„Wo bleibt Ihr Veto?“ – Apothekerin schreibt Patientenbeauftragtem Laura Schulz, 19.08.2024 11:15 Uhr
Dass es der Apothekerschaft beim Widerstand gegen das Apotheken-Reformgesetz (ApoRG) nicht um persönliche Befindlichkeiten geht, sondern sie die Patientensicherheit gefährdet sehen, wurde bereits mehrfach deutlich gemacht. Apothekerin Marietheres Reher-Gremme aus der familiengeführten Bären-Apotheke im nordrhein-westfälischen Dülmen wendete sich nun an den Patientenbeauftragten der Bundesregierung, um vorab zum geplanten Kabinettsgespräch an diesem Mittwoch noch einmal zu den Folgen des ApoRG aufzuklären.
Der Bundestagsabgeordnete Stefan Schwartze wurde auf Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) durch das Kabinett zum Patientenbeauftragten der Bundesregierung berufen. Der gelernte Industriemechaniker Schwartze ist Parteikollege Lauterbachs und soll sich nun als unabhängiger Sachverständiger um Patiententhemen kümmern. Daher sah Reher-Gremme ihr Anliegen bei ihm und in seinem Büro an der richtigen Adresse.
Er werde in seiner Funktion sicher um die Reformpläne wissen, meint die Apothekerin, „umso mehr vermisse ich Ihr öffentliches unüberhörbares Veto“, schrieb sie in einem offenen Brief an Schwartze am 7. August, der bisher unbeantwortet bleibt. „Ohne Frage vernichtet das Vorhaben die qualitativ hochwertige, verantwortungsvolle und zuverlässige Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln, da es das bewährte System der inhabergeführten Apotheken vor Ort aushebelt.“
Patienten-Täuschung
Apotheken ohne Approbierte „täuschen die Patienten“, so Reher-Gremme. Zudem sei es in solchen Fällen möglich, dass Patient:innen dringend benötigte Betäubungsmittel (BtM), aber auch Impfungen und individuell hergestellte Rezepturen dann nur noch einmal wöchentlich bekommen, wenn dann eine Apothekerin oder ein Apotheker vor Ort sind. „Palliativ- und Schmerzpatienten müssen sich darauf einstellen, dass sie in siebentägiger Vorausschau planen und einen Termin für die Abholung Ihrer Opiate vereinbaren müssen.“ Dass das den praxisüblichen Gegebenheiten widerspricht, liege auf der Hand, so die Apothekerin.
„Eltern, die für ihre an ADHS erkrankten Kinder ebenfalls notwendige Betäubungsmittel benötigen, müssen sich auf die Suche nach einer Apotheke machen, die gerade einen Pharmazeuten vor Ort hat. Die Herbergssuche 2025 von Herrn Professor Lauterbach neu erfunden!“, moniert Reher-Gremme.
Auch für die Suche nach einer Apotheke, die mit Hochpreisern versorgen kann, müsse künftig „Zeit, Geduld und Mühe“ aufgebracht werden. „Aufgrund des unzumutbaren finanziellen Risikos der teuren Zwischenfinanzierung durch die Banken vor der Erstattung der Krankenkassen und vor dem Hintergrund möglicher Null-Retaxierungen geht kein vernünftiger Apotheker mehr dieses Wagnis ein. Kapitalgesellschaften werden den Markt übernehmen“, zeichnet die Apothekerin ein düsteres Bild von der Branchenzukunft, das auch die Lage der Patient:innen verschlechtern wird.
Schlechtere Versorgung mit Hochpreisern
„Schon jetzt zeigt sich deutlich die finanzielle Schieflage, die wir mit 3 Prozent Marge haben. Eine Reduktion auf 2 Prozent bedeutet bei allen Arzneimitteln über 1278 Euro Einkaufspreis einen Verlust von 27 bis 33 Prozent gegenüber heute“, rechnet Reher-Gremme vor. Mit solchen Arzneimitteln werden viele chronisch Kranke behandelt – „sie müssen mit einer gravierenden Verschlechterung der Versorgung rechnen“.
Die erforderliche umfassende Beratung bleibe dabei auf der Strecke. „Als niedrigschwellige, jederzeit erreichbare hochwertige Anlaufstellen für alle Fragen rund um die Gesundheit sind wir die einzigen kostenlosen Ansprechpartner, die man ohne Termin konsultieren kann. Auf diesen Luxus wollen Sie verzichten?“, fragt die Apothekerin den Patientenbeauftragten.
„Wenn Sie verantwortungsbewusst und weitsichtig Ihre Aufgabe als unabhängiger Patientenberater erfüllen möchten, müssten Sie schon längst lautstark und unmissverständlich Ihr Veto eingelegt haben. Stehen Sie zu Ihrer Verantwortung, die Ihnen Schutzbefohlenen zu verteidigen“, appelliert Reher-Gremme. Nun dränge die Zeit; bis das ApoRG im Kabinett vorgelegt wird, sind es nur noch wenige Tage. Schon jetzt sei das Apothekensterben gravierend und werde sich weiter verschlimmern, sollte sich an den Plänen nichts ändern. „Im Sinne der Patienten: Stoppen Sie diese Entwicklung bevor die noch vorhandenen gut funktionierenden Strukturen vollends zerstört sind!“