Interview Dr. Hubertus Cranz (BAH)

„Wenn wir nichts tun, sinkt die Apothekenzahl weiter“

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Berlin -

Die fortschreitende Digitalisierung des Apothekenmarktes und der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) werden die Pharmazeuten in der Arzneimittelversorgung nicht überflüssig: „Der Apotheker ist nicht ersetzbar“, sagt Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH). Er sieht jedoch die Politik in der Pflicht, sich aktiv für die Apotheke vor Ort einzusetzen. Denn welche Folgen es haben kann, wenn man funktionierende Strukturen nicht schützt, kann man seiner Meinung nach am Beispiel der Lieferengpässe sehen. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC erklärt er, wie er mit dem neuen Verband ein Gegengewicht zu den Krankenkassen aufbauen will.

ADHOC: BAH und BPI haben die Verbandslandschaft vor Weihnachten mit der Ankündigung ihrer Fusion aufhorchen lassen. Gibt es inzwischen Neuigkeiten? Gibt es schon einen Namen für den neuen „Super“-Verband der Arzneimittelhersteller?
CRANZ: Es gibt natürlich Überlegungen, aber noch keine Neuigkeiten. Der neue Name steht noch nicht fest. Endgültig ist die Fusion ja erst mit dem Beschluss der Mitgliederversammlung unter Dach und Fach. Wir arbeiten jetzt daran, alles zusammenzubringen.

ADHOC: Die gemeinsame Geschäftsführung steht fest. Wie sieht es mit dem Vorstand aus? Wer stellt den Vorsitzenden. Oder gibt es zwei oder noch mehr?
CRANZ: Auch das ist noch nicht entschieden. Wir werden aber sicher darauf achten, dass sich in der gesamten Führungsmannschaft die unterschiedlichen Elemente der Industrie wiederfinden. Wir wollen ja das gesamte Spektrum der Pharmaindustrie abbilden – verschreibungspflichtige ebenso wie nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel, Generika und innovative Produkte, alle sind dabei. Auch die besonderen Therapierichtungen, also Phytopharmaka, homöopathische und anthroposophische Arzneimittel, sind vertreten. Digitale Gesundheitsanwendungen sind wichtig, ebenso wie Nahrungsergänzungsmittel. Die Hauptausrichtung sind natürlich Arzneimittel und stoffliche Medizinprodukte. Im Bereich stoffliche Medizinprodukte sind wir sogar federführend in der politischen Debatte. Das deckt kein anderer Verband ab. Sie sehen wir haben viele Themen und Interessensgebiete.

ADHOC: Wie viele Mitglieder wird der Super-Pharmaverband haben?
CRANZ: Ich gehe davon aus, dass wir unsere Mitgliederstruktur insgesamt halten. Das bedeutet, dass sich die bisherige Mitgliederzahl des BAH von rund 400 Unternehmen nicht signifikant verändern wird. Der BAH deckt ja jetzt schon das gesamte Pharmasektrum ab. Hinzu kommen die rund 270 BPI-Mitgliedsunternehmen – abzüglich der Mitglieder, die in beiden Verbänden organisiert sind. Wir gehen natürlich davon aus, dass der fusionierte Verband noch attraktiver für Pharmaunternehmen wird als BAH und BPI jeder für sich. Deswegen kann es gut sein, dass sich die Mitgliederzahl insgesamt erhöht.

ADHOC: An welcher Stelle drückt denn der Pharmaindustrie der Schuh so sehr, dass man sich zu dieser spektakulären Fusion veranlasst sah? Dahinter steckt ja offensichtlich die Absicht, in der Politik besseres Gehör zu finden.
CRANZ: Der Druck kommt natürlich aus dem politischen Umfeld. Im Augenblick haben wir eine in der Gesundheitspolitik sehr aktive Bundesregierung, einen sehr aktiven Bundesgesundheitsminister. Außerdem stehen viele Themen auf europäischer Ebene an. Es läuft sehr viel. Darauf müssen wir reagieren. Außerdem wollen wir die Qualität unserer Beratungsleistung gegenüber den Mitgliedern – vor allem im regulatorischen Bereich – weiter stärken.

