„Wir sehen viele Einschränkungen unserer ärztlichen Autorität“ Alexander Müller, 07.10.2021 19:28 Uhr
Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery will unbedingt die Impfquote erhöhen. Man müsse die Uninformierten erreichen und die „trotzigen“ Menschen überzeugen, immer wieder. Mit allen Mitteln und als letztes Mittel auch mit einer Impfpflicht. Nur eines will der Vorsitzende des Weltärztebundes in seiner Funktion als Standesvertreter der Ärzteschaft dann doch nicht: Dass Apotheker:innen gegen Covid-19-impfen. Das vollständige Video-Interview finden Sie auch in unserem Youtube-Kanal. Eine Analyse zum Interview in unserem Podcast NUR MAL SO ZUM WISSEN.
ADHOC: Corona hat im Wahlkampf fast keine Rolle gespielt. Haben Sie eine Erklärung?
MONTGOMERY: Ich fand die Rolle gar nicht so gering, es ist ja auch politisch ausgeschlachtet worden. Einige Parteien, vor allem eine Partei, hat ja auf die Impfgegner gesetzt. Und es hätte eigentlich eines großen gemeinsamen Kampfes aller beteiligten Parteien, aller beteiligten Politiker bedurft, die sich dafür eingesetzt hätten, dass wir mehr impfen. Um die Vorurteile zu beseitigen die es da gibt.
ADHOC: Warum ist das nicht passiert?
MONTGOMERY: Ich glaube, dass die Verlockungen des Wahlkampfs für Politiker einfach zu groß sind. Da denkt man mehr an sich als an das Land, das haben wir ja erlebt. Aber jetzt ist das vorbei. Jetzt geht es ja wirklich darum, dass wir gemeinsam daran arbeiten, dass wir diejenigen die uninformiert sind, diejenigen die falsch informiert sind, informieren und dazu bekommen, dass sie sich impfen lassen. Ein paar werden wir nie erreichen, denn die sind einfach jenseits jeder Information.
ADHOC: Müsste nicht eigentlich jeder über die Vorzüge der Impfung Bescheid wissen?
MONTGOMERY: Es gibt eine interessante Untersuchung von der Uni Hamburg, die haben gerade festgestellt, dass es Menschen gibt, die inzwischen aus Trotz gegen den Staat in so einer Form grundsätzlichen Aufstands gegen alles sich nicht mehr impfen lassen wollen. Das ist natürlich eine bedenkliche Entwicklung. Die laufen überall herum mit so einem Zeichen von 3U – ungeimpft, ungetestet, unbeugsam. Ich finde die sollten 4U draufschreiben und auch noch „unglaublich dumm“ dazu nehmen, weil das ist eine politische Grundhaltung, die hat mit Epidemiologie, mit Serologie, mit Impfen gar nichts zu tun.
ADHOC: Heißt das nicht, dass die Regierung diese Menschen mit ihren Kampagnen gar nicht mehr erreicht?
MONTGOMERY: Wir wussten von Anfang an, dass wir eine bestimmte Anzahl von Leuten nie erreichen werden, das war uns klar. Es dürfen nicht zu viele werden, das ist der Punkt. Eine Herdenimmunität werden wir nie komplett erreichen, allein wegen der Kinder, die wir nicht impfen können. Es wird immer Menschen geben, die lassen sich durch nichts erreichen, die müssen wir schlicht und einfach mitrechnen. Es ist umso wichtiger, dass sich alle anderen impfen lassen, damit diese, ja ich sage es mal – diese dummen Menschen – keinen negativen Effekt auf den Impfstatus unseres Landes haben.
ADHOC: Haben Ihre Kolleg:innen vor Ort alle Möglichkeiten ausgeschöpft, zu überzeugen?
