Apotheken-Pick-up

„Vorteil24“: BFH enttarnt Steuer-Bluff Patrick Hollstein, 04.11.2015 11:51 Uhr

Berlin - 

Nach dem Bundesgerichtshof (BGH) hat sich auch der Bundesfinanzhof (BFH) mit dem Pick-up-Konzept „Vorteil24“ beschäftigt – und den Abholtrick als verkappten Versandhandel enttarnt. Den Betreibern ging es demnach nicht nur darum, Rx-Boni zu gewähren, sondern auch jegliche Steuern im Zusammenhang mit den Lieferungen zu vermeiden.

Mehrere Apotheken der Familie Winterfeld aus dem Bergischen Land hatten 2008 ein eigenes Pick-up-Konzept gestartet: Die Kunden erhielten 10 Prozent Rabatt auf verschreibungspflichtige Arzneimittel, wenn sie diese bei der niederländischen Montanus-Apotheke bestellten, die ebenfalls zur Gruppe gehört.

Formal mussten die Kunden ihre Medikamente selbst in Holland abholen, konnten für 50 Cent aber einen Lieferdienst beauftragen. Mit diesem Abholtrick sollte das Mehrwertsteuergefälle zwischen Deutschland und den Niederlanden ausgenutzt werden, einen Teil der Gewinne erhielten die Kunden als Boni.

Laut BFH war der Transport nach Deutschland aber der Versandapotheke zuzurechnen und nicht bereits dem Kunden: Die Mitwirkung der Patienten an der Medikamentenbeförderung habe sich „im Ankreuzen des […] vorgefertigten und zur Verfügung gestellten Bestellformulars erschöpft“, so die Richter.

Das vorgesehene Transportsystem sei von Montanus bereits im März 2008 vorab für alle nachfolgenden Fälle festgelegt worden. Die Versandapotheke alleine habe den Transporteur ausgewählt, der übrigens die eigene Muttergesellschaft – die Montanus Dienstleistungen mit Sitz in Berlin – gewesen sei. Die Kosten seien für die Kunden verbindlich vorgegeben gewesen, Ort und Zeitpunkt der Abholung seien diesen gar nicht bekannt gemacht worden. „Sie hätten auch keine Möglichkeit gehabt, den Auslieferungsort zu beeinflussen.“ Die Ware sei immer an die jeweilige Partnerapotheke ausgeliefert worden.

Ferner lasse sich die Höhe der Transportkosten von 45 Cent bei einer Entfernung von 110 bis 140 Kilometern nur erklären, wenn der Spediteur von Anfang an fest damit rechne, seine täglichen Transportfahrten vollständig mit den vermittelten Aufträgen der Klägerin füllen zu können. „Einen einzelnen Transportauftrag auf dieser Preisbasis hätte er nicht rentabel durchführen können, da bereits die Benzinkosten wesentlich höher seien.“

Montanus habe übrigens selbst eingeräumt, dass die Möglichkeit der Abholung der „äußerst seltene Ausnahmefall“ sei: 2008 etwa hätten nur 471 Euro auf diese Weise erlöst werden können.

Vielmehr sei nahe liegend, dass Montanus die steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten beim grenzüberschreitenden Warenverkehr gezielt missbraucht habe. Denn die Versandapotheke habe gegenüber den niederländischen Finanzbehörden die entsprechenden Umsätze für nicht steuerbar erklärt – und gleichzeitig bei den deutschen Finanzbehörden angegeben, dass sich der Ort der Lieferungen in den Niederlanden befinde. „Die Klägerin strebte mit der von ihr gewählten Gestaltung damit eine Nichtsteuerbarkeit ihrer Lieferungen an“, heißt es im BFH-Urteil.

Montanus hatte im Dezember 2007 beim zuständigen Finanzamt eine verbindlichen Auskunft hinsichtlich der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung ihres Geschäftsmodells beantragt. Die Betreiber waren der Auffassung, in Deutschland keine Mehrwertsteuer zahlen zu müssen, weil die Ware nicht versendet werde, sondern der jeweilige Kunde die Abholung in Auftrag gebe. Damit werde die Leistung in den Niederlanden erbracht.

Das Finanzamt verweigerte die Auskunft, dagegen wurde Montanus im Mai 2008 in den Niederlanden von der Steuerpflicht befreit. In dem Verfahren ging es um Steuerforderungen für die Jahre 2008 und 2009. Das Finanzgericht Düsseldorf hatte bereits im November 2012 eine Klage von Montanus gegen die Bescheide des zuständigen deutschen Finanzamts abgewiesen.

Vor dem BFH ging es auch um den Wortlaut einer EU-Richtlinie über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem und um die Frage, ob die Apothekenkunden im GKV-Bereich überhaupt als Abnehmer der Arzneimittel anzusehen sind. Pech für Montanus: Die Versandapotheke war erst erst zum 1. Februar 2010 dem Rahmenvertrag beigetreten und hatte nur mit der BKK Goetze & Partner einen separaten Liefervertrag vereinbart. Entsprechend sei von einem „Leistungsaustausch auf der Grundlage eines privatrechtlichen Kaufvertrages“ auszugehen, so der BFH.

Im Herbst 2010 war die Apothekenkooperation Linda bei „Vorteil24“ eingestiegen. Im Juli 2012 hatte Montanus die Zusammenarbeit überraschend gekündigt und „Vorteil24“ Hals über Kopf eingestellt. Das abrupte Ende wurde nicht weiter begründet. Spekuliert wurde allerdings schon damals, dass die steuerrechtliche Komponente zu heiß war.

Steuerexperten und zuletzt sogar das Bundesfinanzministerium (BMF) hatten erhebliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des Mehrwertsteuertricks. Bereits 2009 hatte sich die Finanzaufsicht für das Modell interessiert. Im März dieses Jahres fand nach einem Bericht der „Westdeutschen Zeitung“ (WZ) in mindestens einer Apotheke der Winterfelds eine Durchsuchungsaktion statt. Die Zeitung berief sich zudem auf Zeugenaussagen, wonach ein Großaufgebot an Einsatzkräften im Tagesverlauf sowohl Computer als auch Aktenordner beschlagnahmt haben soll.

Vor rund einem Jahr hatte in einem zivilrechtlichen Verfahren jedenfalls der Bundesgerichtshof (BGH) letztinstanzlich entschieden, dass „Vorteil24“ unzulässig war. Die Abholklausel in den AGB ließen die Karlsruher Richter nicht durchgehen, „denn die hier hinsichtlich des Erfüllungsorts getroffene Regelung dient ersichtlich allein der Umgehung des deutschen Arzneimittelpreisrechts“, so die Begründung.

Für den BGH war eindeutig, dass die Übergabe der Arzneimittel in den deutschen Apotheken erfolgte und der Marktort im Inland liege. Damit müsse sich die liefernde Montanus-Apotheke an die deutschen Preisvorschriften halten. Mit Umsatzsteuerfragen hatten sich die Karlsruher Richter nicht befasst, weil dies nicht zum Wettbewerbsrecht gehört. Die Entscheidung könnte aber dennoch ein Fingerzeig für die Finanzbehörden gewesen sein.