Lange wurde über die elektronische Patientenakte (ePA) gestritten, zuletzt über ihre datenschutzrechtliche Zulässigkeit. Es schien lange unklar, ob der Start zu Jahresbeginn gehalten werden kann. Nun ist die ePA seit zwei Monaten da – aber kaum jemand will sie. Die Krankenkassen berichten von sehr verhaltenem Interesse: Von den 73 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland haben bisher nur knapp 100.000 die ePA heruntergeladen.
Gesundheitsdaten wie Arztbefunde und Röntgenbilder auf dem Smartphone: Seit Jahresbeginn geht das mit neuen elektronischen Patientenakten (ePA). Unter Versicherten großer Krankenkassen stößt das freiwillige Angebot zwei Monate nach dem Start allerdings meist noch auf eher verhaltenes Interesse. Der digitale Dokumentenordner soll aber auch erst schrittweise mehr Funktionen bekommen und stärker bekannt gemacht werden. Die Kassen setzen auf deutlich anziehende Nachfrage. Bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) wurde die App inzwischen 4500 Mal aktiviert, wie der AOK-Bundesverband mitteilte. Bei der Barmer wurden nach Angabe der Kasse 6800 Apps heruntergeladen und mehr als 2600 aktiviert, bei der DAK-Gesundheit meldeten sich mehrere hundert Versicherte zur Nutzung an. Bei der Techniker Krankenkasse (TK) luden demnach fast 80.000 Nutzer die App herunter und verwenden sie.
Die E-Akte als freiwilliges Angebot für die 73 Millionen gesetzlich Versicherten war am 1. Januar gestartet. Aber erst einmal mit einer Testphase. Patienten können die ePA zunächst für sich selbst nutzen, nicht-digitale Unterlagen müssen anfangs auch noch per Handy oder Tablet eingescannt werden. Die Vernetzung mit Praxen soll im ersten Quartal 2021 nur mit Ärzten in Berlin und der Kassenärzte-Region Westfalen-Lippe getestet werden. Bis 1. Juli müssen dann aber alle Praxen angeschlossen sein. Und das soll auch für mehr Schub sorgen.
„Digitale Daten helfen uns, Krankheiten und Krankheitsverläufe besser zu verstehen und damit erfolgreicher zu behandeln“, sagte TK-Chef Jens Baas. Das funktioniere aber nur, wenn alle an einem Strang ziehen. „Die ePA kann erst ihr Potenzial entfalten, wenn sie auch in den Arztpraxen ankommt.“ Sie werde bisher schon sehr gut von den TK-Versicherten angenommen, machte Baas deutlich. Hintergrund sei auch die Möglichkeit, sich voll digital zu registrieren, ohne in die Kundenberatung zu gehen. „Das ist besonders jetzt im Lockdown entscheidend.“ Unter den Nutzern seien 78 Prozent zwischen 26 und 59 Jahre alt, 8 Prozent unter 25 Jahre und 14 Prozent über 60 Jahre.
Auch die AOK betont, die ePA sei ein zukunftsweisendes Projekt. Sie werde echten Nutzen für die Versicherten haben, wenn sie erst einmal flächendeckend eingesetzt und von den Ärzten befüllt werde. Im Lauf des Jahres sollten dann auch Informationen und Aufklärung für die Versicherten darüber intensiviert werden. „Mit jeder Arztpraxis und jeder Klinik, die dazukommt, und jedem Versicherten, der die ePA aktiv nutzt, wird die Sache spannender“, sagte ein Sprecher. Auch viele interessante Anwendungen würden erst im Laufe der Zeit starten. Die ePA-Einführung sei „kein Sprint, sondern ein Marathon“.
Die Barmer rechnet damit, dass die Zahl der aktiven Nutzer in diesem Jahr kräftig steigt, wie eine Sprecherin sagte. Die ePA solle mehr Transparenz schaffen und so auch eine bessere Versorgung ermöglichen. „Das geschieht vor allem dadurch, dass viele bislang verstreute Informationen an einem Punkt vereint werden und damit stets verfügbar sind.“ Dazu gehörten etwa Informationen zu Krankheiten und Therapien, im Ernstfall lebensrettende Notfalldaten oder Diagnosen. Entscheidend für den Erfolg werde auch sein, Nutzerfreundlichkeit und Datenschutz zu vereinen, ohne dass sich beides gegenseitig behindere. Die DAK setzt ebenfalls auf stetig steigenden Nutzerzahlen, wie ein Sprecher erläuterte. Durch die zukünftigen Ausbauschritte und die breite Anbindung an Praxen und andere Leistungserbringer werde der Mehrwert deutlich steigen. Generell habe die Bedeutung digitaler Angebote für die Versicherten massiv zugenommen. Das habe sich auch schon vor den besonderen Umständen der Corona-Krise gezeigt.
Die E-Akten sollen schrittweise mehr können. Ab 2022 sollen auch der Impfausweis, der Mutterpass, das gelbe Untersuchungsheft für Kinder und das Zahn-Bonusheft digital abrufbar sein. Was sie speichern wollen, entscheiden die Patienten selbst. Sie bestimmen auch, wer auf die ePA zugreifen darf – im ersten Jahr aber noch nicht in verfeinerter Form, was Datenschützer scharf kritisieren. Um die ePA war deshalb Ende vergangenen Jahres ein Streit entbrannt: Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber versuchte, ihre Einführung in der jetzigen Form zu verhindern und drohte den Kassen sogar mit Sanktionen. Am Ende schaltete sich das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) ein und forderte die Kassen implizit auf, die ePA trotz datenschutzrechtlicher Bedenken einzuführen und es notfalls auf einen Gerichtsprozess ankommen zu lassen. Parallel versuchten zwei Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht, die ePA noch zu stoppen. Das Gericht hatte die Verfassungsbeschwerde und den Eilantrag allerdings abgewiesen.
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