Rabattverträge belasten seit Langem das Verhältnis von Apotheken und Krankenkassen. Die Zyto-Verträge machen da keine Ausnahme, bisheriger Höhepunkt war das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), mit dem die AOK Hessen zu siebenstelligen Retaxationen berechtigt wurde. Doch bei den im August gestarteten Verträgen erhalten die Probleme eine neue Dimension, weil die Versorgung der Versicherten betroffen ist. Onkologen berichten von skandalösen Zuständen und massiven Verzögerungen. Ein Krebspatient war darüber so verärgert, dass er den Mitarbeitern in der AOK-Niederlassung drohte.
Der Patient war Berichten zufolge wegen des Beitrags des NDR-Magazins „Panorama“ verunsichert. Als er dann in seiner Praxis noch ungewohnt lange auf die Behandlung warten musste, wollte er sich direkt bei seiner Kasse beschweren – und soll dabei deutlich zu weit gegangen sein. „Ich schieße euch alle tot, wenn ihr nicht damit aufhört“, soll er gegenüber einer Mitarbeiterin geäußert haben. In der Hauptniederlassung der AOK konnte man den Fall auf Nachfrage zunächst nicht zuordnen. Die Kasse hat aber eine Stellungnahme – auch zu den Wartezeiten – zugesichert.
Die bedrohte Mitarbeiterin der Kasse hatte in der Praxis des Patienten angerufen und nachgefragt, ob dieser aufgestachelt worden sei. Die Praxis bestritt dies. Grundsätzlich könne man Patienten allerdings nur raten, sich bei Beschwerden über die Verträge oder die Versorgungsstruktur an die Kasse zu wenden. Das betreffe etwa auch verlängerte Wartezeiten in der Praxis.
Und diese scheinen bei einigen Onkologen tatsächlich zu einem massiven Problem zu werden: Bis zu sieben Stunden hätten die Patienten teilweise in der Praxis verbracht, berichtet eine Großpraxis. Regelmäßig komme es zu Wartezeiten von zwei bis drei Stunden, obwohl von der AOK bei den betroffenen Therapien eine Lieferzeit von 45 Minuten veranschlagt sei. Neben Abstrichen bei der Qualität der Versorgung, bekommen die Onkologen auch ganz praktische logistische Probleme: Die Praxen seien voll mit wartenden Patienten.
In einem anderen Fall soll ein Patient mit einem nicht geeignetem Infusionsbeutel versorgt worden sein. Dem unbestätigten Bericht zufolge wurde ein leerer Kochsalzbeutel zweckentfremdet, der mit der Chemotherapie befüllt worden sei. Etwa ein Viertel der Chemotherapie sei dem Patienten so nicht zu verabreichen gewesen, weil die vollständige Menge aus dem falschen Beutel nicht abgelaufen sei. Zudem habe das zwingend vorgesehene Infusionsbesteck mit Filter für eventuelle Proteinfäden gefehlt. Einen Beleg dafür gibt es nicht, doch das onkologische Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) versicherte auf Nachfrage, dass es sich so zugetragen hat.
In der Arztpraxis habe man versucht, die Restmenge unter nicht sterilen Bedingungen mit einer Spritze zu entnehmen und dem Patienten die restliche Menge langsam zu applizieren. Dies sei aber nicht gelungen. Der Geschäftsführer des MVZ hat sich bei der AOK beschwert: „Was muss noch passieren? Müssen erst Patienten wirklich Schaden nehmen? Muss dieser sensible Markt ausgeschrieben werden und das einzige Kriterium lautet: BILLIG?“
Der MVZ-Chef weist darauf hin, dass die Patienten bei einer nicht sichergestellten Versorgung eigentlich zur Therapie in ein Krankenhaus eingeliefert werden müssten. Damit wären für die AOK wiederum höhere Kosten verbunden, erinnert er die Kasse.
Probleme gibt es in der Praxis auch wegen der ad-hoc-Versorgung von Patienten: Zwei Apotheker haben jeweils ein Losgebiet mit der AOK bereits aufgekündigt, weil einige Praxen regelmäßig auf Abruf bestellten. In der Ausschreibung der Kasse sei das anders veranschlagt worden, so die Begründung.
Laut dem MVZ-Betreiber haben tatsächlich einige Onkologen ihre Behandlung umgestellt, um nicht selbst in Regress genommen zu werden. Denn vor Start der Verträge habe die Apotheke das Risiko von sogenannten Rückläufern auf sich genommen, etwa wenn ein Patient keine Therapie wollte, bei einem Krankenhausaufenthalt oder im Todesfall. Weil die Praxis freigestellt wurde, sei eine frühzeitige Bestellung in der Apotheke möglich gewesen. Für die Kasse sei dabei kein Kostenrisiko entstanden, da die Apotheke das Risiko für die Praxis übernommen habe.
Mit den Verträgen hätten die Praxen auf eine ad-hoc-Versorgung umgestellt, weil sie befürchten mussten, dass die Apotheke die Rückläufer nicht annehmen würde. Das MVZ habe sich so vor möglichen Regressen schützen wollen. Doch trotz einer anders lautenden mündlichen Zusage habe die AOK die Praxen später schriftlich aufgefordert, nur in medizinisch begründeten Fällen eine ad-hoc-Versorgung vorzunehmen. Von einer Regressfreistellung sei keine Rede mehr gewesen, bemängelt der MVZ-Chef. Man halte daher vorerst an der ad-hoc-Versorgung fest.
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