Gericht verbietet Hilfsmittel-Boni Alexander Müller, 15.07.2015 15:28 Uhr
Apotheken dürfen ihren Kunden die gesetzliche Zuzahlung nicht erlassen, das verbietet in den meisten Fällen schon ihre Berufsordnung. Das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) hat jetzt entschieden, dass auch ein Versender von Diabetikerbedarf keine entsprechenden Vergünstigungen anbieten darf. Allerdings erlaubte das OLG Boni unterhalb einer Bagatellschwelle von einem Euro.
Der Spezialversender Dr. Schweizer hatte gegenüber Kunden damit geworben, die Zuzahlung bei Hilfsmitteln komplett zu übernehmen. „Zuzahlung bezahlen Sie übeigens bei uns nicht, das übernehmen wir für Sie“, hieß es in der Werbung.
Dagegen war die Wettbewerbszentrale vorgegangen. Die Leistungserbringer seien verpflichtet, die gesetzliche Zuzahlung zu erheben, damit diese ihre vorgesehene Steuerungswirkung auch erfülle, so das Argument. Die Gewährung der Vergünstigung verstoße zudem gegen das Heilmittelwerbegesetz (HWG). Nach erfolgloser Abmahnung im Oktober 2013 zog die Wettbewerbszentrale vor Gericht.
Dr. Schweizer hatte dagegen gehalten, es sei Sache des Leistungserbringers, auf die Zuzahlung zu verzichten oder nicht. Der Anspruch zwischen dem Versender und seinen Kunden sei ein rein privatrechtlicher. Da der Aufwand zur Einforderung der Zuzahlung gerade bei Diabetes-Patienten mit umfangreichem Lieferprogramm unverhältnismäßig sei, müsse es Leistungserbringern freistehen, diese einzutreiben.
Das Landgericht hatte die Klage der Wettbewerbszentrale in erster Instanz abgewiesen. Denn bei Einziehungspflicht der Zuzahlung handele es sich nicht um Marktverhaltensregeln. Das sah im Berufungsverfahren auch das OLG Stuttgart so, verbot das Angebot aber trotzdem.
Die Aktion des Versenders vermöge „bei häufig finanziell nicht gut gestellten Rentnern, welche dieser Hilfsmittel bedürfen, ein starkes Nachfrage lenkendes Marktinstrument sein“. Da Zuzahlungen die Selbstverantwortung der Patienten stärken sollten, sei das Angebot zwar „nachhaltig rechtswidrig“, aber eben nicht aus wettbewerbsrechtlicher Sicht.
Das OLG erkannte aber einen Verstoß gegen das HWG: Der Rabatt werde von Dr. Schweizer selbst eindeutig als Vergünstigung oder Zuwendung deklariert. Da die Leistungserbringer die Zuzahlung laut Sozialgesetzbuch (SGB V) einziehen müssen, wolle das OLG hier einen Wertungswiderspruch mit dem HWG vermeiden.
Der Erlass kommt aus Sicht des OLG einem Geschenk gleich, Dr. Schweizer verspreche somit eine Werbegabe im Sinne des HWG. Und ähnlich wie seinerzeit die Praxisgebühr, sei die Zuzahlung bei der Bevölkerung eindeutig negativ konnotiert. Für angesprochene Kunden sei eine Ersparnis von bis zu 10 Euro ein „erhebliches Kaufargument, sprich ein nachhaltiges Marketinginstrument“, so das OLG.
Die Stuttgarter Richter bezogen sich dabei auf die vom Bundesgerichtshof (BGH) in Verfahren zu Rx-Boni gezogene Bagatellgrenze von einem Euro. Diese sei im Falle der Zuzahlungen jedenfalls überschritten. Der BGH habe die maßgebliche Wertgrenze bereits ab ein Euro gesehen und so festgelegt. Bis zu dieser Grenze dürfte Dr. Schweizer die Zuzahlung theoretisch auch künftig erlassen.
Das OLG hat keine Revision zum BGH zugelassen. Man sei ausschließlich anerkannten Rechtsgrundsätzen gefolgt, die erst jüngst höchstrichterlich gebilligt worden wären. Gegen diese Entscheidung kann Dr. Schweizer noch Nichtzulassungsbeschwerde in Karlsruhe einlegen.
Bei der Wettbewerbszentrale ist man selbst gespannt auf die Folgen der Entscheidung: „Es bleibt abzuwarten, wie das Urteil in der Branche umgesetzt wird. Vermutlich dürfte es wenig werbewirksam und praktisch auch kaum umsetzbar sein, mit einem Zuzahlungsverzicht bis zu einem Euro zu werben oder Zuzahlungsbeiträge bis zu einem Euro zu erstatten, heißt es einer Mitteilung.
Die Wettbewerbszentrale warnt zudem Apotheken, aufgrund dieser Entscheidung ihren Kunden die Zuzahlung nunmehr teilweise zu erlassen. Apothekern sei dies nach ihren Berufsordnungen nicht gestattet ist, siehe etwa § 19 Nr. 4 der Berufsordnung der Bayerischen Landesapothekerkammer.
„Das Urteil des OLG Stuttgart sollte also nicht als 'Freibrief' betrachtet werden, mit einem teilweisen Zuzahlungsverzicht zu werben oder auf die Zuzahlung auch nur teilweise zu verzichten“, so die Wettbewerbszentrale.