MONTGOMERY: Wir müssen sie erstmal in die Praxen kriegen. Daran setzen ja auch Apotheker an, indem sie sagen, wir möchten auch in den Apotheken impfen. Wir haben mit den Impfstoffen noch nicht so sehr viel Erfahrung. Deswegen ist ja ein sehr ausführliches Aufklärungsvorgespräch nötig. Deswegen müssen die Patienten nach der Impfung ja noch eine gewisse Zeit im Impflokal bleiben. Deswegen würde ich Ihnen gerade bei dieser Impfung nicht dazu raten als Apotheker da einzusteigen. Aber wir müssen trotzdem an die Menschen ran, mit mobilen Impfteams. Zu den Jungen, die das alles nicht so ernst nehmen. Auf der anderen Seite die Uninformierten, dann gibt es aber auch die Menschen, die nie Zeit haben, auch zu denen muss man hingehen. Und eine Gruppe, die wir gerne vergessen: die vielen Ausländer, die unserer Sprache gar nicht so mächtig sind, die das alles nicht so mitkriegen. Also wenn wir diese vier Gruppen jetzt mal schnell erreichen können, hätten wir schon ganz viel gewonnen.
ADHOC: Könnten die Apotheken dabei nicht helfen?
MONTGOMERY: Also, Sie sehen es mir nach, dass ich mich nicht auf das Glatteis begebe, als Arzt nun gegen die ganze Politik meiner Kollegen zu verstoßen. Ich bin der festen Überzeugung, Impfen mit allem Drumherum gehört in die Hände der Ärzte. In Pandemiezeiten, also in Notzeiten, mag sowas mal anders sein, aber über die sind wir jetzt schon hinweg. Also ich sehe keine Notwendigkeit, es gibt genügend Ärzte, es gibt genügend Impfteams, nur die müssen an die Menschen herankommen. Und ich glaube das reicht.
ADHOC: Wären nicht die Apotheken ein ideales niedrigschwelliges Angebot?
MONTGOMERY: Also, ich glaube die Angebote sind inzwischen schon so niedrigschwellig, dass es keines weiteren niedrigschwelligen Angebots bedarf. Aber ich verstehe die Intention dahinter, allein es hilft uns im Moment, glaube ich, nicht weiter.
ADHOC: Ihre Kollegen reagieren bei dem Thema teilweise sehr emotional. Verständnis?
MONTGOMERY: Ja, ich glaube, dass an vielen Ecken und Enden wir Einschränkungen unserer ärztlichen Autorität und des Arztvorbehaltes von vielen Leistungen sehen, da sind Kollegen schon erschreckt. Ich persönlich sage aber auch, es gibt auch beim Impfen Komplikationen, auch das Impfen ist nicht so harmlos wie man immer denkt. Und ich glaube, man sollte ein wenig zurückhaltender und vorsichtiger sein. Es geht hier nicht um ein neues Geschäftsfeld, es geht hier um einen ganz wichtigen Teil von Public Health, da geht es nicht um Geld, da geht es um Zuwendung zum Patienten und bei allem Respekt, da glauben die Ärzte immer noch, dass sie das ein bisschen besser können. Und ich finde, da haben sie Recht.
ADHOC: Wie stehen Sie zu einer Impfpflicht für Gesundheitsberufe?
MONTGOMERY: Also erstens halte ich es für unverantwortbar, dass man als Arzt, wenn man Kontakt zu Covid- oder potentiellen Covid-Patienten hat, nicht geimpft ist. Das gleiche gilt für unsere Mitarbeiter. Aber auch Lehrer und Lehrinnen sollten sich im Interesse des Schutzes ihrer Schüler, aber auch von sich selber, impfen lassen. Beim Impfen haben wir immer zwei Komponenten. Die eine Komponente ist der Schutz für mich als Impfling, die andere Komponente ist der Schutz aller anderen um mich herum, die ich dadurch schütze, dass ich die Krankheit nicht mehr übertragen kann. Deswegen glaube ich, dass bestimmte Berufsgruppen, mit einer besonderen Garantenpflicht – also Krankenschwestern, Altenpfleger, Ärzte – sich impfen lassen sollten, oder aber die Hände von Patienten lassen sollten. Wenn das alles nicht reicht, so weiß ich auch durch viele Verfassungsrichter inzwischen, dass eine generelle Impfpflicht auch für die Bevölkerung Sinn machen würde. So weit sind wir noch nicht, aber darüber werden wir vielleicht diskutieren müssen. Stellen sie sich mal vor, dieses Virus hätte die Ansteckungsfähigkeit von Delta und die Tödlichkeit von Ebola. Dann würde es uns nur helfen, wenn wir ganz schnell alle Menschen impfen würden. Weil sonst jeder der einen ansteckt, gefährdet einen jemanden anderen am Leben. Meine Freiheit hört da auf, wo die Freiheit der anderen anfängt. Deshalb müssen wir über eine Impfpflicht dann nachdenken, wenn wir weiter so viele Unvernünftige haben, die sich nicht impfen lassen.