ADHOC: Dabei hat sich Spahn die Arzneimittelhersteller noch ganz nicht vorgeknöpft.
CRANZ: Das kann man so sehen. Aber unsere Branche berührt die aktuelle Diskussion über die Lieferengpässe schon sehr stark. Das ganze Feld von der Arzneimittelproduktion bis zur Abgabe an die Patienten steht im Fokus der Politik. Da müssen wird mitdenken, mitreden und uns einbringen. Der Druck ist da. Vor diesem Hintergrund sind die Verbände permanent gefordert.

ADHOC: Stimmen Sie dem Eindruck zu, dass die Lobbyarbeit der Pharmaverbände in den letzten Jahren nicht so schlagkräftig war?
CRANZ: Ich will da keine Wertung vornehmen. Die bevorstehende Fusion ist keine Reaktion auf die Arbeit der bisherigen Verbände. Aber selbstverständlich kann man die Dinge immer verbessern. Das ist unser Anliegen. Wenn man heute die Verbandslandschaft der Pharmabranche neu auf den Platz stellen würde, würde man sicher nicht mit der aktuellen Formation antreten. Vor diesem Hintergrund gibt es gute Gründe für den Zusammenschluss. Wir wollen unsere Kräfte bündeln und insgesamt noch stärker aufstellen.

ADHOC: Andere Interessengruppen in der Gesundheitsbranche wie die Krankenkassen erscheinen aber erfolgreicher.
CRANZ: Unsere wirklich geschätzten Partner von den Krankenkassen und insbesondere der GKV-Spitzenverband haben in den letzten Jahren zugelegt, haben in der Qualität ihrer Argumente aufgerüstet, das sind ohne Zweifel starke Verhandlungspartner. Die Kassenvertreter kennen sich in allen Details sehr gut aus. Darauf müssen wir reagieren. Wenn man sich nicht gut auskennt, keine Kompetenz an den Verhandlungstisch bringen kann, hat man keine Chance. Kompetenz ist das Wichtigste, das A und O der Interessensvertretung. Dann erst kommt öffentliche Präsenz und dann das Verhandlungsgeschick. Wir müssen einfach megakompetent sein. Wir brauchen dazu die Top-Leute in den einzelnen Fachbereichen. Es reicht nicht aus, dass man als Generalist in politischen Diskussionen glänzen kann. Wir müssen als Pharmabranche unsere Kräfte bündeln. Das ist die Idee der Fusion: Uns bestmöglich aufzustellen mit den besten Leuten.

ADHOC: Im Pharmasektor tummeln sich vier namhafte Verbände, dazu einzelne Großunternehmen mit eigenen Lobbyabteilungen. Ist das ein Problem?
CRANZ: Das kann man so sehen. Das ist aber nicht unsere Sicht. Andere Industriezweige haben mitunter nur einen Verband, aber Unternehmen, die ihr eigenes Ding in der Lobbyarbeit machen. Im Pharmaumfeld spielen die Verbände eine wichtige Rolle. Das sieht man bei vielen Anhörungen zur Gesetzgebung. Die Pharmaindustrie wünscht sich eine starke Interessenvertretung durch kompetente Verbände.

ADHOC: Was sind die ersten und wichtigsten Themen, die der neue Super-Pharmaverband angehen muss?
CRANZ: Das sind die bekannten Themen aus dem Sozialrecht wie Preismoratorium, Festbeträge und Rabattverträge und aktuell vor allem die Lieferengpässe. Darauf müssen wir reagieren. Und es gibt viele neue Herausforderungen wie Gentherapie und Digitalisierung. Bei all diesen Themen müssen wir agieren und uns dazu positionieren. Und wir wollen das breite Spektrum der Arzneimittelhersteller in Deutschland halten, von Großunternehmen über den Mittelstand bis hin zu Spezialfirmen. Die Industrie hat in Deutschland aber insgesamt einen schweren Stand, das politische Klima macht es nicht leicht, unsere Interessen zur Geltung zu bringen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Bedeutung der Pharmaindustrie für den Wohlstand in Deutschland und Europa wieder stärker anerkannt wird.

