Ärzte sparen an der Therapie APOTHEKE ADHOC, 21.09.2016 15:04 Uhr
Die meisten Bürger und Ärzte sind zufrieden mit dem Gesundheitswesen. Auch weil die Politik laut dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirstschaftsforschung bis 2020 mehrere Milliarden Euro für Mehrleistungen im Gesundheitssystem investiert. Dennoch befürchten sie in Zukunft eine Verschlechterung der medizinischen Versorgung – vor allem auf dem Land und wegen steigender Kosten durch ältere Menschen. Die Ärzte machen die Politik dafür verantwortlich. Das ergab unter anderem der diesjährige Gesundheitsreport des Beratungsunternehmens MLP.
40 Prozent der Befragten hätten einen guten Eindruck von der Gesundheitspolitik in Deutschland – zum Vergleich: 2012 waren es 26 Prozent. Die Mediziner wiederum lehnten die Entscheidungen von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und seinem Ministerium zu 62 Prozent ab. Auch sind sich die Ärzte einig, dass gesundheitspolitische Themen im kommenden Wahlkampf keine besondere Rolle spielen werden (88 Prozent).
Immer mehr Krankenhausärzte berichten laut Report, dass sie aus Budgetgründen bereits auf notwendige Behandlungen verzichtet haben. Fast jeder zweite Arzt gab an, dass er zumindest in Einzelfällen aus Kostengründen auf therapeutische Maßnahmen verzichten musste. Zeitgleich hätten rund 40 Prozent der Versicherten das Gefühl, dass ihnen eine Behandlung oder ein Arzneimittel vorenthalten wurde.
Außerdem beklagte mehr als die Hälfte der Teilnehmer zu lange Wartezeiten in der Praxis. Damit Kassenpatienten nicht monatelang auf einen Facharzttermin warten müssen, gibt es seit Anfang des Jahres die Terminservicestellen. Während viele Patienten die Vergabestellen begrüßten (58 Prozent), lehnen sie niedergelassene Haus- und Fachärzte ab (87 und 79 Prozent).
Mit einer Zwei-Klassen-Medizin würden 70 Prozent der teilnehmenden Ärzte und 67 Prozent der Bürger rechnen. Vor allem werden steigende Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung erwartet (81 Prozent). 72 Prozent der Teilnehmer befürchten, dass sie in Zukunft zunehmend Kosten der medizinischen Versorgung selbst übernehmen müssten.
Der MLP-Gesundheitsreport zeigt auch regionale Unterschiede in der Zufriedenheit der medizinische Versorgung auf: In Brandenburg fühlten sich mehr Teilnehmer vom Arzt vernachlässigt (43 Prozent), in Rheinland-Pfalz seien es nur 25 Prozent. In Berlin würden die Patienten nach eigenem Empfinden am Längsten auf einen Arzttermin (60 Prozent) warten. Fast die Hälfte der niedergelassenen Ärzte im ländlichen Raum spüre den Ärztemangel und dessen direkte Auswirkungen bei der Patientenversorgung. Ein Beispiel ist laut Report Thüringen: 51 Prozent klagen über zu wenig Ärzte.
Die von der Bundesregierung beschlossene Gründung eines Strukturfonds zur Förderung der Niederlassung und den Ausbau der Telemedizin begrüßten die Ärzte. Es fehlten ihnen aber die Voraussetzungen: 81 Prozent sagen, die technische Ausstattung in Praxen und Krankenhäusern würde nicht ausreichen. 65 Prozent sehen Defizite in der medizinischen Ausbildung und glauben, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis unter zunehmenden Einsatz von telemedizinischen Angeboten leiden würde. Nur 22 Prozent der Patienten würde das Angebot überhaupt wahrnehmen, ältere Menschen lehnen sie eher ab.
Die Umfrageteilnehmer meinen, dass deutsche Krankenhäuser hohe Hygiene-Standards und gut ausgebildete Ärzte vorweisen. Die Mediziner wiederum klagen über Personalmangel. Insbesondere in der Krankenpflege gebe es Probleme, geeignetes Personal zu finden, denken 72 Prozent. In Hamburg haben mehr als die Hälfte einen guten Eindruck von den Krankenhäusern, in Hessen allerdings weniger als ein Drittel.
Die Mehrheit der Befragten zeigt laut Gesundheitsreport nur wenig Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Pflegeversicherung. 85 Prozent der Teilnehmer rechnen mit einer Zunahme pflegebedürftiger Patienten. So machen sich 45 Prozent Sorgen über die eigene finanzielle Absicherung im Pflegefall, 44 Prozent äußern sich gegenteilig. Mehr als jeder Dritte habe privat vorgesorgt oder plane dies.
Für die repräsentative Studie zum deutschen Gesundheitssystem nahmen rund 2000 Bundesbürger und mehr als 500 Ärzte teil. Die Umfrage wird seit 2006 im Auftrag von MLP einmal pro Jahr vom Allensbacher Meinungsforschungsinstitut durchgeführt.