Ein Gutschein im Wert von einem Euro kann nicht verboten werden, solange die Apotheken Umschau kostenlos abgegeben wird, findet das Berliner Kammergericht. In der Urteilsbegründung im Spielberger-Prozess legt das Gericht dar, warum es die bisherige Rechtsprechung zu geringwertigen Rx-Boni für falsch hält. Jetzt geht die Sache wieder vor den Bundesgerichtshof (BGH).
Der Apotheker Cornelius Spielberger hatte im Herbst 2014 den Kunden in seiner mittlerweile verkauften Berliner Apotheke aus verschiedenen Gründen Gutscheine im Wert von einem Euro mitgegeben. Diese konnten beim nächsten Einkauf eingelöst werden – allerdings nur beim Bezug nicht apothekenpflichtiger Waren. Die Gutscheinausgabe hatte Spielberger etwa mit langen Wartezeiten der Kunden begründet sowie mit dem selbst ernannten Senioren-Freitag oder der Fußball-Weltmeisterschaft.
Die Wettbewerbszentrale hatte darin einen Verstoß gegen die Preisbindung gesehen, den Apotheker zunächst abgemahnt und dann verklagt. Das Landgericht Berlin verurteilte Spielberger in erster Instanz: Der Apotheker habe keinen triftigen Grund gemäß Heilmittelwerbegesetz (HWG) für die Gewährung der Boni dargelegt. Auf die Geringwertigkeit komme es nicht an, seit der Gesetzgeber mit einer HWG-Novelle im Jahr 2012 alle Zugaben im Zusammenhang mit preisgebundenen Arzneimitteln untersagt habe.
Das Kammergericht bestätigte im Berufungsverfahren zwar, dass die Gutscheingewährung bei der Abgabe rezeptpflichtiger Arzneimittel gegen die Arzneimittelpreisbindung verstoße. Die Boni seien aber nicht geeignet, die Interessen der Verbraucher oder Mitbewerber „spürbar zu beeinträchtigen“. Das Kammergericht bezieht sich auf eine frühere Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH): Die Karlsruher Richter hatten 2010 entschieden, dass geringwertige Rx-Boni bis zu einem Euro zwar ein Verstoß gegen die Preisbindung, wettbewerbsrechtlich aber nicht spürbar seien.
„Dies war auch konsequent“, kommentiert das Kammergericht. Wenn geringwertige Sachzugaben nicht zu einer unsachlichen Beeinflussung der Verbraucher führten, müsse für Barrabatte in entsprechender Höhe dasselbe gelten. Dies gelte im vorliegenden Fall um so mehr, als die Gutscheine erst beim nächsten Einkauf eingelöst werden konnten und nur für das Randsortiment.
Verbraucher wählen ihre Apotheken laut Urteilsbegründung „insbesondere nach ihrer örtlichen Nähe, ausnahmsweise auch nach der Qualität ihrer Beratung aus“, wissen die Richter aus eigener Erfahrung. Und die Lieferfähigkeit einer Apotheke hinsichtlich eines konkreten Arzneimittels könne der Verbraucher auch nicht überblicken. „Unter diesen Umständen gehen von einer zugewendeten geringen Kleinigkeit nur sehr geringe Anlockwirkungen aus“, heißt es im Urteil.
Ein „Überbietungswettkampf der Apotheker“ sei damit nicht zu befürchten – wegen der Begrenzung auf geringwertige Kleinigkeiten. Innerhalb dieser Wertgrenze gebe es allerdings vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, so dass ein maßvoller Konkurrenzkampf zwischen den Apotheken verbleibe „und ein klug handelnder Apotheker – marktwirtschaftlich zu Recht – belohnt wird“, so das Urteil.
Allerdings musste sich das Kammergericht mit dem Fakt auseinandersetzen, dass der Gesetzgeber auf die BGH-Entscheidung von 2010 reagiert hat und das HWG im August 2013 angepasst wurde. Seitdem sind auch Zuwendungen oder Werbegaben für Arzneimittel unzulässig, soweit sie entgegen den Preisvorschriften gemäß des Arzneimittelgesetzes (AMG) gewährt werden. Die Gerichte haben darauf reagiert und in der Folge sämtliche Rx-Boni verboten. Nur ausländischen Versandapotheken ist seit der EuGH-Entscheidung aus dem Oktober 2016 vorerst nicht beizukommen.
Das Kammergericht hält die neue Sichtweise der Kollegen an den Oberlandesgerichten (OLG) für verkürzt. Es sei nicht überzeugend eine Spürbarkeit in jedem Fall anzunehmen und dass der Gesetzgeber nur die Unterscheidung zwischen Barrabatten und sonstigen Zuwendungen habe aufheben wollen. Selbst der BGH habe in späteren Entscheidungen Boni mit dem Hinweis verboten, sie überstiegen die Bagatellgrenze.
Ein absolutes Boni-Verbot schütze nämlich „allein das Interesse der Apotheker in ihrer Gesamtheit an einem höheren Ertrag (gleichsam wie eine diesbezügliche Kartellabsprache der Apotheker)“, ohne dass dies heilmittelwerberechtlich oder arzneimittelpreisrechtlich notwendig wäre. Laut Kammergericht kommt es weiter auf die Spürbarkeit nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb an. Die Spürbarkeit setze immer eine Rechtsverletzung voraus. Der Gesetzgeber habe mit der HWG-Anpassung nur eine solche Rechtsverletzung für die Sachzugaben klargestellt. Die wettbewerbsrechtliche Spürbarkeit sei weiter von den Gerichten zu überprüfen.
Dies gilt laut Urteil umso mehr, als auch in der neuen Fassung des HWG „handelsübliche Nebenleistungen“ erlaubt seien – etwa die Erstattung von Fahrtkosten sowie die „Ausgabe von Apothekenzeitungen“. „Daraus folgende Anlockwirkungen der Verbraucher und der finanzielle Aufwand des einzelnen Apothekers können deutlich höher sein als bei der Vergabe geringwertiger Kleinigkeiten“, heißt es im Urteil.
Ob eine Spürbarkeit auch für die berufs- oder verwaltungsrechtliche Verfolgung relevant sei, ließ das Kammergericht offen. Die Richter wiesen aber darauf hin, dass es auch in solchen Verfahren einen Ermessensspielraum mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit gebe. Mit anderen Worten: Auch die Apothekerkammern oder Aufsichtsbehörden müssten nicht jeden Bagatellverstoß verfolgen. In der Praxis tun sie allerdings genau das.
Bei der Wettbewerbszentrale hat man kein Verständnis für die Entscheidung des Kammergerichts: „Wenn Boni von einem Euro keine Anlockwirkung für Kunden hätten, würden wir nicht so viele Verfahren dazu führen. Es scheint den Apothekern doch sehr wichtig zu sein“, so Rechtsanwältin Christiane Köber, Mitglied der Geschäftsführung der Wettbewerbszentrale. Gegenüber APOTHEKE ADHOC kündigte sie an, den Fall vor den BGH zu bringen. Das Kammergericht hat die Revision auch zugelassen.
Und in Karlsruhe könnte es wieder spannend werden. Spielbergers Seite hatte im Verfahren auch auf die EuGH-Entscheidung verwiesen: Wenn das deutsche Arzneimittelpreisrecht auf ausländische Versandapotheken nicht mehr anwendbar sei, könne es auch nicht mehr auf deutsche Apotheken angewendet werden, so die viel weitreichendere Folgerung. Das Kammergericht war dem allerdings nicht gefolgt.
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