Interview Rechtsanwalt Dr. Roland Wiring (CMS)

Was ist jetzt mit den Taschentüchern?

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Berlin -

Das BGH-Urteil zu Rx-Boni hat für Klarheit gesorgt – und für Verunsicherung. Dürfen Apotheker jetzt noch Taschentücher und Traubenzucker an ihre Rx-Kunden abgeben oder lieber nicht. Rechtsanwalt Dr. Roland Wiring, Partner der Kanzlei CMS Hache Sigle, hat hierzu Antworten und diskrete Tipps.

ADHOC: Der BGH hat jetzt jede Form von Rx-Boni verboten – ist das praxistauglich?
WIRING: Unabhängig davon, ob man das Urteil gut findet oder nicht: Der BGH hat klargestellt, dass die Arzneimittelpreisbindung absoluten Vorrang genießt. Und dass die 1-Euro-Grenze, die ja auch aus der Rechtsprechung kam, dann nicht gilt und auch nicht über das Kriterium der Spürbarkeit wieder hereinkommen kann, sobald es um die Arzneimittelpreisbindung geht. Das Gericht folgt hier der Linie des Gesetzgebers und das ist rein juristisch betrachtet schon eine klare Argumentationskette.

ADHOC: Was dürfen Apotheken nach dem BGH-Urteil denn überhaupt noch?
WIRING: Es gibt hier zwei Dinge zu unterscheiden: Zum einen muss man sehen, was sich bei der Abgabe preisgebundener Arzneimittel verschärft hat und das ist ja zweifellos eine Verschärfung. Und der andere Aspekt, wenn man es etwas breiter versteht, ist das OTC-Geschäft. Dann haben wir nicht nur die Apotheken, sondern auch die Industrie mit ihren Promotion-Aktionen und in diesem Zusammenhang das Kriterium der Spürbarkeit. Das hat der BGH jetzt im Fall der Apotheken sehr streng ausgelegt und das ist eine Tendenz, die sich durchsetzt, die Spürbarkeit doch sehr eng auszulegen.

ADHOC: Also stimmt es, dass jetzt auch Taschentücher als Zugabe verboten sind?
WIRING: Das bedeutet, wenn man es wörtlich nimmt, dass auch die üblichen Beigaben – Traubenzucker, Taschentücher – eigentlich auch nicht zulässig sind. Jedenfalls nicht in Verbindung mit der Abgabe eines preisgebundenen Arzneimittels.

ADHOC: Was ist bei einem Mischverkauf aus OTC- und Rx-Präparat?
WIRING: Konsequent zu Ende gedacht, wäre auch ein Mischverkauf zumindest ein Grenzfall. Denn letztlich ist auch der preisgebundene Teil mit betroffen.

ADHOC: Und wenn sich der Kunde nach dem Einlösen seines Rezepts einmal im Kreis dreht und dann ein OTC-Präparat verlangt und nach Taschentüchern fragt – geht das?
WIRING: Rein juristisch betrachtet würde ich sagen: Das sind zwei Verkaufsvorgänge. Daraus ließe sich schwer ein Fall konstruieren. Das gilt natürlich dann nicht mehr, wenn der Apotheker dieses Angebot des „Doppelkaufs“ aktiv bewirbt. Dann würde man sagen, das ist eine Umgehung.

ADHOC: Anderer Fall: Ein Apotheker gibt als Reaktion auf das Urteil jedem Kunden Taschentücher mit dem deutlichen Hinweis: Es ist egal, ob ihr etwas kauft. Geht das?
WIRING: Der BGH stellt darauf ab, dass es die Incentivierungsfunktion gibt und die wäre hier nicht gegeben. Es kommt letztlich auf den Einzelfall an. Ganz ganz streng genommen könnte man den Einzelverkauf eines Kunden, der nur ein Rezept einlöst und Taschentücher mitnimmt, wieder verbieten. Praktisch gesehen wird man sich fragen müssen, ob das wirklich aufgegriffen wird. Aber das ist natürlich kein juristisches Argument.

ADHOC: Nach dem Motto: Wo kein Kläger da kein Richter?
WIRING: Ob das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb bei äußerst geringwertigen Zugaben wie einem Päckchen Taschentücher als Service der Apotheke im Rahmen ihrer Gesundheitsvorsorge – anders als das Ofenkrusti oder einem paar Socken – noch greift, muss man sich schon fragen. Schwer vorstellbar, dass so etwa abgemahnt wird. Juristisch verhindern könnte man das natürlich nicht.

ADHOC: Was würden Sie einem Apotheker also raten? Traubenzucker an Kinder abgeben oder lieber nicht?
WIRING: Als Anwalt würde ich rechtlich gesehen davon abraten, weil es nach der BGH-Rechtsprechung eine Zugabe wäre, die zu einer Verringerung des eigentlich festgesetzten Preises führt. Ich würde dem Mandanten aber auch sagen: Am Ende müssen Sie das für Sie bestehende praktische Risiko bewerten. Und wenn das Risiko darin besteht, dass Sie jemand abmahnt, dann halten sich die wirtschaftlichen Folgen möglicherweise in Grenzen und das gilt es dann abzuwägen mit dem Goodwill, den Sie auf der anderen Seite erzeugen können.

ADHOC: Was ist mit den gesetzlichen Ausnahmen? Eine Kundenzeitschrift mit TV-Programm und Rätselteil liegt doch im Wert deutlich über einem Päckchen Taschentücher?
WIRING: Das ist eine gesetzgeberische Wertung. Eine Kundenzeitschrift ist für den Gesetzgeber etwas anderes und steht in den Ausnahmen. Also ist das eine Frage an den Gesetzgeber der aber klar gesagt hat, das eine geht, das andere nicht.

ADHOC: Das HWG spricht in der Ausnahme für die Zeitschriften aber davon, dass sie „in ihren Herstellungskosten geringwertig sind“. Was bedeutet das?
WIRING: Damit ist nicht dieselbe Geringwertigkeit gemeint wie bei der früher genannten „Bagatellgrenze“ bei preisgebundenen Arzneimitteln. Es geht nicht um den Wert für den Kunden wie im Fall Ofenkrusti, sondern tatsächlich die Herstellungskosten. Die Kommentierung verweist auf ein BGH-Urteil aus 2012 zu einem Rätselheft und da sind Herstellungskosten von 20 Cent genannt.

ADHOC: Die Umschau muss ein Billigprodukt sein, meinen Sie das?
WIRING: Wenn es heute 30 oder 50 Cent wären, ist das vielleicht noch okay, aber irgendwann schlägt es um. Wenn das Magazin auf Hochglanzpapier gedruckt wird, greift auch die Ausnahme nicht mehr, weil das Tatbestandsmerkmal nicht mehr erfüllt ist.

ADHOC: Rechnen Sie jetzt mit weiteren Verfahren?
WIRING: Nach meinem Eindruck hat der BGH jetzt eine lange Diskussion entschieden, und klar entschieden. Diejenigen, die bislang eine gegenteilige Meinung vertreten haben, dürften ihre Praxis jetzt anpassen, denn ansonsten ist es für Wettbewerber ein Leichtes, mit Hinweis auf die BGH-Entscheidung dagegen vorzugehen. Es mag sein, dass es Abmahnungen geben wird, aber neue Gerichtsverfahren halte ich für unwahrscheinlich, weil es schwierig sein wird, sich dagegen zu wehren.

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