Ungereimtheiten beim Zulassungsverfahren von Zoloft (Sertralin, Pfizer) und die Rolle von Professor Dr. Karl Broich: Die Fraktion die Linke wollte mit einer zweiten Kleinen Anfrage Licht ins Dunkel um Interessenkonflikte und die Häufung von Suiziden unter Zoloft bringen. Schließlich blieben aus Sicht der Politiker im ersten Versuch – im Sommer 2017 – konkrete Antworten der Bundesregierung aus. Jetzt liegen die Antworten auf die im Dezember gestellten Fragen vor.
Zoloft wurde im Oktober 1996 in einem nationalen Verfahren die Zulassung erteilt. Das Antidepressivum aus der Gruppe der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) kam zur Behandlung von Depressionen, Angststörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen sowie Zwangsstörungen auf den Markt. Für den Arzneistoff wurde in der Vergangenheit das Risiko für Suizidalität diskutiert und schließlich als Ergänzung in die Fachinformation aufgenommen. Zoloft wird ein erhöhtes Risiko für suizidales Verhalten zugeschrieben. Hinweise zu Risiken des Mittels aus publik gewordenen Studien nähren bei der Fraktion den Verdacht, dass das Mittel vom Hersteller nicht ausreichend geprüft wurde. So sollen gar 90 Prozent der Daten über schwerwiegende Zwischenfälle und Suizide im Zulassungsdossier ausselektiert worden sein. Dies konterkariere den Zweck der Risikobewertung, so die Fraktion.
In der Kleinen Anfrage geht es also um den Verdacht, dass die Risiken von Zoloft im Zulassungsverfahren möglicherweise verschleiert wurden und das Antidepressivum nicht nach den Vorgaben des Arzneimittelgesetzes (AMG) geprüft wurde. Würde dies nachträglich bekannt, müsste dem Arzneimittel gemäß § 30 AMG die Zulassung entzogen beziehungsweise deren Ruhen angeordnet werden. Die Bundesregierung teilt jedoch mit: „Der Zulassungsinhaber hat zum damaligen Zeitpunkt im Rahmen der Einreichung des Zulassungsdossiers alle relevanten Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten aus den durchgeführten klinischen Studien zu Zoloft dargelegt.“ So wurde eine „umfassende Dokumentation zur Unbedenklichkeit“ des Arzneimittels bereitgestellt.
Aktuell gebe es außerdem keinen Grund, die Zulassung ruhen zu lassen, denn das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Zoloft werde „weiterhin als positiv erachtet“. „Auch nach nochmaliger interner Überprüfung des hier angesprochenen Antrages auf Ruhen der Zulassung konnten keine Fehler festgestellt werden“, antwortet die Bundesregierung.
Hinterfragt wird auch die Rolle des Präsidenten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Broich war sowohl im Zulassungsverfahren als auch in der Prüfung, ob das Zulassungsverfahren zu beanstanden ist, beteiligt. Die Fragesteller wollen wissen, welche Fachartikel Broich zu SSRI-Antidepressiva vor und nach der Zulassung von Zoloft veröffentlicht hat. Gefragt wird auch nach gemeinsamen Veröffentlichungen von Broich und Professor Dr. Hans-Jürgen Möller, der während des Zulassungsprozesses als Gutachter des Herstellers und stimmberechtigtes Mitglied der Kommission A im Zulassungsverfahren tätig war. Die Fraktion will von der Bundesregierung wissen: Sind diese Rollen vereinbar?
Die Bundesregierung beantwortet beide Fragen aufgrund des Sachzusammenhanges gemeinsam. „Die Veröffentlichungen sind über entsprechende Literaturrecherchen erhältlich. Die Bundesregierung weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es nicht Bestandteil der parlamentarischen Kontrollfunktion ist, frei verfügbare Informationen durch die Bundesregierung zusammentragen und anschaulich aufbereiten zu lassen.“
Konkreter wird es zumindest in Frage 31: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, „dass sowohl Broich als auch Professor M. ein starkes gemeinsames Interesse daran haben können, dass das Zulassungsverfahren von Zoloft nicht in Kritik gerät“? Schließlich haben beide einen maßgeblichen Anteil an der aktuellen Situation der Behörde in Bezug auf die Risikoeinschätzung. Ein Ruhen der Zulassung könne zudem ihrem Ruf schädigen. Die Antwort trifft nicht den Kern der Frage: Das Ruhen der Zulassung „wäre eine Entscheidung durch die dazu berufenen europäischen Gremien und nicht durch einzelne (nationale) Entscheidungsträger“. Die bisherigen europäischen Risikobewertungsverfahren hätten keine Notwendigkeit für ein Ruhen der Zulassung Sertralin-haltiger Arzneimittel ergeben.
Aus Sicht der Fraktion kann das BfArM keine unabhängige Prüfung vornehmen, ob Zoloft im Zulassungsverfahren ausreichend vom Hersteller wie auch vom BfArM selbst nach dem Stand der Wissenschaft geprüft wurde. Eine unabhängige Prüfung könne laut Fraktion nicht von der Behörde durchgeführt werden, die auch über den Zulassungsantrag entschieden hat. Stattdessen solle ein unabhängiges Institut wie beispielsweise das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) oder eine rechtsmedizinische Fakultät einer Universität beauftragt werden. Die Fragesteller wollen wissen, ob die Bundesregierung diese Ansicht teilt. Darüber hinaus will die Fraktion wissen, ob im Fall Zoloft die in § 30 AMG formulierten rechtlichen Voraussetzungen zum Entzug beziehungsweise Ruhen der Zulassung erfüllt sind.
Auch hier gibt es eine gemeinsame Antwort: „Über die Rücknahme, den Widerruf oder das befristete Ruhen einer Zulassung wird gemäß den gesetzlichen Vorgaben entschieden. Hierbei handelt es sich um Amtsaufgaben der zuständigen Bundesbehörden.“ Dabei sei sichergestellt, dass die mit der Zulassung und Überwachung befassten Bediensteten der Zulassungsbehörden „keine finanziellen oder sonstige Interessen in der pharmazeutischen Industrie haben, die ihre Neutralität beeinflussen können“.
Sertralin wird als Glückshormon bezeichnet und besitzt eine stimmungsaufhellende Wirkung. Der SSRI spielt im zentralen Nervensystem eine wichtige Rolle bei der Regulation von Depressionen und Ängsten. Die Wirkung beruht auf der selektiven Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin durch die präsynaptischen Nervenzellen. Die Konzentration des Neurotransmitters im synaptischen Spalt steigt – Ängste, Traurigkeit, Antriebslosigkeit und Depression werden vermindert.
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