Angesichts der fortdauernden Niedrigzinsphase reagiert nach Nordrhein und Schleswig-Holstein jetzt auch das Versorgungswerk Westfalen-Lippe (VAWL). Auf der anstehenden Kammerversammlung soll eine Senkung des Rechnungszinssatzes und damit der künftigen Renten beschlossen werden. Außerdem werden ein Demografie- und Renditefaktor eingeführt sowie eine Reserve aufgebaut. Seit letztem Herbst hat das Versorgungswerk die Anpassung vorbereitet und die zuständigen Gremien eingebunden. Letzte Woche wurden im sogenannten „Listenführergespräch“ die verschiedenen Fraktionen der Kammerversammlung über die Vorschläge unterrichtet. Weitere Ortstermine bei den Treffen der Fraktionen schließen sich in diesen Tagen an.
Zuletzt wurde der Rechnungszins vor drei Jahren angepasst und für neue Beiträge ab 2014 von 4 auf 3 Prozent gesenkt. Betroffen von den vorgeschlagenen der Änderung sind 6725 Mitglieder. Bei den 2171 Leistungsempfängern ändert sich nichts. An Beiträgen eingenommen hat das VAWL zuletzt 53,5 Millionen Euro, ausgezahlt wurden ebenfalls mehr als 50 Millionen Euro jährlich. Der Kapitalbestand beträgt 2,1 Milliarden Euro.
„Die Entwicklungen auf den Kapitalmärkten sind so gravierend, dass sie Einfluss auf alle kapitalgedeckten Alterssicherungssysteme haben. Es wäre daher grob fahrlässig, wenn die Geschäftsführung und die Gremien des VAWL diese Entwicklungen nicht in den Blick nehmen würden“, begründe Vorstandschef Dr. Mathias Flume diesen Schritt: „Wir haben sehr genau analysiert, wie wir in einem Umfeld, das vermutlich auch in den nächsten Jahren von sehr niedrigen Zinsen geprägt sein wird, weiterhin dauerhaft die Versorgungsleistungen auf höchstmöglichem Niveau sichern können.“
Im Kern besteht die Anpassung in einer Absenkung des Rechnungszinssatzes. Die Anpassung soll ab dem Jahr 2018 greifen, mit einem gleitenden Übergang: „Damit gewährleisten wir, dass sich alle Mitglieder auf die veränderten Rahmenbedingungen einstellen können“, so Flume. Die ersten Abschläge müssen VAWL-Mitglieder hinnehmen, die ab 2020 in Rente gehen. Für die Bestandsrenten ändert sich nichts und für die rentennahen Jahrgänge nur sehr wenig.
Die größten Einbußen im Vergleich zum jetzigen System müssen die jüngeren Jahrgänge hinnehmen. Für Neumitglieder, die im Jahr 2018 beim VAWL einsteigen, sinkt die spätere Rente um maximal 37 Prozent. Damit liegt diese aber nach Aussagen von Flume immer noch um 50 Prozent über dem Niveau der gesetzlichen Rente. Für die älteren, rentennäheren Mitglieder des Versorgungswerks fallen die Abschläge kleiner aus.
Beschlossen werden soll die Absenkung des Rechnungszinssatzes für alle bis 2014 eingezahlten Beiträge von aktuell 4 Prozent auf 3,5 Prozent. Für die ab 2014 gezahlten und künftig zu zahlenden Beiträge soll der Rechnungszins von 3 auf 2,75 Prozent sinken.
Unter anderem durch Einführung eines Demografiefaktors wegen der weiter gestiegenen Lebenserwartung sinkt die Rentenauszahlung für einen heute 50-Jährigen in kleinen Schritten innerhalb der nächsten 17 Jahre um gut 12 Prozent bis zum Renteneintritt im Jahr 2035. Zusätzlich wird hierdurch eine Kapitalreserve aufgebaut. Diese Reserve kann später zu einer Dynamisierung der Anwartschaften genutzt werden. „Allein aus diesem Topf können die Anwartschaften jährlich um bis zu 0,9 Prozent aufgebessert werden“, so Flume. „Auf diese Weise wollen wir den Unterschied zum Status quo wieder deutlich verkleinern.“
Vorsichtig anpassen an die Niedrigzinsen will das VAWL auch die Anlagestrategie. Derzeit sind rund 400 Millionen Euro im Aktien und Aktienfonds investiert. Etwas mehr als 10 Prozent hat das VAWL in Immobilien angelegt. Dieser Anteil soll steigen. 5 Prozent des Kapitalstocks stecken in Beteiligungen an anderen Unternehmen. Den Anteil der immer niedrig verzinslichen Anleihen hat das VAWL inzwischen unter 50 Prozent gebracht.
„Wir machen das Versorgungswerk Westfalen-Lippe jetzt aus einer Position der Stärke zukunftsfest“, so Flume. „Auf der Leistungsseite schlagen wir über alle Anspruchsgruppen hinweg eine faire und moderate Absenkung des Rechnungszinses vor. Diese Absenkung verknüpfen wir aber mit der realistischen Option, aus der aufzubauenden Reserve die Lücke zwischen dem neuen Status quo und dem bisherigen Leistungsniveau wieder schließen oder zumindest deutlich verringern zu können.“ Wichtig sei es, die Umsetzung nicht unnötig herauszuzögern. „Wir könnten das Projekt auch auf die nächste Wahlperiode verschieben. So würde man es vielleicht in der großen Politik handhaben. Aber wenn wir damit erst 2019 oder 2020 starteten, würde es ein viel größerer Kraftakt“, so Flume. „Denn Jahr für Jahr steigt das Volumen der Bestandsrenten deutlich an.“
Zuletzt hatten die Versorgungswerke Nordrhein und Schleswig-Holstein ebenfalls auf die seit Jahren anhaltende Phase niedriger Zinsen reagiert und ihre Systeme angepasst. Wie in Westfalen-Lippe läuft es auch dort auf eine Senkung der Anwartschaften für jüngere Versicherte hinaus. Rentennahe Jahrgänge müssen kleinere Abschläge hinnehmen.
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