TK-Chef: AOK zwingt uns zu Zytoverträgen Lothar Klein, 07.09.2016 14:14 Uhr
Vom gemeinsamen Appell von Apothekern und Ärzten zum Verzicht auf Zyto-Ausschreibungen lassen sich die Krankenkassen nicht beeindrucken. Bei der Vorstellung des TK-Innovationsreports outete sich TK-Chef Dr. Jens Baas zwar als Kritiker von Ausschreibungen. Gleichwohl kündigte Baas an, dass sich die TK an der jetzt anlaufenden dritten Welle der Ausschreibungen beteiligen wird. Ebenfalls in den Startlöchern sind offenbar Barmer GEK, die KKH Allianz und die Deutsche BKK.
„Ich bin kein großer Fan von Ausschreibungen“, sagte Baas. Aber als Kasse könne man gar nicht anders. „Das ist ein Feld, wo unglaublich viel Geld gemacht wird“, so der TK-Chef, „und das nicht nur zu Gunsten der Patienten“. Ausschreibungen seien derzeit das „einzige Mittel“ der Kassen dagegen.
Und die Kassen machen sich gegenseitig Druck: In den Exklusivverträgen zahlten die Kassen nicht für Verwürfe. Daher rechneten die Apotheken diese mit Kassen ohne Ausschreibungen ab: „Wenn man keine Ausschreibungen tätigt, hat man am Ende nicht nur seine eigenen Ausgaben, sondern noch die der anderen.“
Der TK-Chef plädierte dafür, gemeinsam mit der Politik nach „intelligenteren Lösungen“ zu suchen. Er sei als Arzt nicht „extrem überzeugt“ von den Ausschreibungen bei Zytostatika. Diese seien nicht „das beste Gebiet für Ausschreibungen“, so Baas.
Kritik an der Ausschreibungspraxis der Kassen übte auch der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (ADKÄ), Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig: „Ich bin sehr gespalten.“ In Kliniken funktioniere das System bisweilen relativ gut. Es sei aber skandalös“, wenn dadurch die Versorgung der Patienten in der Fläche gefährdet werde, so Ludwig. In vielen Regionen sei der Zustand der Zyto-Versorgung „katastrophal“. Ludwig: „Wenn man die Versorgung nicht garantieren kann, darf man nicht ausschreiben.“
Der Kritik von Apothekern und Ärzten angeschlossen hat sich auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG): „Kassenartenspezifische Krebsmittellieferanten und damit kassengesteuerte Krebsmedizin kann und darf es niemals geben“, erklärte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Georg Baum. Die DKG schließe sich deshalb den Forderungen der öffentlichen Apotheken an und lehne Ausschreibungen für Zytostatika ab.
„Wir teilen die Sorge der öffentlichen Apotheken, weisen aber darauf hin, dass sich die Probleme in den Krankenhausapotheken genauso widerspiegeln würden. Wenn jede Krankenkasse die Versorgung ausschreibt, werden wir eine Fülle unterschiedlicher Verträge haben. Das bedeutet aber neben Chaos und Bürokratie vor allem, dass die Versorgungsqualität sinkt. Patienten müssten unterschiedlich behandelt werden“, so Baum. Das sei ein unhaltbarer Zustand.
Die jetzige Versorgungssituation sei hochwertig und werde den Belangen krebskranker Menschen gerecht. „Ausschreibungen sind für einen so sensiblen Bereich kein geeignetes Mittel“, machte der DKG-Hauptgeschäftsführer deutlich. „Wer und was in die Kliniken geliefert wird, muss in der Eigenverantwortung der Krankenhäuser bleiben. Das Instrument der Ausschreibungen bei Zytostatika muss aus dem Gesetz gestrichen werden“, forderte Baum.
Die Zytostatika würden in Krankenhausapotheken und öffentlichen Apotheken patientenindividuell und aufgrund tagesaktueller Laborergebnisse innerhalb weniger Stunden zubereitet und könnten dann direkt eingesetzt werden. So schnell könne kein industrieller Herstellerbetrieb agieren. Qualitätseinbußen durch die Zytostatika-Ausschreibungen seien absehbar, da aufgrund langer Transportzeiten und -wege die patientenindividuell zubereiteten Zytostatika nicht mehr kurzfristig und in der gewohnten Qualität zur Verfügung stehen könnten.
Mit harschen Tönen reagierte der AOK-Bundesverband auf die Appelle von ABDA und DKG: „Mit falschen Behauptungen und geschickter Desinformation versuchen einzelne Apotheker und Onkologen sowie ihre Verbände derzeit, die vom Gesetzgeber gewünschten Ausschreibungen im Bereich der Zytostatika-Versorgung zu Fall zu bringen. Wie schon zur Einführung der Arzneimittelrabattverträge werden auf dem Rücken der Patienten gezielt Ängste geschürt“, sagte er Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch.
Es sei „kompletter Unsinn“, dass durch Ausschreibungen Chaos entstehe oder die Versorgungsqualität sinke – im Gegenteil. Die qualitativ hochwertige Versorgung der Krebs-Patienten bliebe auch im Rahmen der Ausschreibungen gewährleistet. Durch sie gebe es endlich mehr Transparenz und Ordnung in einem bislang weitgehend undurchsichtigen Markt. „Zudem verkürzen wir damit die Lieferwege, heben die Qualitätsstandards gegenüber der Regelversorgung und kappen die Riesen-Gewinnspannen der Apotheker, auch der Krankenhausapotheken, für die Versichertengemeinschaft“, so Litsch. Dass Ausschreibungen nicht im Sinne der Lobbygruppen der Apotheker und Onkologen seien, liege auf der Hand.