ADHOC: Das ist aber ein Langzeitprojekt.
CRANZ: Ja sicher. Unsere Arbeit ist auf langfristig stabile Strukturen ausgerichtet. Nehmen sie als Beispiel die Lieferengpässe. Der europäische Herstellerverband hat seit vielen Jahren auf die Folgen der Verlagerung der Wirkstoffproduktion ins Ausland, vor allem nach Asien, hingewiesen. Das wollte aber in der Politik niemand wirklich hören. Wenn es plötzlich klemmt, rufen nun alle nach Lösungen. Aber vorher hat niemand auf die Rahmenbedingungen für die Produktion in Europa so richtig geachtet. Das kann man nicht kurzfristig verändern. Aber wichtig ist, dass durch die aktuelle Diskussion die Politik und auch die Patienten für dieses Thema sensibilisiert werden. Das ist ein Anfang. Es darf vor allem nicht noch mehr Produktion abwandern.

ADHOC: Jetzt ist das Thema Lieferengpässe in allen Medien angekommen. Die Politik macht Vorschläge. Was halten sie davon?
CRANZ: Das ist bekanntlich ein komplexes Problem, für das es keine Patentlösung gibt. Mit einer Meldepflicht für Lieferengpässe wird noch nichts besser. Bei versorgungskritischen Arzneimitteln melden die Hersteller bereits heute Engpässe und sind in Kontakt mit den zuständigen Behörden. Der Jour Fixe ist eine gute Einrichtung. Als kurzfristige Maßnahme könnte vor allem eine Lockerung der Rabattverträge helfen. Wir haben ja vor allem im Generikabereich die Lieferprobleme, weil die Preisschraube zu stark angezogen wurde.

ADHOC: Höherer Arzneimittelpreise als Wunderwaffe gegen Lieferengpässe? Das ist eine schwierige politische Diskussion.
CRANZ: Uns geht es um eine insgesamt vernünftige Rahmenbedingungen. Zumindest für Teilbereiche räumen auch Experten außerhalb der Industrie ein, dass das Preisniveau zu niedrig ist. Wenn wir den Anbietern etwas mehr Luft bei den Preisen geben und mehr Anbieter bei Rabattverträgen berücksichtigen, erhält das gesamte System wieder mehr Anreize. Die Mehrfachvergabe wäre ein erster wichtiger Schritt. Uns liegt daran, das in einem partnerschaftlichen Dialog zu regeln.

ADHOC: Lautstärke hilft manchmal schon. Haben Sie den Eindruck, dass Spahn die besonnenen Töne der Pharmaverbände hört, dafür ein offenes Ohr hat?
CRANZ: Das Ohr von Spahn ist offen, den Eindruck habe ich schon, aber er hört den Krankenkassen auch zu – richtigerweise. Was er daraus macht, bleibt abzuwarten. Dass er in der Umsetzung dessen, was er von uns diesbezüglich hört, zurückhaltend ist, haben wir alle bereits gemerkt.

ADHOC: Was macht eigentlich der Pharmadialog? Dort sollte doch alles besprochen werden.
CRANZ: Wir haben uns zum Jahresende nochmal getroffen. Wir haben den Dialog geschätzt. Aber nach einer gewissen Zeit muss man über das Format nachdenken. Wichtig ist der Dialog, dass wir mit der Politik im Gespräch sind und bleiben. Ob man das Pharmadialog oder Pharmagipfel nennt, ist nicht entscheidend. Der Dialog funktioniert und auch das Bemühen, eine ausgewogene Herangehensweise zu finden. Dass uns nicht alles gefällt, ist ebenso klar. Was zählt, ist auch hierbei die Qualität der Argumente.

ADHOC: Das wird aber nicht leichter für die Pharmaverbände. Die Krankenkassen malen wieder steigende Beträge an die Wand. Wie soll Spahn da höheren Arzneimittelpreisen das Wort reden?
CRANZ: Jetzt liefern Sie ja schon selbst die Argumente für die Einrichtung eines starken Verbandes.

