Der Arzneimittelmarkt ist zum Pflegefall geworden, schreibt die „Welt am Sonntag“. Die nach Auflage drittgrößte Sonntagszeitung der Republik hat sich in ihrer aktuellen Ausgabe den letzten Arzneimittelskandalen gewidmet. Von ABDA-Präsident Friedemann Schmidt über den Verband Pro Generika bis zur Wissenschaft kommen zahlreiche Branchenvertreter zu Wort und ziehen ihre Schlüsse aus den Ereignissen um Valsartan und Lunapharm.
„Die Probleme häufen sich, und wir beobachten das mit großer Sorge. Das Vertrauen in die Sicherheit von Arzneimitteln sinkt“, konstatiert Schmidt. „Wir müssen ausbaden, was uns Deregulierung und der Drang zu immer günstigeren Medikamenten eingebrockt haben.“ Unter dem Titel „Der KRANKE Markt“ hat sich die Sonntagszeitung aus dem Hause Springer am Wochenende mit Lieferengpässen, Rabattverträgen und „absurden Reimporten“ befasst. Der Tenor: Die Politik hat wichtige Weichenstellungen verschlafen, Patienten und Heilberufler müssen es ausbaden.
Insbesondere die Auslagerung der Produktion in „Billiglohnländer (…), wo die Kontrollen oft nicht genau genug sind“ sowie die „verschlungenen Vertriebswege“ seien für die Zunahme an Engpässen und Rückrufen verantwortlich. Rund 80 Prozent der in Deutschland verfügbaren Wirkstoffe kämen mittlerweile aus dem Ausland. Schmidt erneuerte deshalb gegenüber der Zeitung seine Forderungen nach besserer Aufsicht, die ruhig auch mehr kosten darf. „Dann müssen die Krankenkassen womöglich aber auch mehr für die zuverlässige Versorgung ihrer Versicherten bezahlen“, so der ABDA-Präsident. „Eine sichere Arzneimittelversorgung ist nicht zum Schnäppchenpreis zu haben.“
Geht es nach Pro Generika, dem Lobbyverband der Generikahersteller, sollten Arzneimittel nicht importiert und besser kontrolliert, sondern gleich hier produziert werden. „Die Bundesregierung sollte jetzt Maßnahmen auf den Weg bringen, um den Produktionsstandort Deutschland zu stärken“, fordert Geschäftsführer Bork Bretthauer. Die Importförderklausel sei „ein Nährboden für kriminelle Machenschaften von Zwischenhändlern“, stimmt auch Roche-Vorstand Dr. Hagen Pfundner ein.
Der Markt für Arzneimittel sei „derart unübersichtlich, die Lieferwege derart verflochten“, befindet Autorin Anja Ettel, „dass wohl niemand mehr richtig durchblickt. Offenbar nicht einmal mehr die Unternehmen selbst und deren Aufseher“. Lieferengpässe und weltumspannende Rückrufe seien „geradezu an der Tagesordnung“. Die Zahl der Rückrufe habe sich seit 2006 von 63 auf 105, also um 70 Prozent, erhöht. Zwar hätten auch die Aufsichtsbehörden der Länder ihre Auslandsinspektionen deutlich erhöht. „Angesichts der globalisierten Arzneimittelproduktion, bei der 80 Prozent der Wirkstoffe aus China und Indien kommen, wirkt das allerdings eher wie der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.“
Doch auch die Hersteller trügen eine Mitschuld, da sie aus Kostengründen darauf verzichteten, Ersatzlieferanten an sich zu binden – „wenn diese angesichts der fortgeschrittenen Oligopolisierung unter den Wirkstoffherstellern überhaupt verfügbar sind.“ Dass im Ausland produziert wird, sei aber auch ein hausgemachtes Problem, denn Generika würden aufgrund der Rabattverträge „mittlerweile zu solchen Schnäppchenpreisen verkauft (…), dass eine Produktion hierzulande oder in Europa ohnehin nicht kostendeckend wäre“, so die Welt. Die zwei Milliarden Euro, die im Jahr für Generika ausgegeben werden, seien „ein ziemlich geringer Betrag“, wenn man bedenkt, dass sie rund drei Viertel der hierzulande verkauften Medikamente ausmachen.
„Das Spardiktat hat mittlerweile groteske Ausmaße angenommen“, stimmt auch Professor Dr. Fritz Sörgel vom Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) ein. „Alles muss immer billiger werden, deshalb ist die Produktion in weiten Teilen in Billiglohnländer verlegt worden, müssen Apotheker absurde Reimporte erfüllen und Ärzte tunlichst das günstigste Nachahmermedikament verschreiben.“ Auch Roche-Vorstand Pfundner sieht die Ursachen in der Sparpolitik. Die Debatte sei „sehr scheinheilig“: „Einerseits wollen wir in Deutschland innovativer Branchen, ein hohes Lohnniveau und Produkte von bester Qualität. Nur bezahlen wollen wir Deutschen dafür möglichst wenig“, bemängelt er die hiesige Mentalität. „Das fängt bei Lebensmitteln an und hört bei Medikamenten auf.“
APOTHEKE ADHOC Debatte