Der mutmaßliche Pfusch-Apotheker aus Bottrop ist gerade erst angeklagt, schon werden Forderungen nach mehr Transparenz laut. Möglich wurde der „ungeheuerliche Skandal“ nach Ansicht von Winfried Baumgärtner, Vorstand der Mhplus-Krankenkasse, auch aufgrund einer Gesetzeslage, die den Apothekern bei der Herstellung und Abgabe von Zytostatika offenkundig gefährliche Freiräume beschert.
„Das Geschehen muss im Detail aufgeklärt werden, doch die entscheidende Frage ist nun, wie ähnliche Fälle in Zukunft verhindert werden können“, so Baumgärtner. Derzeit sehe das Verfahren bei der Herstellung und Abgabe von Zytostatika kaum Kontrollmechanismen durch Außenstehende vor: So beauftrage der Onkologe eine Apotheke mit der Herstellung der verordneten Rezeptur. Die Apotheke füge die Wirkstoffe in der gewünschten Dosierung zusammen und beliefere den Arzt, der das Medikament an den Patienten weitergebe. Die Krankenkassen erhielten die Rechnung der Apotheke und bezahlten.
„Ein Generalverdacht gegen die Apotheker besteht nicht. Dennoch benötigen wir zum Schutz der Patienten in Zukunft mehr Transparenz und Kontrolle. Eine patientenbezogene Nachweispflicht und lückenlose Dokumentationskette über die durch die Apotheker bezogenen und verwendeten Zytostatika könnte dies leisten“, so die Überzeugung Baumgärtners. Im Fall des Bottroper Apothekers hätte eine solche Dokumentation aufgezeigt, dass weit weniger Wirkstoffe eingekauft wurden, als die abgegebenen Mischungen hätten beinhalten sollen.
Die Mhplus gehört zu den geschädigten Kassen. Sie arbeitet nach eigenen Angaben eng mit der Staatsanwaltschaft Essen zusammen. Diese hatte erst gestern Anklage gegen den 47-jährigen Apotheker Peter S. erhoben.
Die Stadt Bottrop veröffentlichte kürzlich eine Aufzählung mit 49 Wirkstoffen, für die eine Unterdosierung in den Infusionen angenommen werden müsse. Mit der Liste wolle man für die Patienten eine klare Übersicht schaffen, betonte die Stadt. Sichere Rückschlüsse auf eine Minderdosierung im Einzelfall ließen sich damit aber nicht ziehen, betonte das Gesundheitsamt.
Der Mann sitzt seit Ende November 2016 wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Ermittelt wurde wegen Abrechnungsbetrugs und Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz. Von Abrechnungsbetrug hatte die Staatsanwaltschaft bislang in 59 Fällen gesprochen. Er soll bei mehr als 50.000 Infusionen die Wirkstoffe zu gering dosiert und Krankenkassen um 2,5 Millionen Euro betrogen haben.
Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft wurde dadurch die Qualität der Präparate gravierend gemindert oder völlig aufgehoben. Bei der Herstellung soll er zudem Hygieneregeln missachtet haben. In Deutschland versorgen Onkologie-Schwerpunktapotheken Patienten nach erfolglosen Standardtherapien individuell mit Medikamenten.
Die Liste mit den 49 Wirkstoffen enthält zum einen die Wirkstoffe aus den Infusionslösungen, die bei einer Hausdurchsuchung Ende November beschlagnahmt worden waren. Zum anderen sind Medikamente aufgeführt, die bei einer kaufmännischen Prüfung der Apotheke aufgefallen waren. Dabei gab es Differenzen zwischen der Einkaufsmenge und der Menge der abgegebenen Substanz. Die Stadt richtete eine Hotline für Betroffene ein.
Das Oberlandesgericht Hamm hatte im Juni eine Verlängerung der Untersuchungshaft angeordnet. Es bestehe Fluchtgefahr. Aufgrund der Vielzahl der Taten und der Schwere der Vorwürfe habe der Beschuldigte mit einer mehrjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen. Zudem gingen Krankenkassen und auch Patienten zivilrechtlich gegen ihn vor.
Die Apotheke in Bottrop war bis zum Bekanntwerden der Vorwürfe eine onkologische Schwerpunktapotheke. Nach dem Inhaberwechsel – die Mutter des Beschuldigten hat die Apotheke wieder übernommen – werden keine krebshemmenden Medikamente mehr hergestellt. Die Amtsapothekerin der Stadt hatte die Produktionsstätte für die Präparate nach einer Durchsuchung Ende November sofort geschlossen.
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