Kommentar

Vertreiber der Selbstständigen Alexander Müller, 27.09.2021 10:33 Uhr

Die CDU um Spitzenkandidat Armin Laschet hat bei ihrer Stammwählerschaft verspielt. Foto: shutterstock.com/photocosmos1
Berlin - 

Es kommt also auf Grüne und FDP an. Die ungleichen Geschwister werden den nächsten Kanzler unter sich ausmachen – wobei SPD-Kandidat Olaf Scholz eindeutig in der besseren Position und die Ampel damit die wahrscheinlichste Variante ist. Die Apotheker:innen können sich also auf ein Gesundheitsministerium in anderer Farbe einstellen – rot, grün oder gelb. Die Union ist auch deshalb so tief gestürzt, weil sie die Selbstständigen nicht mehr richtig für sich begeistern konnte, kommentiert Alexander Müller.

Für die Union ist es nach 16 Jahren Angela Merkel schwer anzuerkennen, dass es diesmal nicht für eine Regierungsbeteiligung reichen dürfte. Das war Spitzenkandidat Armin Laschet (CDU) in der „Elefantenrunde“ am Wahlabend deutlich anzumerken, in der er als einziges Argument für das historische Scheitern seiner Partei den fehlenden Amtsbonus erkennen konnte. Seine traurig-verquere Botschaft: Mit Angela Merkel als Spitzenkandidatin hätte ich diese Wahl gewonnen.

Viele in der Union werden sich vor allem in ihrer früheren Annahme bestärkt sehen, dass man mit Markus Söder bessere Chancen gehabt hätte. Der CSU-Chef versprühte trotz in Bayern ernüchternder Zahlen denn auch eine überraschend große Heiterkeit. Söder hatte ebenfalls eine kreative Analyse zu bieten: Man müsse Wahlergebnisse „im Kontext sehen“ – er meinte damit, dass die Union bei der Europawahl so stark gewesen sei.

Dass Laschet als letzte Pointe seines desaströsen Wahlkampfes auch noch beim Wählen selbst patzte, ist nicht mehr als eine Randnotiz – aber eine symptomatische. Die Union wird sich vermutlich sehr bald nach einem neuen Vorsitzenden umsehen. Noch-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat im Spiegel schon eine Verjüngung seiner Partei gefordert. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sieht keinen Regierungsauftrag bei Laschet. Der Schuldige ist längst ausgemacht.

Laut den Erhebungen nach der Wahl haben diesmal nur 26 Prozent der Selbstständigen der Union ihre Stimme gegeben. Das ist zwar immer noch der größte Anteil, aber viel weniger als bei vergangenen Wahlen. Und zu wenig, um stärkste Kraft zu werden. Das Ampel-Bündnis kommt dagegen auf die Mehrheit der Stimmen bei Selbstständigen. Auch unter den Apotheker:innen hat die Union in mehreren aposcope-Umfragen zuletzt stark verloren. CDU und CSU haben für Selbstständige einfach keine Vision mehr erschaffen.

Einen SPD-Kanzler wollten die Apotheker:innen eigentlich nicht, werden sich aber damit anfreunden müssen. Für Scholz lief der gestrige Abend nahezu perfekt. Zwar fehlt eine rot-grün-rote Koalitionsoption als Druckmittel gegen die FDP, aber die Liberalen wussten auch schon vorher, dass Scholz die Ampel favorisiert. Die SPD hat gestern bei allen drei Wahlen gewonnen. Mit Blick auf die Ergebnisse im Bund musste Scholz nur gebetsmühlenartig auf die Balken verweisen: nach oben bei SPD, Grünen und FDP, nach unten bei CDU, AfD und Linken. Wenn das kein Regierungsauftrag ist.

Die Grünen mussten schnell den Gedanken abschütteln, was drin gewesen wäre für sie bei dieser Wahl und warum sie es im Wahlkampf so verspielt haben. Jetzt geht es darum, mit der FDP gemeinsame Projekte zu entwickeln. Der grüne Co-Vorsitzende Robert Habeck bemerkte schon sehr vielsagend, dass ihn der Wahlkampf jetzt gar nicht mehr interessiere. Botschaft an die FDP: Vergessen wir doch die noch vor Tagen so liebevoll gepflegte Feindschaft für die nächsten vier Jahre. Plötzlich entdecken Grüne und FDP ungeahnte Gemeinsamkeiten in ihren Programmen.

Auch FDP-Chef Christian Lindner verabredete sich bereits dazu, zunächst mit den Grünen zu sprechen und dann als Doppelzünglein an der Waage beim Seniorpartner der neuen Koalition vorzusprechen. Natürlich würde Lindner lieber zur Union gehen, aber da die Grünen stärker sind als die Liberalen und die SPD vor der Union liegt, müsste man den Grünen schon extrem viel bieten, damit sie ihrer Basis ein Jamaika-Bündnis verkaufen könnten. Umgekehrt gilt: Was Die Linke als Druckmittel für Scholz gegenüber der FDP gewesen wäre, ist jetzt die Union für die Grünen gegen Scholz. So verrückt ist die Regierungsbildung diesmal.

Für Alice Weidel von der AfD ist der Koalitionspoker sehr einfach: Niemand will mit den Rechtspopulisten zusammenarbeiten. Aber in der Spitzenrunde unternahm sie immerhin den Versuch, den Auftritt des 2005 seinerzeit frisch abgewählten Gerhard Schröder (SPD) an Skurrilität zu überbieten. Weidel meinte allen Ernstes, um die „Sondereffekte“ bereinigt hätte man bei der Wahl gewonnen. Mit Sondereffekte meinte sie, dass einige frühere AfD-Wähler diesmal andere Parteien gewählt haben. Trotzdem: Dass immer noch jeder Zehnte der AfD die Stimme gegeben hat, sollten alle demokratischen Parteien als Hausaufgabe begreifen.