„Wer gegen Grippe impfen kann, kann auch gegen Corona impfen“ APOTHEKE ADHOC, 18.04.2021 12:26 Uhr
Im Moment reicht der Impfstoff vorn und hinten nicht aus. Sollten sich die Prognosen bewahrheiten, könnte sich das aber im Sommer grundlegend ändern – und eher die Termine das Nadelöhr werden. Wären Corona-Impfungen in Apotheken dann ein gangbarer Weg, die Impfkampagne zu unterstütze? Ja, sagt Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein (AVNR). Mit den Modellprojekten zu Grippeschutzimpfungen würden die Apotheken ja bereits zeigen, dass sie ausreichend qualifiziert sind. Und auch die Abda signalisiert zumindest Offenheit für die Idee.
Die Grippesaison ist vorbei und es war die erste, in der sich Apotheken an Schutzimpfungen beteiligten. Für die Verbände in den vier Modellregionen – Nordrhein, Saarland, Niedersachsen und Oberpfalz – ist nun die Zeit gekommen, eine erste Bilanz zu ziehen. „Es wurden knapp 350 Impfungen für AOK-Patienten durchgeführt“, erklärt der Saarländische Apothekerverein auf Anfrage. „Das Modellprojekt ist sehr erfolgreich angelaufen. Die Patienten waren sehr zufrieden mit diesem niederschwelligen Angebot.“ In der nächsten Saison könnten es noch mehr Impfungen werden, denn neben der AOK schließt sich noch eine weitere Kasse an: „Das Modellprojekt wird jetzt ausgeweitet auf IKK Südwest. Der Vertrag ist bereits unterschrieben und liegt nun beim Robert-Koch- und dem Paul-Ehrlich-Institut, die ihn noch prüfen.“
Weniger war es wahrscheinlich in der Oberpfalz, dort haben 56 Apotheken 155 Versicherte geimpft – also weniger als drei pro Apotheke. Zumindest wurden bislang so viele Impfungen gemeldet. „Dies spiegelt aber nur den für uns aktuell ersichtlichen Stand wider, die Zahl könnte also auch höher liegen“, so ein Sprecher. „Man muss es auch in dem Licht betrachten, dass wir zu Beginn schlechte Voraussetzungen hatten: Der Start des Modellprojekts stand im Schatten der Lieferengpässe. Wir mussten deshalb am Anfang alle Kräfte darauf konzentrieren, den Regelbetrieb in den Praxen aufrecht zu erhalten.“ Allerdings seien die Rückmeldungen der teilnehmenden Apotheken durchweg positiv gewesen. „Wir haben bei den Mitgliedern im persönlichen Austausch eine sehr hohe Motivation festgestellt.“
Aus Niedersachsen und Nordrhein kommen noch keine Zahlen, aber ebenfalls eine erste positive Bilanz: „Wir sind sehr zufrieden mit den Ergebnissen und gehen sehr stark davon aus, dass wir in der nächsten Saison in den beteiligten Apotheken noch mehr Impfungen durchführen können“, erklärt Preis. Eine grundsätzliche Auswertung werde der Verband in den kommenden Monaten durchführen und dann auch entsprechende Zahlen veröffentlichen. Allerdings rechne er mit einer Ausweitung des Projekts. „Die Resonanz in der Bevölkerung ist so gut, dass viele sich wieder in der Apotheke impfen lassen wollen, aber sicherlich auch viele neue Versicherte für ihre Grippeschutzimpfung in die Apotheken kommen werden“, so Preis. Der Verband sei deshalb zuversichtlich, dass sich künftig auch weitere Krankenversicherungen dem Modellprojekt anschließen werden. Doch wenn es nötig wäre, so Preis, könnten Apotheken schon vorher bereitstehen, um die Bevölkerung zu impfen: nicht gegen die Grippe, sondern gegen Corona.
Aktuell stelle sich die Frage natürlich nicht, erst einmal müsse sichergestellt werden, dass der wenige verfügbare Impfstoff schnell zum Einsatz kommt. Allerdings: Seit Wochen kündigt die Politik an, dass sich die Impfstoffmenge im Sommer erheblich steigern werde. Sollte die Impfkampagne erneut stocken, weil es dann an Terminen mangelt, wäre das der nächste Super-Gau nach dem verkorksten Auftakt. „Die Apotheker kommen erst dann ins Spiel, wenn es mehr Impfstoff gibt als die Ärzte allein verimpfen können. Dabei sind erst die Kassen-Ärzte am Zug, danach die Privat- und die Betriebsärzte und erst dann die Apotheker“, so Preis.
