Niedersachsen

Zwangsmitgliedschaft gescheitert – Pflegekammer wird aufgelöst

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Berlin -

Ausgerechnet in der Corona-Krise wird die Auflösung der Pflegekammer in Niedersachsen angekündigt. Sozialministerin Reimann ist es nicht gelungen, den Streit um die Kammer zu einem konstruktiven Ende zu bringen. Am Land bleiben Millionenkosten hängen.

Selbst als Sozialministerin Carola Reimann (SPD) die Auflösung der umstrittenen Pflegekammer Niedersachsen verkündet, wirkt sie nicht wie eine Macherin, sondern eher wie eine Zwangsvollstreckerin. Weil sich bei einer schwach genutzten Online-Befragung zur Zukunft der Kammer 70,6 Prozent der teilnehmenden Pflegekräfte gegen den Fortbestand und nur 22,6 Prozent dafür aussprachen, werde die Kammer abgeschafft, teilte Reimann am Montag in Hannover mit.

Mitten in der Corona-Krise wird der Interessenvertretung damit der Stecker gezogen. Die Opposition lastete das Scheitern Reimann an und FDP und AfD wiederholten Rücktrittsforderungen – am Ende ist das Kammer-Debakel aber auch das erste geplatzte Großprojekt, das auf das Konto der großen Koalition geht. Klaren Rückhalt für die Pflegekammer gab es im Parlament zuletzt nur noch von der SPD und den Grünen, die die Vertretung während der rot-grünen Vorgängerregierung ins Leben gerufen hatten. CDU und FDP passte die Kammer von Anfang an nicht.

„Das Ergebnis ist eindeutig“, sagte Reimann. „Wir werden diesen deutlichen Zahlen nun unverzüglich die Auflösung der Pflegekammer folgen lassen.“ Ein entsprechendes Gesetz werde vorbereitet, wohl nicht mehr bis Jahresende, aber möglichst schnell solle die Kammer abgeschafft werden. Bitter sei dies für die 34 Beschäftigten der Kammer, einige könnten sicher in den Landesdienst übernommen werden. Das Land wird das Gerangel um die Kammer samt Abwicklung mehr als 12,4 Millionen Euro kosten. Die Rechtsnachfolge tritt das Land an, das nun wieder das Thema Weiterbildung von der Kammer übernimmt.

Rund 78.000 Pflegekräfte waren aufgerufen, sich zur Arbeit und Zukunft der Kammer zu äußern. 15.100 davon nahmen an der Befragung teil. Reimann sagte, sie hätte sich eine höhere Beteiligung gewünscht. Das Ministerium hatte zuvor aber klar gestellt, dass das Votum der Pflegekräfte unabhängig von der Beteiligung bindend ist. „Ich wünsche mir, dass die Pflegekräfte weiter zu Wort kommen und sich Gehör verschaffen“, sagte Reimann. Verstärkt seien die Gewerkschaften nun gefragt.

Die Pflegekammer selber wehrte sich gegen die geplante Auflösung. Angesichts einer Beteiligung von weniger als 20 Prozent könne die Umfrage nicht zur Bewertung der Arbeit der Kammer herhalten, sagte Kammerpräsidentin Nadya Klarmann. „Dies ist rechtlich mehr als fragwürdig.“ Die begonnene Arbeit der Pflegekammer müsse im Interesse der Pflegekräfte weiter ausgebaut werden. Die Pflegekräfte brauchten eine starke Stimme, die ihre mehr als berechtigten Interessen vertrete. Wie es aus der Kammer hieß, werden nun neben rechtlichen Schritten auch Möglichkeiten geprüft, wie die Interessenvertretung in einem anderen Rahmen fortgeführt werden kann.

Die CDU habe immer vor einer Kammer mit Zwangsmitgliedschaft gewarnt, sagte der Landtagsabgeordnete Volker Meyer. Den Pflegenden stehe es frei, sich eine freiwillige Vertretung zu schaffen. „Dies werden wir politisch gerne begleiten.“ Die Grünen-Abgeordnete Meta Janssen-Kucz sprach von einem kompletten Versagen der Landesregierung. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Ministerin Reimann hätten nicht ernsthaft die volle Verantwortung für eine gute Pflege in Niedersachsen und für die Pflegekammer als starke Interessensvertretung übernommen.

Die Kammer als Interessenvertretung der Pflegebeschäftigten war 2017 ins Leben gerufen worden und hatte 2018 die Arbeit aufgenommen. Ärger gab es, weil alle Pflegekräfte auch gegen ihren Willen Pflichtmitglieder in der Kammer werden und einen Mitgliedsbeitrag zahlen sollten. Ende vergangenen Jahres entschied das Land dann, die Kosten zu tragen, damit keine Beiträge mehr von den Beschäftigten erhoben werden müssen. Dadurch sahen sich Teile der Kammer wiederum in einer unerwünschten Abhängigkeit von der Landespolitik.

Sozialministerin Reimann war im Landtag häufiger ein mangelnder Einsatz für die Pflegekammer vorgeworfen worden, eher als Zuschauerin denn als Lenkende habe sie die Geschicke der Kammer verfolgt, hieß es. „Als ich nach Niedersachsen kam, habe ich Art und Umfang der Debatte unterschätzt“, räumte Reimann am Montag bei der Frage nach eigenen Versäumnissen ein. Sie gestand aber auch: „Ich war keine große Verfechterin der Kammeridee.“

Im Zuge der Abwicklung der Kammer sollen nun auch die 2018 und 2019 geleisteten Mitgliedsbeiträge zurückgezahlt werden. „Dies soll so schnell wie möglich passieren“, teilte Reimann mit.

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