ADHOC: Dann müssen Sie darauf die Gegenargumente parat haben.
CRANZ: Wir müssen immer wieder die Wertigkeit, die Bedeutung des Arzneimittels in den Mittelpunkt stellen. Das muss als Argument anerkannt werden. Das ist unsere Aufgabe. Wir müssen dann den nächsten Schritt klarmachen. Was heißt das jetzt, wenn in der politischen Diskussion die Preisschilder kommen? Die Preisschraube ist festgezogen. Dem Bereich der Arzneimittel mit etablierten Wirkstoffen mangelt es seit langem an der erforderlichen Anerkennung. Es ist unser Job, das zu ändern, weil er sehr wichtig ist, für die tägliche Versorgung in Deutschland. Der Preis eines Arzneimittels spiegelt nicht dessen Bedeutung wider. Das müssen wir wieder ändern.

ADHOC: Wie beurteilen Sie als Pharmazeut die Veränderungen auf dem Apothekenmarkt?
CRANZ: Da verändert sich derzeit sehr viel. Das beobachten wir mit großer Aufmerksamkeit. Uns liegt aus vielerlei Gründen sehr viel an der Apotheke vor Ort. Die persönliche Verbindung zwischen Apotheker, dem Apothekenpersonal und den Patienten ist eine wichtige Stütze in unserem Gesundheitssystem, für den Arzneimittelbereich und vor allem für die Selbstmedikation. Diese Struktur nicht zu erhalten, wäre ein großer Schaden. Deshalb unterstützen wir alle Bemühungen, die Apotheke vor Ort zu schützen. Natürlich sehen wir auch die Veränderungen im Markt. Darauf müssen wir und vor allem die Politik reagieren. Wir sehen doch wie die Stimmung in den Regionen kippt, in denen es keine Apotheke mehr gibt. Das ist erst der Anfang. Wenn wir nichts tun, sinkt die Apothekenzahl weiter.

ADHOC: Der Politik ist es doch egal, wie das Arzneimittel zum Patienten kommt. Der Versandhandel ist als Lieferweg längst anerkannt.
CRANZ: Egal ist es trotzdem nicht. Das Produkt kommt immer mit der Information. Ganz besonders beim Arzneimittel. Der Apotheker ist nicht ersetzbar. Die persönliche Kommunikation, die sogenannten Soft Skills, sind nicht durch künstliche Intelligenz ersetzbar. Das gilt vielleicht nicht für alle Berufe, für Apotheker aber schon. Ich sehe nicht, dass ein Roboter demnächst in der Apotheke die Beratung übernimmt. Bei aller Digitalisierungseuphorie müssen wird vorsichtig sein, dass wir etablierte Strukturen nicht zerstören.

Cranz leitet den BAH seit Juni; er hatte die Nachfolge von Dr. Martin Weiser angetreten. 30 Jahre lang hatte er zuvor als Hauptgeschäftsführer den europäischen OTC-Dachverband AESGP geführt. 1988 kam er vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) in Frankfurt nach Paris, dem damaligen Sitz der AESGP. Mit dem Lobbyverband zog er nach Brüssel, auf 500 Meter Nähe an die EU-Kommission. Ab 1977 hatte er Pharmazie in Tübingen studiert und in dieser Zeit Praxiserfahrung in der Offizin gesammelt. Prägend waren jedoch erste Berufserfahrungen in der Pharmaindustrie bei Ciba und Bayer. Nachdem er seinen Lebenslauf in Düsseldorf durch Promotion und Wirtschaftsstudium abgerundet hatte, zog es ihn jedoch nach ans Kieler Institut für Gesundheits-System-Forschung (IGSF). In einem vierköpfigen Team um Institutsgründer und CDU-Politiker Professor Dr. Fritz Beske sammelt er dort Erfahrungen in Gesundheitspolitik und -ökonomie. Er machte sich einen Namen in der Branche, sodass Ende der 80er-Jahre der BPI auf ihn aufmerksam wurde.

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