung durch einen Apotheker erforderlich sei. Die entsprechenden Verordnungen würden dann in einen roten Umschlag gesteckt und in den Safe gelegt. Dies werde vom Rechenzentrum so verlangt.
Die PTA habe das Rezept nicht abzeichnen lassen, sondern selbst im Tresor verwahrt, behauptete der Apotheker. Dies könne man an der Verordnung erkennen, denn diese trage nur das handschriftliche Namenskürzel der PTA, aber nicht das eines Apothekers. Damit habe sie gegen ihre Pflichten verstoßen, zumindest sei ihr grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Entsprechend müsse sie für den Schaden aufkommen und ihm die knapp 1200 Euro erstatten.
Der Fehler hätte aus seiner Sicht auch keinem anderen Mitarbeiter auffallen können: Die PKA könne beim Wareneingang nicht überprüfen, ob die gelieferten Medikamente mit denen auf dem Rezept übereinstimmten; weder vom Zeitaufwand noch von der Qualifikation her sei dies möglich. Derjenige Mitarbeiter, der das Medikament gegen Vorlage des Abholscheins abgebe, könne ebenfalls nicht noch einmal den ganzen Vorgang kontrollieren. Das sei „total utopisch“. Vielmehr sei derjenige, der das Rezept bearbeite und dadurch die Bestellung auslöse, für den Vorgang verantwortlich.
Die PTA verteidigte sich, sie habe das Medikament nicht bestellt, bei der Lieferung nicht in Empfang genommen und nicht an die Patientin abgegeben. Sie habe kein Rezept in einen roten Umschlag gesteckt und in den Safe gelegt. Ihr sei nicht einmal bekannt gewesen, wo sich der Safe befinde.
Das Arbeitsgericht wies die Schadenersatzklage ab. Alleine dadurch, dass die PTA das Rezept bearbeitet hatte, ohne es einem Approbierten vorzulegen, sei noch kein Schaden entstanden. Zu der Frage, wer das Medikament bestellt und wer es abgegeben hatte, hatte der Apotheker aus Sicht der Richter keine Beweise vorgelegt.
In zweiter Instanz gab auch das Landesarbeitsgericht der Angestellten recht – und ihrem ehemaligen Chef eine ordentliche Watsche mit. „Für sämtliche bestrittene Behauptungen des Klägers fehlt es an jedwedem Beweisantritt“, so die harsche Kritik der Richter. Noch nicht einmal die angebliche schriftliche Belehrung habe der Apotheker vorgelegt; vielmehr habe er im Prozess plötzlich behauptet, dass er der PTA überhaupt keine Abzeichnungsbefugnis erteilt habe. „Stellt eine Partei mehrere einander widersprechende Behauptungen auf, ohne den Widerspruch zu erläutern, so kann von keiner dieser Behauptungen angenommen werden, sie sei richtig.“
Alleine der Umstand, dass sich auf dem Rezept nur das Namenskürzel der PTA befand, sei noch kein Beweis, dass die Angestellte das Rezept keinem Apotheker vorgezeigt, die falsche Menge bestellt oder das Rezept in einen roten Umschlag gesteckt und in den Safe gelegt hatte. Auch dass der Patientin bei der Abholung die falsche Stückzahl ausgehändigt worden sei, sei damit nicht bewiesen.
Doch selbst wenn der PTA – die, wie die Richter betonen, noch keinen Monat in der Apotheke beschäftigt und in der Probezeit war – der Fehler tatsächlich unterlaufen sein sollte, wäre dem Apotheker ein „erhebliches Mitverschulden“ anzulasten. Denn dass bei der Abgabe von bestellten Medikamenten kein Abgleich mehr mit dem Rezept stattfindet, sah das Gericht im konkreten Fall als Organisationsverschulden.
Im Übrigen müssten Arbeitnehmer nur in begrenztem Umfang für eigene Fehler haften. „Umstände, die den Vorwurf eines vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verhaltens der Beklagten begründen könnten, liegen nicht vor und sind vom Kläger nicht ansatzweise dargelegt.“
Zum Schluss machen die Richter den Apotheker noch darauf aufmerksam, dass er mit seiner Klage viel zu spät dran ist und dass etwaige Schadenersatzansprüche längst erloschen sind. Denn dem Arbeitsvertrag habe der Bundesrahmentarifvertrag für Apothekenmitarbeiter zugrunde gelegen, nach dem „alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Beendigung schriftlich geltend zu machen sind.
Diese Frist habe er versäumt, da sein Mahnantrag erst im August 2015 beim Arbeitsgericht eingegangen sei. Mangels konkreten Vortrags könne nur vermutet werden, dass er seine Ansprüche außergerichtlich erstmals im Oktober 2014 geltend gemacht haben könnte. Selbst wenn man nicht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. März 2013, sondern den Zugang der Retaxation vier Monate später zugrunde legen wollte, sei die Frist selbst bei – unterstellter – Geltendmachung der Ansprüche im Herbst 2014 längst abgelaufen gewesen.
Laut Urteil umfasst die tarifliche Ausschlussfrist auch Schadensersatzansprüche. „Durch die Wortwahl ‚alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis‘ bringen die Tarifvertragsparteien zum Ausdruck, dass sämtliche Ansprüche, die ihren Grund in der arbeitsvertraglichen Beziehung der Parteien haben, erfasst sein sollen. Eine solche umfassende Ausschlussfrist ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in einem Tarifvertrag grundsätzlich zulässig.“
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