Pro und contra Apothekenreform

„Wir beraten im Jahr 2024 mit dem Gehalt von 2013“

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Berlin -

Bei einer Veranstaltung von Apothekerkammer und -verband in Berlin wurde gestern über die Zukunft der Apotheken und die Herausforderungen der Apothekenreform diskutiert. Vertreter aus Politik, Krankenkassen, Apotheker- und Ärzteschaft sowie von Patientenseite sprachen über die zunehmende Unterfinanzierung, Apothekenschließungen und mögliche neue Versorgungsmodelle.

Sind Apotheken wirklich bloß Abgabestellen? Oder sind sie vielmehr zentraler Anker der Gesundheits- und Daseinsvorsorge im Land? Diese Fragen wurden im Rahmen der Veranstaltung „Gesundheitsversorgung in Gefahr!“ von Apothekerkammer Berlin und Berliner Apotheker-Verein (BAV) diskutiert.

Kammerpräsidentin Dr. Ina Lucas erklärte, dass die Herausforderungen im Gesundheitswesen nur gemeinsam gelöst werden können. Verbandschefin Anke Rüdinger warnte davor, dass die Präsenzapotheken über kurz oder lang verschwinden und durch reine Abgabestellen ersetzt werden könnten, wenn der Bundestag zustimme. Kurzfristig seien Qualitäts- und Leistungseinschränkungen vorprogrammiert, langfristig könnte auch das Fremdbesitzverbot fallen, was Ketten und externen Investoren den Einstieg erleichtern würde.

Eine bloße Umverteilung reiche nicht aus, da die Apotheken seit Jahren unterfinanziert seien. Die zahlreichen Schließungen seien auf fehlende Honoraranpassungen zurückzuführen. „Wir sind überzeugt, dass Reformen notwendig sind, aber die Stimme derer, die täglich in den Apotheken arbeiten, muss gehört werden.“

„Wir beraten Patienten im Jahr 2024 mit dem Gehalt von 2013“, sagte Inhaberin Dena Rostamzadeh. Auch Kunden würden die angespannte Situation in ihrer Apotheke, die sie seit sieben Jahren führt, ansprechen. Sie habe Angst, neue Mitarbeiter einzustellen. „Ich weiß nicht, wo meine Zahlen hingehen. Miete, Strom und Löhne steigen. Der Umsatz meiner Apotheke ist gut, aber die Zukunft ist ungewiss.“

„Eine Umverteilung wird nicht helfen, ein Großteil der Apotheken wird verschwinden“, sagte Apothekerin Melanie Dolfen. „Wir finanzieren mit hohen Warenbeständen vor, die Absenkung auf 2 Prozent trifft uns hart, vor allem bei der Versorgung der HIV-Patienten.“ Der Beruf müsse aufgewertet werden, mit einem ordentlichen Gehalt, so die Apothekerin.

Reformen notwendig – aber die richtigen

Das Ministerium spreche viele wichtige Themen an, aber bei der Umsetzung „rauft sich jeder die Haare“, erklärte Anne-Kathrin Klemm, Vorstand des BKK-Dachverbands. Zum Beispiel bei der Medikalisierung von Kindern und Jugendlichen durch das GKV-System – das fresse die Primärprävention auf. „Natürlich wollen wir als BKKen und Kassen, dass die Präsenzapotheken erhalten bleiben, weil wir wissen, wie wichtig ihre Arbeit ist“, so Klemm. Das Gesundheitssystem sei teuer, aber der Output im Vergleich mittelmäßig. „Wir verwalten den Mangel im Überfluss“, so Klemm.

Die Mehrwertsteuer auf Medikamente müsse gesenkt werden. Auch der Bundeszuschuss an die Kassen müsse endlich steigen. „Bei der Dynamisierung des Bundeszuschusses sind wir immer noch auf dem Stand von 2019“, sagte Klemm. Viele Kassen würden sogar über Entlassungen nachdenken. Man müsse sich Gedanken machen, wann und in welcher Höhe der Beitragssatz angepasst werde.

Die Apotheken will Klemm künftig stärker einbinden: „Apotheken können viel mehr leisten: Impfungen, Erstversorgung vor der Notaufnahme, mehr pharmazeutische Dienstleistungen (pDL).“ Andere Länder würden es vormachen: „Wir werden einen Fachkräftemangel haben, warum also nicht dort zusammenarbeiten, wo es Sinn macht“, fragte sie. Nur Doppelstrukturen dürften nicht geschaffen werden.