ADHOC: Wann ist die Politik so weit, das zu entscheiden? Wir sind mitten den Sondierungsgesprächen…
MONTGOMERY: Also im Moment ist ja gerade mal wieder so das große Verharmlosen im Gange. Im Moment gehen die Zahlen sehr langsam wieder rauf. Die vierte Welle wird ja auch mit anderen Zahlen aufwarten als die zweite und die dritte, weil ja in der Tat jetzt bald zwei Drittel der Bevölkerung geimpft sind. Also, die vierte Welle wird sich bei den Ungeimpften vor allem austoben, und da werden eine ganze Reihe von Leuten sterben, den die Letalitäts-Quote bei Ungeimpften liegt bei ungefähr einem Prozent. Das sollte man nicht vernachlässigen. Wir haben immer noch fast 30 Millionen ungeimpfte Menschen in der Bundesrepublik. Nehmen wir mal die ganzen Kinder raus, bei denen die Erkrankung ja nicht so hart zuschlägt. Nehmen wir die Hauptgruppe, die unser Problem ist – nämlich 18 bis 59. Dort ist die Letalität ungefähr ein Prozent. Wir haben dann noch ungefähr über 10 Millionen Menschen in dieser Altersgruppe, die nicht geimpft sind, dann werden wir halt leider mit hunderttausend Toten rechnen müssen und das ist mehr als wir bisher hatten. Deswegen kann ich nur dazu raten lassen, sich impfen, damit dieses Risiko ausgeschaltet wird.
ADHOC: Solle für Apothekenteams auch eine Impfpflicht gelten?
MONTGOMERY: Ich glaube, dort kann man das mit den Plexiglas-Scheiben, mit Masken, mit den sogenannten physikalischen Schutzmaßnahmen ausreichend Schutz herstellen. Luftfilter gehören ja auch noch dazu, aber das muss man immer so vor Ort sehen. Da gibt es glaube ich keine generelle Richtlinie.
ADHOC: In anderen europäischen Ländern impfen Apotheker:innen, teilweise auch PTA. Sind deren Kolleg:innen in Deutschland schlechter ausgebildet?
MONTGOMERY: Nein, die haben im ganzen Kern ein ganz anderes Gesundheitssystem. Der National Health Service erlaubt sehr viel mehr. In einem Krankenhaus in Schweden machen die Schwestern etwas, was bei uns auch Ärzte tun, das hat etwas mit Ausbildung mit Verantwortung zu tun. Wer impft, muss auch die Verantwortung dafür übernehmen. Und gerade bei Impfstoffen die neu sind, bei Impfstoffen, die vielleicht auch noch Risiken bergen, gibt es keine Übernahme von Arbeit ohne die Übernahme von Verantwortung. Das ist in den einzelnen Ländern unterschiedlich geregelt, da kommen Ausbildungsfragen hinzu und deswegen ist es ganz gut bei uns geregelt, wie es jetzt ist.
ADHOC: Und das kann man deutschen Apotheker:innen nicht beibringen?
MONTGOMERY: Wenn ich das richtig sehe, gibt es bei den Apothekern das Angebot eines achtstündigen Schulungskurses. Ob das so wirklich reicht, weiß ich nicht. Sie müssen mit allergischen Reaktionen umgehen können, sie müssen mit Kreislaufreaktionen umgehen können, sie müssen da auch die Spreu vom Weizen trennen können, müssen wissen was ist nur wirklich gravierend und was nicht. Also ich habe keine Ahnung, wieviel Stunden man braucht, um das zu lernen aus der Vorbildung eines Apothekers heraus, da bitte ich um Gnade, weil ich nicht weiß, was Apotheker in ihrer Ausbildung hier lernen. Aber ich glaube, wir brauchen das einfach nicht.
