Faire-Kassenwahl-Gesetz

Vor Ort statt Preiskampf: So argumentiert der AOK-Chef

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Berlin -

Die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKen) laufen Sturm gegen das „Faire-Kassenwahl-Gesetz“ (GKV-FKG) von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Durch die geplante Änderung des Risikostrukturausgleichs (RSA) zwischen den Kassen erhielten sie 400 Millionen Euro pro Jahr weniger aus dem Gesundheitsfonds. Außerdem will Spahn die regionalen AOKen bundesweit für alle GKV-Versicherten öffnen, die Kassenaufsicht zentralisieren und die Selbstverwaltung der Kassen ändern. Das AOK-Lager wäre am stärksten von Spahns Reformplänen betroffen.

„Herr Spahn ist auf dem ordnungspolitischen Holzweg“, kritisierte Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, Spahns Referentenentwurf. Das Vorhaben, die regionalen Krankenkassen zu einer bundesweiten Öffnung zu zwingen, mache die Kassenwahl nicht fairer, sondern führe zu einem falschen Kassenwettbewerb: „Gute und passgenaue Versorgungsverträge entstehen vor allem dort, wo Ortskenntnis, hoher Marktanteil und regionales Engagement vorhanden sind. Nur dann stehen sowohl genügend personelle Ressourcen als auch finanzielle Mittel zur Verfügung, um innovative Versorgungsformen ins Leben zu rufen und voranzubringen“, so Litsch.

Der AOK-Verbandschef verwies auf die 1200 lokalen AOK-Büros in ganz Deutschland. Die TK als größte bundesweite Einzelkasse unterhalte für ihre Versicherten nur 200 Filialen. Eine Öffnung der regionalen Kassen für Versicherte aus anderen Regionen werde daher nicht zu einer besseren Versorgung führen, sondern zu einem einseitigen Fokus auf den Preiswettbewerb. Daher sei das Gesetz eine Mogelpackung.

Der Wettbewerb um den günstigsten Beitragssatz, der mit dem GKV-FKG gefördert wird, interessiere „vor allem junge und gesunde Versicherte“, so Litsch. Für Versichertengruppen wie chronisch Kranke, die auf qualitativ hochwertige Versorgungsangebote der Krankenkasse vor Ort angewiesen sind, habe das Ganze dagegen keinen Mehrwert. Aufgrund der spezifischen Strukturen der Leistungserbringer in den einzelnen Regionen könne nicht jeder erfolgreiche Vertrag einfach von einer Region in die andere übertragen werden. So habe zum Beispiel das Hausarztmodell der AOK Baden-Württemberg für einen Versicherten, der ihm in Hamburg beitritt, keinen Sinn.

„Das ordnungspolitische Ziel der Öffnung bleibt völlig unklar“, so Litsch. Statt die Gestaltungsspielräume der Kassen vor Ort zu erweitern, setze das Gesetz auf Zentralisierung und Vereinheitlichung von Versorgungsstrukturen. Verändern will Spahn auch die Kassenaufsicht. Wie für alle bundesweiten Kassen soll das Bundesversicherungsamt (BVA) auch für die regionalen AOKen zuständig werden. Bisher führen die Länder die Aufsicht. Die Länder lehnen daher Spahn Gesetz ebenfalls ab, weil sie ihren Einfluss auf das AOK-Lager damit verlören.

Litsch weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die organisationsrechtlichen Änderungen des Gesetzes aus Sicht der Rechtsexperten der AOK die Zustimmung der Bundesländer benötigen: „Sowohl das Grundgesetz als auch die sozialrechtlichen Regelungen sehen grundsätzlich eine Trennung der Kassenstrukturen und der Aufsichten auf Bundes- und Landesebene vor“, so Litsch. Die unmittelbare gesetzliche Einführung einer einheitlichen Rechtsaufsicht erfordere daher eine Änderung des Grundgesetzes.

Die im Referentenentwurf enthaltenen Pläne zur Weiterentwicklung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) zwischen den Krankenkassen sieht die AOK differenziert: Die vorgesehene Einführung eines Krankheits-Vollmodells sowie von Altersinteraktionstermen seien stringent, sagt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Jens Martin Hoyer: „Alle Experten sind sich einig, diese Maßnahmen zu einer deutlichen Verbesserung der Zielgenauigkeit bei kranken und gesunden Versicherten führen.“

Die vorgeschlagene Nicht-Berücksichtigung der Erwerbsminderungsrentner widerspreche dagegen den Empfehlungen der Experten aus dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesversicherungsamt. „Das ist ordnungspolitisch fatal und setzt eine besonders schutzbedürftige Versichertengruppe massiven Anreizen zur Risikoselektion aus“, so Hoyer. Die Einführung einer sogenannten Regionalkomponente erweise sich bei näherem Hinsehen als „getarnter Metropolenzuschlag“, weil, dadurch finanzielle Mittel aus strukturschwachen, oft ländlichen Regionen in städtische Gebiete geleitet werde.

Nach Angaben von Hoyer verlören die elf AOKen durch Spahns RSA-Reformpläne 400 Millionen Euro Zuwendungen aus dem Gesundheitsfonds. Das entspricht 40 Prozent des gesamten Überschusses des AOK-Lagers im Jahr 2018.

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