Zum 1. April sind neue Festbeträge in Kraft getreten. Für 30 Gruppen wurden die Preise angepasst, für Infliximab wurde erstmals ein Festbetrag festgesetzt. Jetzt fordert der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) eine Reform des Festbetragssystems, weil seit zehn Jahren die Zahl der zuzahlungsfreien Arzneimittel sinkt, dadurch Innovationen verhindert und Arzneimittel vom Markt genommen werden.
„Gerade wenn ich daran denke, dass aufgrund des demografischen Wandels der Anteil älterer Menschen weiter zunehmen wird, brauchen wir ein Festbetragssystem, das dem auch gerecht wird. Die Medizin der Zukunft wird individualisierter, passgenauer, maßgeschneiderter sein. Ein Festbetragssystem, das diese Entwicklung nicht nachvollzieht, können wir uns auf Dauer nicht leisten“, so Dr. Hermann Kortland, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BAH. Das derzeitige Festbetragssystem differenziere nicht ausreichend nach therapierelevanten Kriterien bei Arzneimitteln. Das Raster für die Eingruppierung sei zu grob, die Höhe der Festbeträge richte sich im Wesentlichen nach Wirkstoffmenge und Packungsgröße.
Der GKV-Spitzenverband passt die Festbeträge, also die Erstattungshöchstgrenzen für Arzneimittel, alle zwei Jahre an, in der Regel in Form einer Absenkung. „Dies trägt dazu bei, dass die Anzahl zuzahlungsbefreiter Arzneimittelpackungen im Laufe der Zeit kontinuierlich gesunken ist, laut unserer Studie innerhalb von zehn Jahren von etwa 11.500 (2008) auf etwa 3300 (2018). Das entspricht einer Abnahme von über 70 Prozent“, sagt Dr. Christof Ecker, Geschäftsführer bei Ecker + Ecker. Die Agentur wurde vom BAH mit einer Studie über die Wirkungen der Festbeträge beauftragt.
„Die Zeche zahlt entweder der Hersteller oder der Patient: Der Hersteller, wenn er als Reaktion auf eine Absenkung der Festbeträge – oft bis unter die Wirtschaftlichkeitsschwelle – seinen Preis reduziert. Oder der Patient, der zuzahlen muss, wenn der Hersteller seinen Preis nicht reduziert. Wir brauchen daher dringend eine Grenze, bis zu der höchstens abgesenkt werden darf“, so Kortland. Nach Angaben von Ecker + Ecker wurden seit 2008 insgesamt 186 Arzneimittel innerhalb von vier Wochen vor und nach der Erstfestsetzung der Festbeträge vom Markt genommen.
Der BAH fordert im Festbetragssystem eine stärkere Berücksichtigung bestimmter therapierelevanter Kriterien bei Arzneimitteln, zum Beispiel bei den Darreichungsformen: Kinder oder Ältere könnten oft keine Tabletten schlucken. Sie benötigen dann vielleicht einen Saft, damit sie ein Arzneimittel überhaupt einnehmen können. Dass dieser Saft aufwendiger herzustellen ist als die Tablette, muss sich in den Festbeträgen widerspiegeln, so der BAH. So gebe es beispielsweise für Kinder unter sechs Jahren mit Asthma kein aufzahlungsfreies Inhalat mehr. Die Differenz betrage zwischen knapp 3 Euro und knapp 36 Euro.
Nach Recherchen von Ecker + Ecker waren insgesamt zeitweise 117 Wirkstoffe nur mit Aufzahlung erhältlich, davon sieben laut BfArM versorgungsrelevante Wirkstoffe: Astorvastatin, Doxepin, Econazolapram, Escitalopram, Gliclazid, Lavofloxacin und Warfarin. Der mit dem Festbetragssystem einhergehende „Kellertreppeneffekt“ schränke die hinreichen de Versorgung der Patienten nicht nur mit auf-, sondern auch mit zuzahlungsfreien Arzneimitteln ein, so Kortland. Er fordert, dass in jeder Festbetragsgruppe mindestens ein Drittel der Arzneimittel zuzahlungsfrei sein müssen.
Der BAH will im Rahmen einer Reform des Festbetragssystem die Begründungspflicht des G-BA bei der Festlegung der Gruppen ausbauen und die Fachaufsicht des Bundesgesundheitsministeriums ausweiten. Es müsse eine „Erheblichkeitsgrenze“ für hinreichende Versorgung eingezogen werden, fordert der BAH. Der GKV-Spitzenverband müsse sein Festsetzungsverfahren transparenter gestalten. Die tragende Gründe müssten offen gelegt und begründet werden, so Kortland.
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