Was können Apotheken leisten?

Dr. Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin, widersprach: „Ich halte nichts davon, dass Apotheken mehr Aufgaben übernehmen“, erklärte er. Die Stärke des Gesundheitswesens liege auch in der Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe. „Impfungen gehören in ärztliche Hände. Die Apotheke hat offensichtlich ein Finanzierungsproblem, aber neue Leistungsangebote sind nicht der Weg. Leistungen, die in die Apotheke gehören, müssen angemessen finanziert werden“.

Das sah Silke Gebel (Grüne), Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, anders: „Ich bin für Impfungen und Prävention. Apotheken schließen die Lücke in der Impfversorgung. Es ist allerdings nicht einfach, das in den Betriebsablauf zu integrieren.“

Zur Not mit Apotheke light?

„Meine Tochter ist pflegebedürftig“, erklärte Nicole Praima als Patientenvertreterin. „Ohne die Apotheke vor Ort wären wir oft aufgeschmissen. Wenn etwas nicht lieferbar ist und das Ersatzmedikament nicht vertragen wird, stellt die Apotheke es selbst her.“ Außerdem gebe es Apotheken auf dem Land, die die hochpreisigen Medikamente nicht vorfinanzieren könnten, dann müsse sie nach Berlin fahren. Die Lieferengpässe würden immer schlimmer, sagt sie, vor allem bei Antibiotika. „Die Apotheke hilft uns sehr.“ Dazu brauche es eine Apotheke mit Apotheker, mit Rezeptur – keine Light-Filiale.

„Wir sehen, dass die Regelungen des Ministers problematisch sind, aber wenn es keine Alternative gibt, dann sind weiterqualifizierte PTA eine Lösung“, so Klemm. Die PTA müssten entsprechend weitergebildet werden, zum Beispiel mit einem neuen Studiengang. Dann müssten sie auch besser bezahlt werden. In manchen Ländern wie Finnland gebe es kaum noch Apotheken vor Ort, sondern nur noch Videoberatung und Versandhandel. Das sei nicht das Ziel, stellte Klemm klar, aber für unterversorgte Regionen müsse man über alternative Lösungen nachdenken. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels seien Anpassungen bei den Anforderungen an die Eröffnung und den Betrieb von Apotheken notwendig; auch die Telepharmazie könnte insbesondere in Filialverbünden ein Baustein sein, um zur Entlastung und Verbesserung der Versorgung beizutragen.

„Die Studentenzahlen in der Pharmazie sind nicht zurückgegangen, aber die Arbeit in der Apotheke ist nicht mehr attraktiv“, sagte Rostamzadeh. „Warum sollen dann PTA einspringen? Ich verstehe die Logik nicht.“

„Das Risiko, eine eigene Apotheke zu führen, ist für junge Apotheker zu hoch“, sagte Klemm. PTA würden nur dort gebraucht, wo kein Apotheker in unterversorgte Regionen gehe. Sie wünsche sich mehr Transparenz, um unterversorgte Regionen gezielt angehen zu können. Zur Finanzierung schlug sie vor, Mittel aus dem ungenutzten pDL-Topf zu verwenden.

„Wenn sie mir garantieren können, dass ich auskömmlich bezahlt werde, würde ich mich auch bereit erklären, aufs Land zu gehen“, warf Rostamzadeh ein.

Retaxation ist Pflicht

Auf eine Frage aus dem Publikum zum Thema Retaxationen antwortete Klemm: „Ich glaube, mit dem E-Rezept wird das besser, mit der ePA auch.“ Sie verstehe nicht, warum ein Arzt ein Rezept verschicken könne, auf dem etwas fehle. Schließlich könnten Onlinebuchungen auch nicht verschickt werden, wenn irgendwo ein Häkchen fehle. Sie bedauerte zwar, dass die Apotheken die Leidtragenden dieser Fehler seien. Aber die Prüfung durch die Kassen sei verpflichtend. „Wir haben Schwellenwerte festgelegt, ab denen wir retaxieren, das ist unser gesetzlicher Auftrag. Aber wir müssen schauen, dass wir die Prozesse vereinfachen.“

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