Kassen: Drückermethoden und Phantomversicherte APOTHEKE ADHOC, 11.03.2017 08:07 Uhr
Falsche Versprechen, überzogene Diagnosen, getrickste Zahlen: Die Krankenkassen kümmern sich intensiver um sich selbst als um ihre Versicherten. Mit immer dreisteren Tricks kämpfen sie um jeden Kunden und jeden Euro – zum Schaden der Patienten und der Konkurrenz. Das System sei krank, schreibt die Wirtschaftswoche (WiWo). Bald 150 Jahre nach der Gründung seien die Kassen eine „Wirtschaftsmacht ohnegleichen“.
Fast 90 Prozent der Deutschen vertrauen den Kassen ihre Gesundheit an. Mehr als 220 Milliarden Euro Beitragsmittel flossen 2016 in die Kassen der Kassen. Doch ihren wichtigsten Auftrag – dem Wohl der Patienten zu dienen – vernachlässigten die gesetzlichen Krankenversicherungen. Stattdessen herrsche ein gnadenloser Kampf „Kasse gegen Kasse“ um jeden Kunden, jedes Gesetz und vor allem um jeden Cent, so die WiWo.
Mit allen Tricks werde um Kunden gerangelt. Als Kronzeuge dient ein 46 Jahre alter Versicherter, der seinen wahren Namen nicht lesen will und daher im Bericht Mirko Trab genannt wird. Weil er auf sein Geld achte, sei er bei der BKK Mobil Oil versichert. Die Kasse habe ihm versprochen, ihren niedrigen Zusatzbeitrag von 0,8 Prozent bis Ende 2017 stabil zu halten. Doch daraus wurde nichts: Seit April 2016 muss Trab 1,1 Prozent abführen. Als Grund wurden ihm steigende Leistungsausgaben serviert.
Auch der von der BKK Mobil Oil versprochene Bonus von 200 Euro jährlich wurde auf 30 Euro zusammengestrichen. „Die arbeiten mit allen Taschenspielertricks“, empört sich Trab in der WiWo. Sein Schreiben an das Bundesversicherungsamt (BVA) brachte nur weitere Ernüchterung: Seine Kasse verstoße damit nicht gegen geltendes Recht.
Dann beruft sich das Wirtschaftsmagazin auf die Wettbewerbszentrale, bei der täglich solche Fälle ankommen. 2016 habe Rechtsanwältin Christiane Köber beispielsweise gegen die Schwenninger Krankenkasse geklagt, weil Makler bei der Neukunden-Akquise weit über Ziel hinaus geschossen waren: Im Namen, aber ohne Kenntnis der Kunden hätten diese einfach deren alter Versicherungen gekündigt.
Die BKK Mobil Oil habe Postboten an die Haustür geschickt. Mit der Unterschrift hätten die besuchten Verbraucher aber nicht den Empfang der Post bestätigt, sondern ihre alte Versicherung gekündigt. „Das ist dreist“, so Köber zur WiWo. Andere Versicherungen verzögerten die Bestätigung von Kündigungen, um die Mitglieder länger in ihrem Bestand zu halten und weiter Geld aus dem Gesundheitsfonds zu kassieren.
Noch schlimmer sei das Gemauschel mit „Phantom-Versicherten“, schreibt die WiWo – gemeint sind damit Flüchtlinge und Erntehelfer. Auch Saisonarbeiter müssten krankenversichert sein. Viele von ihnen blieben aber versichert, auch wenn die Saison schon längst ausgelaufen sei. Für jeden dieser Phantom-Versicherern erhielten die Kassen 170 Euro monatlich – ohne Ausgaben. Zehntausende Phantom-Erntehelfer geisterten so durch die Kassenbilanzen.
Nach einer Übergangsfrist würden auch Asylbewerber regulär krankenversichert. Viele verblieben aber in der Statistik, auch wenn sie längst abgeschoben oder ausgereist seien. Die Dunkelziffer kennt niemand. Aber immerhin hat das BVA bereits die Kassen vor dem Fortführen solcher Tricks gewarnt. Für ihre Karteileichen erhalten die Kassen nämlich Geld aus dem Gesundheitsfonds.
Auch den Medizinischen Dienst (MDK) nutzen die Kassen nicht selten dazu, berechtigte Ansprüche der Patienten abzuschmettern. Als Beleg erzählt die WiWo den Fall einer jungen schwerhörigen Zahnarzthelferin, der der MDK ein besseres Hörgerät verweigerte. Erst per Klage konnte die Frau ihren Anspruch durchsetzen. Die Kassen ließen ihre „Kunden hängen“, schlussfolgert die WiWo.
Jetzt sei die Politik gefragt, die Missstände zu beseitigen. Bis September werde der Wissenschaftliche Beirat beim BVA ein Gutachten vorlegen, wie solche Schlupflöcher gestopft werden könnten. Das sei die Gelegenheit, die Kassen an ihren eigentlichen Auftrag zu erinnern: „Sie dienen dem Wohl ihrer Versicherten“, so die WiWo.