Die Kassen schaffen Realitäten an der Gematik vorbei. Seit Jahren wird gestritten, was die elektronische Gesundheitskarte (eGK) können soll und was nicht. Unterdessen hat heute ein Bündnis aus mehreren Krankenkassen ein eigenes Digitalprojekt vorgestellt: Die Projektpartner wollen ihren Versicherten ab Juli die App Vivy bereitstellen, eine kostenlose Mischung aus Gesundheitsakte und Service-App.
„Wir haben gemacht, was die Politik immer fordert: gemeinsam nach Lösungen gesucht“, fasste DAK-Chef Andreas Storm das Projekt zusammen. Vertreter von privaten, Betriebs-, Ersatz- und Innungskrankenkassen haben dazu an einem Strang gezogen und zusammen mit Bitmarck, einem IT-Dienstleister von 90 deutschen Krankenkassen, eine gemeinsame Plattform aus der Taufe gehoben.
Nach einer europaweiten Ausschreibung mit 15 Bewerbern erhielt die 50-köpfige Berliner Firma Vivy den Zuschlag. Deren App soll bis zu 25 Millionen Versicherten in Deutschland zugutekommen, darunter denen von Allianz, IKK Classic, DAK Gesundheit, Gothaer, Barmenia und Süddeutscher Krankenversicherung.
Kernstück der Anwendung ist die Verwaltung der Gesundheitsdaten. Arztbriefe, Befunde, Laborwerte, Medikationspläne, Notfalldaten und Impfinformationen können auf dem Smartphone empfangen, gespeichert und versendet werden. Der Arzt kann dazu Dokumente wie Blutbilder, Röntgen- oder CT-Aufnahmen nicht nur aus der Praxissoftware heraus, sondern auch per Fax in die App schicken. Mit den bundeseinheitlichen Medikationsplänen soll die App ebenfalls kompatibel sein: Man müsse nur den QR-Code auf darauf scannen und schon werde der Medikationsplan automatisch integriert. Auch Informationen zu Wechselwirkungen sollen automatisiert angezeigt werden.
Die Nutzer können allerdings auch selbst Informationen versenden. Nur einen Klick brauche man, um ein Dokument entweder an einen weiteren Arzt oder beispielsweise an Familienangehörige zu senden, so Christian Rebernik, Gründer und Geschäftsführer von Vivy. Der 41-Jährige versicherte dabei nicht nur, dass die Nutzer die Kontrolle über ihre Informationen behalten, sondern auch, dass man höchste Datenschutzstandards einhalte.
Asymmetrische Ende-zu-Ende-Verschlüsselung soll eine sichere Kommunikation zwischen Arzt und Patient gewährleisten. Das heißt: Es gibt einen privaten und einen öffentlichen Zugangsschlüssel der für jeweils nur ein Ende passt. Die Daten auf dem Smartphone kann man mit einem Backup sichern. Hat man das nicht gemacht und verliert das Telefon, sind die Gesundheitsdaten unwiederbringlich weg. „Wir müssen diese Extra-Meile gehen, um das noch sicherer zu machen“, so Rebernik.
Neben der Verwaltung der persönlichen Gesundheitsdaten soll die App Vivy aber vor allem eine digitale Gesundheitsassistentin für ihre Nutzer sein, die eine breite Reihe an Servicefunktionen bietet. So präsentierte App-Entwickler Rebernik den integrierten Gesundheitscheck mit Auswertungen in den Bereichen Körper, Ernährung, Bewegung und Geist. Unter anderem auf den Blutwerten basierend kann der Nutzer auch sein biologisches Alter errechnen lassen – bei Rebernik ein Jahr unter dem im Ausweis, wie er zufrieden feststellte.
Darüber hinaus erinnert die App an Vorsorgeuntersuchungen, Medikamenteneinnahme und Impfungen. Eine Arztsuche-Funktion ermöglicht es, nach Name, Fachbereich und Adresse zu filtern. In sie sind auch die Google-Bewertungen eingebunden. Außerdem kann man externe Wearables wie die Apple Watch oder Fitbit mit der App koppeln und deren Daten somit verwerten.
„Was wir brauchen, ist eine App, die auch für gesunde Menschen einen Mehrwert hat“, sagte Birgit König, Vorstandschefin von Allianz Private. Denn die App werde nur dann ein Erfolg werden, wenn sie breite Akzeptanz erlange und von möglichst vielen Versicherten angewendet werde. Es sei deshalb ein besonderer Vorteil, „dass wir so eine große Gemeinschaft sind. Wir sind keine Insellösung“, bekräftigte König. Als nächsten müsste man nun die Leistungserbringer mit ins Boot holen. „Wir müssen auch die Krankenhäuser und die Arztpraxen mitnehmen“, forderte Hans-Jörg Gittler, Vorstandsvorsitzender der Bahn-BKK. Er sehe da auch für die ein hohes Potential.
Zwar haben AOK und Techniker Krankenkasse bereits ähnliche Konzepte vorgestellt, Vivy ist aber das bisher größte seiner Art – abgesehen von der Gematik. Obwohl diese durch das Vivy-Netz ein Stück weit unterlaufen wird, dürften die Kassen bei Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) offene Türen einrennen. Erst kürzlich hatte er schließlich selbst gefordert, man solle statt auf die stationäre Lösung mit der Gesundheitskarte doch lieber auf Smartphones setzen. Außerdem stehe das Thema Anbindung an die Gematik im Raum: Das Bundesgesundheitsministerium habe bereits um Gespräche gebeten, um die Frage zu diskutieren.
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