Kompressionsstrümpfe direkt vom Arzt. Eigentlich sind solche Angebote grundsätzlich verboten. Ein Mediziner aus Essen hat die Grenzen seiner Berufsordnung ausgetestet – und musste sich nun vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG) verteidigen. Einer Entscheidung stehen bislang allerdings verschiedene Hindernisse im Weg – Streit um Zuständigkeiten und Kostenübernahme, zurückgezogene Zeugenaussagen einer Apothekenmitarbeiterin und zuletzt Verfahrensfehler.
Der Streit begann bereits vor sechs Jahren: Ein Mediziner, der in Essen eine Gemeinschaftspraxis für Gefäßmedizin und Gefäßchirurgie betreibt, hatte sich bereits im September 2009 an die Ärztekammer Nordrhein gewandt. Er legte der Kammer einen Kooperations- und einen Beratervertrag mit einem Sanitätshaus vor und bat um standesrechtliche Prüfung.
Der Vertrag sah die Einrichtung eines Depots mit Hilfsmitteln für Notfallpatienten in der Arztpraxis vor. Für seine Beratungsleistung sollte der Arzt eine Vergütung von knapp 3000 Euro im Monat erhalten. Die Ärztekammer erteilte ihm eine Absage. Die Versorgung von Patienten mit Hilfsmittel sei nur in Notfällen erlaubt, der Beratervertrag sei unzulässig.
Damit hätte die Sache beendet sein können – war sie aber nicht. Denn im April 2010 beschwerte sich ein Apotheker, der unter der Gemeinschaftspraxis eine Apotheke betreibt, bei seiner Kammer über die Aktivitäten in der Arztpraxis: Dort würden Hilfsmittel deponiert und an Patienten ausgehändigt; Angestellte des Sanitätshauses seien mit der Anpassung von Kompressionsstrümpfen beschäftigt. Dafür sei eine gesonderte Ecke in der Praxis eingerichtet worden. Wochenlang habe ein Schild am Eingang der Praxis auf das Sanitätshaus hingewiesen.
Die Geschäftsstelle leitete die Beschwerde an die Ärztekammer weiter, die die Wettbewerbszentrale einschaltete. Diese teilte im April 2011 allerdings mit, sie könne für ein „Nicht-Mitglied“ wie die Apotheke keinen aufwändigen Prozess führen, dessen Ergebnis von Zeugenaussagen abhänge. Die Ärztekammer lehnte die Kostendeckung ab. Damit war dieser Verfahrensweg beendet.
Allerdings entschied der Vorstand der Ärztekammer im April 2012, dem Kollegen eine Rüge mit einem Ordnungsgeld in Höhe von 2000 Euro zu erteilen. Sie warf dem Arzt vor, durch die nicht hinreichend abgegrenzte Zusammenarbeit mit dem Sanitätshaus gegen die Berufsordnung verstoßen zu haben. Demnach dürfen Ärzte Patienten „nicht ohne hinreichenden Grund“ an Ärzte, Apotheken oder Unternehmen, die Hilfsmittel anbieten, verweisen.
Die Kammer kritisierte, dass über einen langen Zeitraum neben dem Arztschild vor der Praxis ein Werbeplakat des Sanitätshauses gehangen habe. Außerdem sei ihr durch den Apotheker und Zeugen mitgeteilt worden, dass Mitarbeiter des Sanitätshauses fast täglich die Praxis aufsuchten, um Kompressionsstrümpfe anzumessen. Der Arzt selbst habe eingeräumt, dass er das Sanitätshaus empfehle – der Patient letztlich aber selbst entscheiden könne, an wen er sich wende.
Aus Sicht der Kammer ist die Wahlfreiheit der Patienten aber beeinträchtigt, wenn der Arzt von sich aus einen Leistungserbringer nahelegt. Auch durch die Größe und die Platzierung des Werbeplakats würden Patienten in unzulässiger Weise beeinflusst. Es entstehe der Anschein, dass nicht nur die Versorgung von Notfallpatienten erfolge, sondern dass durch das Sanitätshaus das Alltagsgeschäft bedient werde. Für den Wiederholungsfall drohte die Kammer ein berufsgerichtliches Verfahren an.
Der Arzt wehrte sich gegen die Rüge. Er erklärte, das Depot werde nur für eine zulässige Notfallversorgung verwendet. Dass das Sanitätshaus das Notfalldepot betreue, sei nicht zu beanstanden. In einer phlebologischen Praxis sei nicht immer absehbar, welches Hilfsmittel nach einer Behandlung benötigt werde. Das Werbeschild habe das Sanitätshaus aufgehängt, um auf die eigenen Räume zu verweisen – dafür trage er nicht die Verantwortung.
In Ausnahmefällen dürften Ärzte Leistungserbringer empfehlen, argumentierte der Arzt. Dies sei der Fall, wenn der Patient ausdrücklich und von sich aus nach einem Leistungserbringer frage oder wenn spezielle Bedürfnisse des einzelnen Patienten vorlägen. Er empfehle das Sanitätshaus „auf Grund besonderer Qualifikationen im Bereich der Kompressionsstrumpfanpassung“. Dem liege ein spezielles Bedürfnis des Patienten zu Grunde.
Das Berufsgericht wies den Antrag des Arztes auf Nachprüfung zurück. Dieser legte allerdings Beschwerde ein und erklärte, die Entscheidung hätte nicht in Form eines Beschlusses – also ohne Zeugenanhörung und Sachverständigengutachten – fallen dürfen. Das OVG gab ihm recht. Nun muss erneut das Berufsgericht über den Fall verhandeln.
Aus Sicht des OVG wies das Verfahren in erster Instanz wesentliche Mängel auf. Der Streitfall sei dadurch gekennzeichnet, dass der Arzt das ihm vorgeworfene Verhalten bestreite. In einer solchen Konstellation müssten der Betroffene vor Gericht selbst gehört werden sowie etwaige Zeugen und Sachverständige zu Wort kommen. Außerdem müsse dem Betroffene die Möglichkeit gegeben werden, sich unmittelbar mit ihnen auseinanderzusetzen.
Das OVG gab dem Berufsgericht auf, wenigstens den Arzt und Zeugen, darunter der Apotheker und zwei seiner Angestellten, zu vernehmen. Der Apotheker hatte bereits im Februar 2011 seine Frau und zwei Mitarbeiterinnen als Zeugen benannt und deren handschriftliche Ausführungen an die Ärztekammer geschickt. Im Winter 2011 hatte er der Kammer außerdem Berichte einer Teilzeitangestellten und Patientin an die Kammer weitergeleitet, die über die Versorgung mit Kompressionsstrümpfen in der Praxis berichtete. Sie hat sich dem Arzt zufolge aber bereits von ihrer Aussage distanziert.
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