ADHOC: Was brauchen wir denn dann? Die Regierung hat gesagt, dass sie Ungeimpfte nicht mit Geld locken will.
MONTGOMERY: Materielle Anreize bringen auch wirklich nicht viel, die müssten sonst sehr hoch sein. Um jemanden, der wirklich Angst vor der Impfung hat zu überzeugen, reicht keine Bratwurst, reicht kein Schnitzel und keine Pizza, da müssen sie schon ordentlich etwas drauflegen. Außerdem sagen dann alle anderen, die schon geimpft sind: Also ich hab es schon umsonst gemacht! Das wirft wieder Gerechtigkeitsdiskussion auf, die wollen wir gar nicht haben. Aber indirekte Anreize: Ich finde zum Beispiel die 2G-Regelung sehr vernünftig. Dass man also bestimmte, für ungeimpfte Menschen leider bestimmte Dinge nicht ermöglicht.
ADHOC: Laut der Studie der Universität Hamburg lassen sich die Leute nicht einmal von einem drohenden Arbeitsplatzverlust abschrecken.
MONTGOMERY: Einen Arbeitsplatzverlust halte ich nach deutschen Rechtssystem für fast nicht möglich, dann müssen andere Arbeitsplätze gefunden werden, wo es keine Menschen- oder Patientenkontakte gibt. Aber ja, das wird schwierig werden und da werden wir den einen oder anderen von den „Trotzkisten“ erreichen. Aber es wird immer welche geben – vielleicht 5 Prozent – die sich mit allem was sie haben einer Impfung entziehen werden. Das hat sehr oft überhaupt gar nichts mit dem Virus, mit der Impfung zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass man den Freiheitsbegriff für sich selber dahin auslegt, alles tun und lassen zu können und zu wollen, wie man es will. Eigentlich eine gefährliche Entwicklung, aber hat mit Impfen und mit Krankheit gar nichts zu tun.
ADHOC: Und wie kommen Sie an diese Menschen ran?
MONTGOMERY: Also ich bin persönlich immer sehr für Aufklärung. Trotz, das habe ich bei meinen Kindern erlebt, geht ja irgendwann auch mal weg, vielleicht erreichen wir das, indem wir mit ihnen reden. Den Versuch muss man immer wieder machen, obwohl es ziemlich bitter ist, das kann ich Ihnen sagen. Aber man muss immer wieder versuchen, mit diesen Menschen zu reden, auf sie zuzugehen. Aber ich sage es nochmal: Alle werden wir nie erreichen.
ADHOC: Wie wäre denn eine Impfpflicht als letztes Mittel überhaupt denkbar?
MONTGOMERY: Das haben wir schon bei den Masern ja durchdekliniert, also ein Impfen durch Vorführen mit der Polizei wird es nicht geben. Und deswegen sind die „Trotzkisten“ hier in diesem Fall auch so schwierig. Wir müssen hier mit gesellschaftlichem Druck arbeiten. Das wird über Bußgelder und Ähnliches laufen. Das muss ja auch noch dann verhältnismäßig bleiben. Aber das Verfassungsgericht hat 1959 zum Beispiel sehr klar gesagt, dass Impflichten zum Beispiel gegen Pocken oder Masern zulässig sind. Ob es das heute auch noch tun würde angesichts der Veränderung des Menschenbildes in der Frage der Selbstdefinition? Da haben wir völligen Wandel seit 1959. Ich glaube persönlich heute, dass das Verfassungsgericht einer Impflicht nicht ohne weiteres zustimmen würde. Ich bedauere das als Arzt, als Bürger sehe ich diese Entwicklungen, bin aber auch nicht mit allem einverstanden, was das Verfassungsgericht da immer so von sich gibt.
ADHOC: Bei welcher Impfquote liegen wir Ende Oktober?
MONTGOMERY: Ende des Monats Oktober schätze ich, dass wir auf einer Impfquote von 67 bis 68 Prozent sind. Momentan sind wir ja bei 63 oder 64, also ich glaube, so dramatisch wird sich das jetzt im Moment nicht ändern. Aber Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sie mahlen.