Länder wie die USA, Großbritannien oder Israel – die mit erfolgreichen Impfkampagnen auf sich aufmerksam machen – handhaben es bereits so. Preis hält die Idee deshalb nicht für abwegig: „Wenn man zurückblickt, wer hätte da vor einigen Monaten noch gedacht, dass heute etwa 20 Prozent der Apotheken Corona-Tests durchführen? In der Pandemie muss man neue Wege gehen. Alle müssen jetzt mit anpacken und wenn Apotheker impfen können, dann sollte das die Gesellschaft auch wissen.“ Denn in der Lage dazu seien sie allemal. „Wenn man einerseits in andere Länder und andererseits vom medizinisch-pharmazeutischen Standpunkt aus schaut, spricht nichts gegen Corona-Impfungen in Apotheken“, so Preis. „Wer gegen Grippe impfen kann, kann auch gegen Corona impfen.“
Dabei würden sowohl die Erfahrungen aus den Modellprojekten als auch die der vergangenen Monate hilfreich sein. So würden beispielsweise sehr viele Apotheken Coronatests außerhalb ihrer Betriebsräume durchführen und hätten entsprechende Strukturen bereits aufgebaut. „Das heißt, Apotheken haben mittlerweile auch Erfahrungen damit, außerhalb ihrer Räumlichkeiten Dienstleistungen anzubieten“, so Preis. „Wer in einem Corona-Zelt testet, kann da auch Impfungen anbieten, das machen uns andere Länder bereits erfolgreich vor.“
Diejenigen Apotheker, die bereits geimpft haben – es sind mittlerweile mehrere hundert – seien außerdem entsprechend zertifiziert und könnten sofort zur Tat schreiten. „Hat ein Apotheker bereits die Schulungen für die Durchführung von Grippeimpfungen erfolgreich durchlaufen, braucht es meiner Auffassung nach keine erneute Schulung für Corona-Impfungen“, so Preis. Als studierte Heilberufler seien Pharmazeuten durchaus in der Lage, sich auch das Wissen über neue Impfstoffe selbst anzueignen.
Allerdings: Es sei eine politische Frage, die letztlich nicht von der Apothekerschaft entschieden wird. Es bedürfte dazu eines grundlegenden politischen Beschlusses der Bundesregierung, erinnert Preis. Entsprechend bedeckt halten sich auch andere Verbände. „Dazu gibt es noch keine verbandsinterne Willensbildung, das war bisher kein Thema. Was man sagen kann: Zum aktuellen Stand gilt es erst einmal, die Regelversorgung sicherzustellen“, heißt es dazu aus Bayern. Die Abda zeigt sich ebenfalls vorsichtig. „Nach wie vor bestehen die Engpässe nicht beim impfenden Personal, sondern bei den Impfstoffen. Ob die personellen Kapazitäten der Ärzteschaft die Nachfrage der Bevölkerung unterschreiten, wenn deutlich mehr Impfstoffe zur Verfügung stehen, bleibt abzuwarten. Schließlich beteiligen sich jetzt neben den Impfzentren auch zehntausende Arztpraxen an der Impfkampagne“, so ein Sprecher auf Anfrage.
Außerdem sei die Zielstellung eine andere, denn regionalen Modellprojekte zu saisonalen Grippeschutzimpfungen in Apotheken zielten darauf ab, „Menschen zu erreichen, die das ärztliche Impfangebot nicht wahrnehmen wollen oder können, um damit die Durchimpfungsrate weiter zu erhöhen“, so die Abda. „Die Situation bei Covid-19 unterscheidet sich natürlich erheblich von der bei Influenza. Aber wenn es im Verlauf der Pandemie zu Engpässen bei den Impfkapazitäten kommen sollte oder weiteren Bevölkerungsgruppen ein niedrigschwelliges Impfangebot gemacht werden muss, um einen möglichst umfassenden Impfschutz zu erreichen, dann bleibt die Apothekerschaft hier natürlich genauso ansprechbar, wie sie es bei der Herstellung von Desinfektionsmitteln, der Verteilung von Schutzmasken oder Durchführung von Antigen-Schnelltests war.“