Kommentar

Abgezockt und ausgeliefert André Morawetz, 10.11.2015 10:23 Uhr

Berlin - 

Krankenkassen unterbieten sich gegenseitig, wenn es darum geht, ihre Versicherten mit Windeln zu versorgen. 15 Euro für einen kompletten Monatsbedarf: Jeder Kaufmann erkennt sofort, dass das nicht funktionieren kann. Über einen Trick holt sich der Ausschreibungsgewinner den Fehlbetrag zurück. Nach dieser Logik könnte es irgendwann sogar Geld für den Zuschlag geben. Die Kassen liefern ihre Versicherten dem Windel-Kartell aus.

Selektivverträge mit bestimmten Versorgern unterlaufen das ökonomische Prinzip von Angebot und Nachfrage. Auf diese Weise ist ein Windel-Kartell entstanden, dem Kassenpatienten schutzlos ausgeliefert sind: Die gesetzlich Versicherten können ihre Rezepte nur beim Vertragspartner ihrer Kasse einlösen – und der kann jenseits des Erstattungsbetrags seine Preise frei gestalten. Je schlechter das Produkt, desto größer ist der Druck für die Versicherten, als Selbstzahler auf die Premiumalternative umzusteigen.

Dass die Kassen mit den Geldern ihrer Versicherten haushalten müssen, versteht sich von selbst. Aus gutem Grund sitzen die GKV-Vertreter als erste am Tisch, wenn Gesundheitsreformen ausgearbeitet werden. Mitunter stammen die Texte sogar aus ihrer Feder. Das ist solange hinzunehmen, wie sie sich als Vertreter der Versichertengemeinschaft verstehen. Doch die Inkontinzenversorgung zeigt, wie schnell die Kassen aus reiner Gier ihre eigenen Mitglieder verraten.

Niemand erwartet, dass Kassen Patienten mit Inkontinenz Windeln mit Blattgold zur Verfügung stellen. Doch ist ein Produkt, das seinen Zweck im Alltag erfüllt, bereits Luxus? Die Kassen nehmen eine schlechte Versorgung in Kauf, damit ihnen möglichst gar keine Kosten entstehen. Und die Masche hat Erfolg, weil die schlimmsten Abkassierer mit den geringsten Ausgaben belohnt werden.

Die fairen Kassen, die auf Qualität und Versorgung vor Ort setzen, haben im Wettbewerb das Nachsehen. So zieht eine Kasse nach der anderen nach: Es gewinnt, wer seine Versicherten am meisten schröpft. Steht doch einmal ein Versicherter im Servicezentrum auf der Matte, lässt sich die Schuld bequem auf die Leistungserbringer schieben.

Man stelle sich vor, Babywindeln blieben nur eine halbe Stunde lang trocken. Kein Kassenfürst würde sich wagen zu argumentierten, die Eltern müssten ihr Kind eben häufiger wickeln oder Pilzinfektionen in Kauf nehmen. Von den zumeist alten Menschen, die häufig wehrlos sind und ihre Rechte nicht kennen, wird dagegen erwartet, dass sie ihr Leid entweder stillschweigend erdulden oder sich zu hohen Preisen freikaufen.

Die Politik sollte sich bewusst machen, dass auch die Kassen keine Wohlfahrtsvereine sind. Im Gegenteil: Sie quetschen die Zitrone aus, ohne Rücksicht auf Verluste. Mehr Macht und mehr Rechte haben ihren Preis, den im Zweifelsfall nicht nur die Leistungserbringer, sondern auch die Versicherten zahlen müssen. Vielfalt hat ihren Preis – und ihren Wert. Auch wenn im Zusammenhang mit der Versorgung vor Ort gerne vom „Monopol“ die Rede ist: Apotheken und Sanitätshäuser wären im Wettbewerb das beste Korrektiv.

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